Kein Mord, nur Folter

Beim Göktepe-Prozeß in der Türkei forderte die Verteidigung Freispruch für alle angeklagten Polizisten. Die Nebenklage will lebenslänglich

Über zwei Jahre nach dem gewaltsamen Tod des linken Journalisten Metin Göktepe steht der Prozeß gegen seine mutmaßlichen Mörder unmittelbar vor seinem - vorläufigen - Ende. Am Donnerstag vergangener Woche - es war der 15. Verhandlungstag in dem seit rund eineinhalb Jahren laufenden Verfahren - hielten die Verteidigung der elf angeklagten Polizisten sowie die Nebenklage, die die Familie Göktepe vertritt, ihre Abschlußplädoyers. Bereits im Februar hatte die Staatsanwaltschaft plädiert.

Die Verteidigung forderte erwartungsgemäß Freisprüche für ihre Mandanten. Unter Berufung auf ein Gesetz aus dem Jahre 1913 verwies sie auf eine vermeintliche Unrechtmäßigkeit des Verfahrens. Staatsdiener unterlägen einem besonderen Schutz und dürften nur unter besonderen Voraussetzungen angeklagt werden. Die seien im vorliegenden Fall nicht gegeben. Darüber hinaus seien die angeklagten Polizisten unschuldig. Die Beweisaufnahme habe keine Beweise für eine Täterschaft ergeben. Die Zeugenaussagen, in denen die Polizisten schwer belastet worden waren, seien unglaubwürdig und widersprüchlich gewesen. Erneut ergingen sich die Verteidiger in Andeutungen über eine mögliche Verbindung des Göktepe-Todes mit dem tödlichen Anschlag auf den Großunternehmer Özdemir Sabanci, zu dem sich die Guerillatruppe Dev-Sol (Revolutionäre Linke) bekannt hatte.

Die Nebenklage widersprach den Ausführungen der Verteidigung vehement. Für sie ist erwiesen, daß die Angeklagten für den Tod Göktepes verantwortlich sind. Schließlich seien die Polizisten von den angehörten Zeugen eindeutig identifiziert worden, Zweifel an deren Glaubwürdigkeit seien ideologisch motiviert. Die Tötung des Journalisten könne nur als Mord klassifiziert werden, so die Nebenkläger. Es habe eine Tötungsabsicht bestanden, die mit größter Brutalität umgesetzt worden sei. Laut Autopsiebericht trafen Göktepe alleine sechs Schläge am Kopf - jeder für sich soll tödlich gewesen sein. Die Nebenklage erinnerte zudem an die Geständnisse eines Teils der Polizisten im Vorverfahren. Damals hatten sie ausgesagt, Göktepe habe sterben müssen, weil er die türkische Nationalhymne nicht singen wollte und den islamischen Gebetsruf auf arabisch nicht auswendig wußte. Allerdings hatten die Polizisten während des Prozesses ihre Aussagen widerrufen. Die Nebenklage forderte eine lebenslange Haftstrafe für alle elf Angeklagten.

Voraussichtlich wird das Gericht beiden Plädoyers nicht folgen. Prozeßbeobachter gehen davon aus, daß es sich weitgehend dem Votum der Staatsanwaltschaft anschließen wird. Die hatte im vergangenen Monat eine sieben- bis 15jährige Haftstrafe wegen Körperverletzung mit Todesfolge für sechs der Angeklagten gefordert. Bei ihnen hält auch sie eine Beteiligung an der Tötung Göktepes für erwiesen. Es könne jedoch nicht von einem Mord ausgegangen werden, da die Polizisten ihn "nur" hätten foltern wollen. Der Tod hingegen sei ein "Unfall" und nicht beabsichtigt gewesen. Bei den restlichen fünf plädierte die Staatsanwaltschaft auf Freispruch aus Mangel an Beweisen.

Das Gericht hat seinen Urteilsspruch für den 15. März angekündigt. Bis zur Urteilsverkündung beließ es fünf der elf Polizisten in Untersuchungshaft. Die restlichen sechs dürfen mit einem Freispruch rechnen. Verteidigung und Nebenklage haben bereits angekündigt, auf jeden Fall in Revision zu gehen.

In einem Interview mit Jungle World sagte Ahmet Ülger, Verteidiger im Göktepe-Prozeß, er erwarte selbstverständlich einen Freispruch seiner Mandanten. Sollten sie dennoch verurteilt werden, würde die Verteidigung in die Revision gehen. Das Revisionsgericht in Ankara würde das Urteil in jedem Fall aufheben, unabhängig davon, ob es zu einer Verurteilung oder zu einem Freispruch in der Vorinstanz gekommen sein würde. Denn schon in der Vorbereitung seien Rechtsfehler wie die falsche Anwendung der Strafprozeßordnung vorgekommen. Auf die Frage, ob er - wie an vorausgegangenen Prozeßtagen - weiterhin die These vertreten würde, Dev-Sol sei für die Ermordung Göktepes verantwortlich gewesen, antwortete er, es gebe viele Möglichkeiten, wie Göktepe ums Leben gekommen sein könnte. Eine definitive Aussage habe er nie getroffen.

Am Mittoch hat ein türkisches Gericht in Manisa zehn Polizisten vom Vorwurf der Folter an 14 Jugendlichen freigesprochen, da es keine ausreichenden Beweise dafür gebe. Die Schüler und Studentenwaren im April 1996 verhaftet worden, nachdem es im Herbst 1995 und im Frühjahr 1996 zu einer Studentenbewegung - unter anderem gegen die Erhöhung der Studiengebühren - gekommen war. Während der zweiwöchigen Polizeihaft, so sagten sie, seien sie von den Polizisten unter anderem mit Elektroschocks gefoltert worden. Sabri Ergul von der Republikanischen Volkspartei sagte zu dem Urteil, es handle sich um einen Justizirrtum. Er kündigte Berufung an.