Lange Leitung nach Moskau

Rußland gibt nach und signalisiert seine Unterstützung für die Sanktionen des Westens gegenüber Serbien, auch Milosevic lenkt ein und setzt auf Dialog und Deeskalation

Die Verhandlungen drohten bereits zu scheitern, als Rußlands Vize-Außenminister Nicolai Afanasjew zum Telefon griff: Vom Londoner Sondertreffen der Bosnien-Kontaktgruppe aus rief er seinen Chef in Moskau an, um telefonisch doch noch dessen Zustimmung zum Text der vorbereiteten Kosovo-Erklärung zu bekommen. Erwartungsgemäß bekräftigte Außenminister Jewgeni Primakow die Weigerung Rußlands, das Waffenembargo gegen Jugoslawien zu unterstützen. Dann verlangte er mit seinen Amtskollegen aus Großbritannien, den USA und der BRD zu sprechen. Von Minister-Ohr zu Minister-Ohr wanderte der Hörer, bis Primakow schließlich nachgab: Rußland beteiligt sich nun doch an dem zunächst nur vom Westen geforderten Waffenembargo, nimmt aber Abstand von Wirtschaftssanktionen gegen die Regierung Slobodan Milosevics.

Ohne die Unterstützung Moskaus wären die vergangene Woche von der Kontaktgruppe beschlossenen Sanktionen gegen Belgrad zu Makulatur geworden. Da Serbien seine Waffen vor allem aus Rußland bezieht, hätte der Einfuhrstopp von "Material, das von der Belgrader Regierung zur Repression im Kosovo verwendet werden kann", kaum seine Wirkung entfalten können. Von der Androhung wirtschaftlicher Sanktionen seitens der westlichen Kontaktgruppenmitglieder (Großbritannien, USA, BRD und Italien) distanziert sich Rußland zwar weiterhin - dies aber explizit nur vorläufig. Sollte Milosevic sich den weiteren Forderungen der Kontaktgruppe nicht fügen, erwägt Moskau, sich an dem kompletten Maßnahmenpaket zu beteiligen, das neben dem Rüstungsstopp ein Moratorium staatlich finanzierter Handels- und Investitionskredite sowie die Visa-Verweigerung für hochrangige Mitglieder der Belgrader Behörden beinhaltet.

Von der überraschenden Zustimmung der traditionell pro-serbisch ausgerichteten Moskauer Regierung zu den Sanktionen des Westens profitiert jedoch, zumindest vorläufig, nicht die Führung der Kosovo-Albaner - sondern Milosevic.

Mit der prompten Erfüllung der ersten Forderung der Kontaktgruppe nach Eröffnung eines politischen Dialogs über den Status der Region konnte Milosevic seinen Gegnern vorerst den Wind aus den Segeln nehmen. Nachdem die Albaner zwei Gesprächsangebote der serbischen Regierung als "Diktat Belgrads" abgelehnt hatten, stand am letzten Wochenende nicht mehr der jugoslawische Präsident im Mittelpunkt der Kritik, sondern die albanische Führung um ihren bislang international hofierten, jedoch nicht anerkannten Präsidenten Ibrahim Rugova. Einmal mehr erweist sich Milosevic als gewiefter Taktiker, der den verstärkten internationalen Druck - auch Nato, Vereinte Nationen und Europapaparlament verabschiedeten Resolutionen, in denen sie den jugoslawischen Präsidenten zum Dialog mit den Kosovo-Albanern und zum Abzug serbischer Spezialeinheiten aus dem Kosovo aufforderten - für sich zu nutzen wußte.

Obwohl die serbische Regierung den Rückzug der Sonderpolizei bislang nicht angeordnet hat - die Kontaktgruppe hat als Frist den 20. März gesetzt, für den 25. März ist die nächste Gesprächsrunde geplant -, hielten sich die serbischen Einheiten vergangene Woche merklich zurück. So konnten in Pristina am Freitag letzter Woche 50 000 Albaner weitgehend unbehelligt von den sonst üblichen brutalen Polizei-Einsätzen für die Sezession des Kosovo und den Einsatz von Nato-Truppen gegen den "serbischen Terror" demonstrieren. Wenn auch unter der einschüchternden Anwesenheit von serbischen Scharfschützen, ging die Exhumierung von 53 Albanern ebenfalls friedlich vonstatten: Nachdem die serbische Polizei die Toten gegen den Widerstand ihrer Verwandten bestattet hatte, konnten diese die Leichen Mitte letzter Woche ausgraben und nach islamischen Riten erneut begraben.

Mit der während des Krieges in Bosnien erprobten Methode, politisch wenig schmerzhafte, taktisch aber bedeutsame Zugeständnisse an internationale Organisationen zu machen, dürfte es Milosevic erneut gelungen sein, die Isolation seines Regimes aufzubrechen.

In einer gemeinsamen Initiative verständigten sich die für das politische Gleichgewicht auf dem südlichen Balkan maßgeblichen Regionalmächte Bulgarien, Rumänien, Griechenland und die Türkei auf eine einheitliche Haltung zum Kosovo. Deren Besorgnis, der Konflikt könne sich ausweiten, liegt durchaus auf Milosevic-Linie: Die Forderung nach einem Dialog mit den Albanern hat Milosevic bereits aufgegriffen, die Zielvorstellung einer "weitgehenden Autonomie" ist ebenso interpretationsbedürftig wie die Formulierungen in den Resolutionen von EU und Nato. In der entscheidenden Frage, ob der Konflikt innerhalb der Grenzen Jugoslawiens gelöst oder dem Unabhängigkeits-Streben der Kosovo-Führung nachgegeben werden sollte, ist die Position der Anrainerstaaten eindeutig: Nicht zuletzt, um eine Radikalisierung der eigenen albanischen Minderheiten zu verhindern, dürfe es auf keinen Fall zu einer Sezession kommen.

Selbst Albaniens sozialdemokratischer Ministerpräsident Fatos Nano - zu Beginn des Konflikts noch ein strammer Befürworter der sezessionistischen Bestrebungen im Kosovo - ist am letzten Wochenende eingeknickt. Nachdem er mit seiner Forderung an die Nato, im Rahmen des Programms "Partnerschaft für den Frieden" Truppen an die Grenze zum Kosovo zu entsenden, abgeblitzt war, unterstützt Nano ebenfalls eine Lösung auf dem Verhandlungsweg - womit Milosevic nun auch Rückhalt bei einem Anhänger großalbanischer Ambitionen findet. Gleiches gilt für Mazedonien, wo Mitglieder der im Kosovo aktiven albanischen Separatistenguerilla "Befreiungsarmee Kosovo" (UCK) in den vergangenen Monaten mindestens zwei Anschläge verübten.

So scheint das diplomatische Gezerre um die richtige Formulierung für den künftigen Status des Kosovo auf die Umsetzung des zwischen serbischer und albanischer Führung bereits im September 1996 unterzeichnete, von Milosevic aber nie umgesetzten Bildungsabkommens hinauszulaufen. Die Kosovo-Albaner müßten sich angesichts der auf den staatlichen Zusammenhalt Jugoslawiens ausgerichteten internationalen Position mit der Anerkennung ihrer in den vergangenen sieben Jahren aufgebauten Parallelinstitutionen, also mit einer kulturellen Autonomie, zufriedengeben. Milosevic hingegen wäre gleich in dreifacher Hinsicht erfolgreich: Die territoriale Integrität Jugoslawiens bliebe unangetastet, Kosovo-Präsident Rugova wäre mit seiner Politik des gewaltfreien Widerstands gescheitert, die Spaltung der albanischen Sezessionsbewegung damit erreicht - und die internationalen Finanz-Institutionen würden den serbischen Waffengang gemäß der Londoner Beschlüsse sogar mit zusätzlichen Geldern nachträglich honorieren. Kein schlechter Deal.