Mitfahrzentralen-Trash

Die Tortur geht weiter: Dieter Bohlen und Thomas Anders bereiten das Comeback von Modern Talking vor

Der Typ stand vor seinem gelben Porsche, damals, im Sommer 1986, wir hatten uns für drei Uhr nachmittags vor dem Haupteingang am Bahnnhof Zoo verabredet, von Berlin nach Bonn in vier Stunden, sagte er, ich schnallte mich an, der Kerl, der Felix hieß, brauste los. Die Mitarbeiterin einer Kreuzberger Mitfahrzentrale hatte noch von einer rasanten Fahrt gesprochen, von einem Stammkunden, der zweimal in der Woche in die Bundeshauptstadt am Rhein düse, mehr verriet sie nicht, vielleicht sah ich mit meinem hellblauen Lacoste-Hemd einfach zu sehr nach Bonn-Bad Godesberg aus, dem Beamtensöhnchen aus dem Bonzenkurort werde ich den Porschefahrer verpassen, wird die Mitfahrzentralenfrau gedacht haben, und so hing ich im Beifahrersitz, fest umgurtet, schon den Berliner Ring nahm Felix mit 200 Sachen.

Felix trug ein rosa Lacoste-Hemd, wir waren also tatsächlich ein gutes Pärchen. Er redete ohne Unterlaß, so daß ich bald wußte, neben einem Reporter zu sitzen, einem Bild-Reporter, doch als Felix kurz vor Hannover erkannte, daß mich die Superstorys eines Bild-Journalisten nicht besonders interessierten, solange sich dieser an keine Geschwindigkeitsbegrenzung hielt, steckte er eine Kassette ins Autoradio und drehte den Lautstärkeregler nach rechts, natürlich bis zum Anschlag. Die Tortur begann mit "Cheri, Cheri Lady", es folgte "There Is Too Much Blue In Missing You" und dann kamen all die anderen Hits von Modern Talking, Schlag auf Schlag, Autoreverse bis zur Endstation.

Ob man einen Popsong mag oder nicht, hängt bekanntlich nicht von seiner vermeintlichen Güte ab, das persönliche Erlebnis ist entscheidend; die Werke der britischen Variante von Modern Talking, die Lieder der schnuckligen Gruppe Wham!, liebe ich wegen feuchter Schmusefeten heute noch, nach jenem Höllentrip aber hatte ich jahrelang ein gespanntes Verhältnis zu Dieter, Thomas, Felix, Lacoste und Porsche. Dabei sang keiner so glatt wie Thomas, keiner haute so einfallslos Töne zusammen wie Dieter, keine Gruppe der Welt bot so wahnsinnig sinnlose Songlyrik wie Modern Talking. Wer eine Übersetzung der Torsotexte wagt, schafft astreinen Nonsens. Oliver Schmitt versuchte es neulich wieder mal in der taz: "Kirsche, Kirsche, DameÖ"

Als Ende Februar Bild am Sonntag verkündete, das deutsche Schlagerduo sei wiedervereint, Modern Talking werde am 28. März 1998, in "Wetten daß..?" auftreten, demnächst werde eine CD mit 15 überarbeiteten und fünf neuen Titeln erscheinen, im Mai werde man sogar auf "Welttournee" gehen, freute ich mich, denn als Kind der Achtziger geht mir das endlose Revival der Sixties und Seventies langsam auf den von Gruftwave geprägten Geist. Das Comeback von Dieter Bohlen und Thomas Anders wird aber nicht nur das wohlverdiente Ende des pseudoironischen Trashdeppen Guildo Horn besiegeln, mit Modern Talking erreicht die Kulturindustrie endlich wieder das den gesellschaftlichen Verhältnissen angemessene Verblödungsniveau. Bild wird den Langhaargröler, der so gerne für Deutschland singt, besonders böse runtermachen, nachdem er im feinen England durchgefallen ist. Danach wird das Schleimerduo von dem trüben Tagblatt gekürt. Im Jahr der Bundestagswahl achtet der Springer-Verlag auf seine Trendkampagnen. Der CDU-Pastor braucht noch einen Slogan, der Mut macht: "You Can Win If You Want", heißt ein alter und demnächst wieder neuer Hit von Dieter und Thomas, die wie die Christdemokraten abermals gewinnen wollen und werden, denn die Werbung für die Siegerordnung betört die vielen Verlierer im Lande. In der trostlosen Reklamewelt besteht das Glück der unglücklichen Konsumenten an der Teilhabe der Idolproduktion.

"Uns verbindet wieder eine echte Männerfreundschaft. Wir haben uns beide damals ganz schön dämlich verhalten. Der alte Streit ist vergessen", erklärte Thomas seinem Lieblingsblatt, und sein Männerfreund Dieter gab ebenfalls zu Protokoll: "Zum Glück haben wir uns nicht die Fehler von damals vorgerechnet. Plötzlich stimmte die Chemie wieder zwischen uns." In alter widerlicher Frische, die Herren Landprollideologen. So volksnah wie Modern Talking ist kein Volksmusikant. Vielleicht durfte Porschefahrer Felix Modern Talking interviewen, unter dem Artikel stand kein Name, die Angaben werden aber stimmen, bei solchen Themen ist auf Bild absolut Verlaß. ZDF-Manager ("Unterhaltungschef") Axel Beyer und die Plattenfirma bestätigten die Aktivitäten der Softpopper umgehend.

Im Oktober 1984 erschien "You're My Heart, You're My Soul" in den Geschäften, am 25. Januar 1985 wurde das Debüt von Modern Talking zum ersten Mal in den deutschen Charts registriert. Binnen kurzem stand Europa unter dem Bann einer Musik, die bis auf den Verkaufsanspruch vollkommen anspruchslos war und ist: Platz eins in den Hitlisten von Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Israel, Österreich, Portugal und der Schweiz. Platz zwei in Spanien und Südafrika, Platz drei in Schweden, Platz vier in Holland, Platz neun in Italien, und auch in Japan reichte es für die Top 20. Im englischsprachigen Raum verstand man die Euphorie weniger. Nach zwei Jahren Millionenscheffeln wurde die Erfolgsgeschichte zunächst einmal unterbrochen. Es fehlte dem "Komponisten" Dieter zwar nicht an "Ideen", dafür aber gab es Streit mit Nora, der Frau von Thomas. Modern Talking wurde aufgelöst, Nora war an allem schuld, Frauen sind irgendwie immer schuld. Das erste Kapitel des von den Medien so prächtig in Szene gesetzten Melodrams war beendet.

Im zweiten Teil der Soap ging es um den beruflichen Niedergang von Thomas sowie um die Blitzheirat von Dieter und Verona, sowie Ehequalen und Scheidung derselben. Feldbusch, die schon ohne Dieter und mit dem Stumpfstampfsingsang "Ritmo de la Noche" brillierte, eroberte sich rasch einen Stammplatz in der Seifenoper, anders als die doofe Nora wurde Verona ein richtiges "Starlet". Das beeindruckte Dieter wenig, er beschwerte sich in aller Öffentlichkeit über ihre miserablen Kochkünste, vielleicht war er aber nur sauer, daß sein Nachfolgeprojekt Blue System nicht ganz so profitabel wie Modern Talking war.

Die Quoten-Queen Feldbusch verriet den Leuten, daß Dieter nicht nur ein Frauenfeind, sondern auch ein Schläger sei. Die vornehmlich weiblichen Fans von Dieter fühlten sich an ihre eigenen Erfahrungen erinnert und nahmen es dem Fiesling nicht übel.

Die Fortsetzung des Rosenkriegs wurde am 25. Februar dieses Jahres mit einem Showdown eröffnet. In einem "Double Feature" der RTL2-Sendung "Exklusiv" beschimpften Verona und Dieter sich gegenseitig. "Mir ist nichts peinlich", quietschte die hochnotpeinliche Verona. "Ich war'n bißchen blöde", blödelte Dieter. Warum Verona sich an dem Herzkrampf-Massaker beteiligte, wissen vielleicht ihre Anlagenberater. Längst ging es nämlich nicht mehr um die abgenudelte Ehe, um das Geplänkel zweier Ex-Bettpartner. Dieter bereitet seit Monaten, wenn nicht Jahren das nächste große Geschäft vor. Selbst Dieters angekündigte Quasselstunde in der Glotze war nur TV-Marketing für eine wirklich große Talkshow, für den nächsten Aufritt von Modern Talking.

"Seit vier Jahren treffen wir uns regelmäßig", gaben Dieter und Thomas bekannt, und wer zusammen angeblich 50 Millionen Platten verkauft hat, der trifft sich mit dem ehemaligen Partner nicht nur zum Kaffeekränzchen. Kurz vor dem Ereignis spielt selbst das Internet verrückt.

Gibt man der Suchmaschine Fireball das Stichwort "Modern Talking" in Auftrag, werden haufenweise Manta-Witze aufgestöbert. In den Chatboxen wird heftig über das Großereignis debattiert; aus einem Brief von Gerald Himmelein aus Eichstaett, der mit "Lieber Modern Talking-Fan!" beginnt, möchte ich gerne zitieren: "Wahrlich eine geballte Ladung musikalischer sowie textlicher Kreativität. Ein Meisterwerk! Anerkennung und Bekanntheitsgrad solcher Meisterwerke hängen von einflußreichen, doch unberechenbaren Mächten ab. Diese Mächte heißen 'Medien'." Wer den Medien fast alles verdankt, wird irgendwann versuchen, den Minderwertigkeitskomplex mit dem Haß auf die dunklen Mächte loszuwerden. Bohlen und Anders verfluchen wahrscheinlich die Medien. Der Fan übernimmt die Projektion und wird zum Motor der Regression: "Ruf wiederholt an, schreib an die einzelnen Stationen, laß nicht locker, bis endlich etwas von Modern Talking gespielt wird. 'Unsere' Band hat es mehr als verdient, die ihr gebührende Beachtung zu finden!"