Best of Adorno

Testcard-Theorie-Test: Ist die Kulturindustrie-These für den Popdiskurs noch relevant?

Würden die gängigen linken Urteile über den Fetischcharakter und die extrem kurze Halbwertzeit von Popkulturwaren eins zu eins zutreffen, dürfte es eine Zeitschrift wie Testcard nicht geben. An Konsumentenservice wird hier kaum weniger geboten als in der Spex, es gibt jede Menge Plattenkritiken und Buchbesprechungen. Testcard kann jedoch nicht via Hintergrundbericht den monatlichen Bezug zu den jeweils aktuellen Stars herstellen. Die Zeitschrift erscheint nur halbjährlich, dafür in Wälzerform und mit Schwerpunktthema, eine Art kritisches Fachblatt des Pop, wo auch noch vier Jahre nach Kurt Cobains Tod über Grunge und Nirvana geforscht wird. Um sich trotzdem nicht dem Vorwurf des Inhaltismus auszusetzen, positioniert sich die Testcard-Redaktion am Anfang des Hefts subjektiv-formal durch die Auswahl der besprochenen aktuellen CDs, von Anthony Braxton über Buenaventura Durruti et la révolution espagnole bis zu Robert Wyatt.

Testcard Nummer 5 widmet sich der "Kulturindustrie" und den (linken) Theorien und Mythen, die sich um diesen von Horkheimer und Adorno eingeführten Begriff gebildet haben. Die "Kulturindustriethese" steht als graue Eminenz hinter den seit einigen Jahren in der linksradikalen Presse geführten Polemiken über Pop-Subversion, Ausverkauf und Kulturnationalismus. In dem Sammlband "Mainstream der Minderheiten" bedienten sich die des reformistischen Verrats geziehenen Spex-AutorInnen selbst bei der Kritischen Theorie, um letzte Nischen der Subversion zu entdecken.

Roger Behrens, der in seinem einleitenden Artikel die theoretischen Bezüge des Kulturindustriekapitels aus der "Dialektik der Aufklärung" zu rekonstruieren versucht, wirft den Poplinken vor, die Kulturindustrie als industriesoziologischen Forschungsgegenstand zu verdinglichen und sie so von einer umfassenden Gesellschaftskritik abzuschotten. "Wo über gesellschaftliche Praxis der Individuen im Kapitalismus nicht geredet wird, aber pseudo-konkret über Kulturindustrie (oder Pop, Musik, Kontrollgesellschaft, was auch immer), bleibt der Popdiskurs ein abstraktes wie akademisches Unterfangen."

Diese Mahnung mal mehr, mal weniger beachtend, liefern die folgenden Artikel sachdienliche Hinweise zu den unterschiedlichsten Aspekten dessen, was die AutorInnen unter Kulturindustrie verstehen. Seien es die "Vermarktungsstrategien im HipHop", "Anmerkungen zu Klassik-Bestsellern" oder die "Independent/Major-Konstellation". Darin werden en passant noch einmal (fast) alle Prämissen der Pop-Subversion sorgfältig auseinandergenommen. Wer es Günther Jacob nicht glauben wollte, muß es jetzt endlich zur Kenntnis nehmen: "Mainstream-Pop und 'Indie' bedingen einander wie Kaufhaus und Bioladen, sind nichts weiter als einander stabilisierende Angebote, sich über Waren zu identifizieren." Unklar bleibt allerdings, wer wo wann das Gegenteil behauptet haben soll.

Waren es wirklich symbolpolitische Allmachtsphantasien, die in den Achtzigern die linke Boheme als separaten politisch-ästhetischen Zusammenhang hervorbrachten, oder eher die nihilistische Abgrenzung gegen 68er-Hippies? Martin Büsser schreibt: "Pop als 'Sprache der Deklassierten' mußte deren Befürworter spätestens da ernüchtern, wo die Stimme der Arbeiterklasse sich offen als rassistisch und sexistisch zu erkennen gab." Ernüchtern mußte dies wohl eher diejenigen Linken, die glaubten und glauben, man könne - von der Rockmusik bis zur Nation - so ziemlich alles fortschrittlich besetzen und propagandistisch ausnutzen. Die poplinken Begriffe "Dissidenz" und "Subversion" stehen dagegen für vieles, nur (zumindest bis vor kurzem) nicht für plumpe Bewegungspolitik. Eine kritische Rückschau auf die pop-subversiven Artikulationen der letzten Jahrzehnte hätte hier nicht geschadet.

Auf der anderen Seite stellt sich natürlich die Frage, ob die Vorgaben der Kritischen Theorie gegen die Kulturindustrie nach 40 Jahren noch gültig sind, oder der Modifikation bedürfen.

Christine Resch läßt einen "adornitischen" Klassiker der Kulturtheorie Revue passieren, Peter Bürgers 1974 erschienene "Theorie der Avantgarde". Am Beispiel von Surrealismus und Dada kritisiert sie Bürgers werkimmanente Methode der Interpretation. Diese lasse den Kontext der Rezipienten und das ironische, selbstreflexive Spiel der Kulturrevolutionäre mit diesem Kontext außer acht. In ihrer kunstimmanenten Rezeption sind sich Bürger und Resch aber einig. Während der Adorno-Anhänger Bürger an der Interpretation künstlerischer Avantgarden scheitert, deren Werk ohne ihre revolutionären Erwartungen nicht erklärbar ist, neutralisiert die eher poststrukturalistisch argumentierende Resch den politischen Kontext, indem sie ihn auf einen der "ästhetischen Haltung" der Rezipienten verkürzt. "Die russischen Konstruktivisten stellten ihre Kunst in den Dienst der Revolution und sind, um Bürgers Terminologie zu verwenden, damit 'gescheitert', wenn die populistische Konzeption des 'sozialistischen Realismus' durch Stalin das erfolgreichere Modell ist. Sie sind nicht 'gescheitert', wenn man ihre reflexiven Ansätze interessant findet."

Gescheitert sind die kulturrevolutionären Bewegungen - wenn sie konsequent waren - natürlich nicht, weil sich ihre Kunstauffassung nicht durchgesetzt hätte, sondern weil die Weltrevolution versagt hat und das stalinistische Resultat sie dann vielleicht noch "säuberte". Auch die kritischste (Pop-)Kulturtheorie kann aus sich heraus nicht die Kritik der gesellschaftlichen Totalität ersetzen. Diese Einsicht täte vielleicht ab und zu auch den Freunden und Feinden des Pop gut.

Kann Testcard als potentielles Organ reflexiver Poptheorie überleben? Zumindest für diese Ausgabe hat sich die Redaktion gegen die kulturindustriellen Verwertungszwänge abgesichert, wenn man der Redaktion glauben darf, die auf eine "Spende des kubanischen Konsulats" verweist.

Testcard. Beiträge zur Popgeschichte. Nr.5
Kulturindustrie. Kompaktes Wissen für den Dancefloor. DM 28