Das Retour-Ticket gibt’s umsonst

Geduldete Flüchtlinge, die nicht freiwillig ausreisen, sollen künftig keine Sozialhilfe mehr bekommen

Die Quintessenz zuerst: Wer nicht freiwillig geht, soll ausgehungert werden. Oder, wie Berlins Innensenator Jörg Schönbohm bereits Anfang Februar volksnah formulierte: "Diese Gruppen werden nicht mehr durchgefüttert." Gemeint sind alle ausreisepflichtigen Flüchtlinge, die derzeit aus verschiedenen Gründen nicht abgeschoben werden können. Denen nämlich, so sieht es die in dieser Woche im Bundestag debattierte Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes vor, sollen künftig alle Zuwendungen vorenthalten werden, die ein Überleben in Deutschland möglich machen: Sozialhilfe, Wohngeld und medizinische Versorgung. "Rund 600 000 vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer", so ließ Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer vergangene Woche wissen, könnten von diesen Streichungen theoretisch betroffen sein - sprich zur "freiwilligen" Rückkehr ins Herkunftsland gezwungen werden. Eine finanzielle Alternative haben sie hier nicht. Denn von wenigen Ausnahmen abgesehen, erhalten Bürgerkriegsflüchtlinge und abgelehnte Asylbewerber keine Arbeitserlaubnis, mit der sie selbst ihre materielle Existenz sichern könnten. Wer also dennoch hierbleibt, wird beinahe zwangsläufig in Obdachlosigkeit und Illegalität getrieben.

Berlins Ausländerbeauftragte Barbara John dürfte nun zufrieden sein. War es doch die Unionspolitikerin, die als erste im Herbst vergangenen Jahres Stimmung für die Neuregelung machte: "Wer ausreisen kann, aber sich verweigert, darf nicht mehr unterstützt werden." Johns Parteifreundin und Hauptstadt-Sozialsenatorin Beate Hübner vertrat dann auch federführend den Antrag zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, der am 6. Februar im Schatten der Debatte zum Großen Lauschangriff erfolgreich den Bundesrat passierte. Neben den unionsgeführten Ländern legten sich auch die SPD-Regierungen in Brandenburg, Saarland, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen für die Streichungen ins Zeug. Schließlich fehle ohne eine "Anspruchseinschränkung" jeder Anreiz, "Deutschland zu verlassen", erklärte der Hannoveraner Innenminister Gerhard Glogowski. Der designierte Nachfolger Gerhard Schröders hatte unisono mit seinen bayrischen und baden-württembergischen Kollegen vorgeschlagen, gleich noch allen illegal Eingereisten, und damit dank Drittstaaten- und Flughafenregelung fast allen Asylsuchenden, die Leistungen zu streichen.

Dennoch könnten mindestens 300 000 geduldete Flüchtlinge künftig beim Sozialamt abgewiesen werden, sollten die Parlamentarier die Gesetzesänderungen im Bundestag verabschieden: Rund 200 000 Kriegsflüchtlinge aus Bosnien ebenso wie die abgelehnten, aber noch geduldeten kurdischen Asylsuchenden und ehemaligen VertragsarbeiterInnen aus Vietnam. Schließlich soll die Behörde nur noch dann Leistungen zahlen, wenn dies "im Einzelfall unabweisbar geboten ist". Allein die abstrakt unterstellte Möglichkeit der freiwilligen Ausreise wird dann ausreichen, um die Sozialhilfe zu verweigern. Daß der Aufenthalt vieler Menschen bislang geduldet werden muß, weil ihnen im Herkunftsland Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht, soll nach dem Entwurf keine Rolle spielen. Schließlich will die Bonner Regierung nicht zulassen, "daß man sich in Deutschland durch rechtswidriges Verhalten einen Leistungsanspruch sichern kann".

Dieses "rechtswidrige Verhalten" ist schnell ausgemacht. Ohne finanzielle Grundlage sollen in Zukunft alle ausharren, die "aufgrund von in ihrer Person liegenden und von ihnen zu vertretenden Gründen" noch hier sind. Soll heißen: Wer sich nicht freiwillig türkischen Sicherheitskräften ausliefert, wenn deutsche Beamten keine politische Verfolgung erkennen, muß eben sehen, wo er bleibt. Und wer gar seinen Paß vernichtet, um seine Herkunft zu verschleiern und damit eine Abschiebung zu verzögern, ist "Leistungserschleicher", also Rechtsbrecher, und muß deshalb eben hungern. Ebenso alle, deren Aufenthalt bislang noch geduldet werden muß, weil mit den jeweiligen Herkunftsländern noch keine entsprechenden Abkommen geschlossen wurden. Immerhin: Das novellierte Asylbewerberleistungsgesetz sichert "unabweisbare Leistungen": Eine Rückfahrkarte sowie Zehrgeld für die Reise auf Kosten des Sozialamtes.

Was also ausländerrechtlich kurzfristig nicht durchsetzbar ist, sollen künftig die Sozialämter erledigen. Die würden, so Pro Asyl-Sprecher Heiko Kauffmann vergangene Woche, "zu Vollzugsgehilfen eines Rechts gemacht, das Menschen systematisch aushungert". Schon heute erhalten Flüchtlinge nur 80 Prozent des Sozialhilfesatzes, der Deutschen zusteht - ausgezahlt in Wertgutscheinen und Essenspaketen. Gerade einmal 80 Mark im Monat stehen ihnen als "Taschengeld" für Telefonate, Anwaltskosten oder sonstige Ausgaben zur Verfügung. Auch auf medizinische Versorgung, die jetzt ganz gestrichen werden soll, mußten Asylsuchende schon bisher häufig verzichten. Um alle diese Einschränkungen festzuschreiben, wurde das Asylbeweberleistungsgesetz 1993 ins Leben gerufen. Schon damals zählte die Regelung als wichtiger Schritt zur Diskriminierung und Ausgrenzung von Flüchtlingen. Galt sie zunächst jedoch "nur" für Asylbewerber im ersten Jahr, so wurde sie 1997 auf Bürgerkriegsflüchtlinge und einen Zeitraum von drei Jahren ausgedehnt. Mit der jetzt geplanten endgültigen Streichung der Leistungen würde die Abschottungspolitik zweifellos einen neuen Höhepunkt erreichen - nicht zuletzt mit Hilfe einer Kampagne, in der Asylsuchende systematisch zu "Sozialschmarotzern" erklärt werden.

Bei Pro Asyl befürchtet man nun, daß mit dem Novellierungs-Entwurf angesichts des bevorstehenden Bundestagswahlkampfes die "ausländerfeindliche Stimmungen verstärkt" werden. Das Timing würde passen: Nach der ersten Lesung am Donnerstag werden in nächster Zeit bis zur Entscheidungsfindung zwei weitere anstehen - und dann müßte die Länderkammer noch zustimmen. Angesichts der gegenwärtigen Schnelligkeit in der Umsetzung ausländerrechtlicher Verschärfungen ist zu befürchten, daß die Änderungen noch in den letzten Sitzungstagen dieses Bundesparlamentes durchgebracht werden.

Menschenrechtsorganisationen, antirassistische Gruppen sowie Grüne und PDS haben die geplante Novellierung inzwischen heftig kritisiert. Vergangenen Samstag veröffentlichten sie in mehreren Tageszeitungen den "Berliner Aufruf gegen eine Politik des Aushungerns von Flüchtlingen in Deutschland". Selbst in der SPD stößt die Initiative mittlerweile vereinzelt auf Kritik, obwohl gerade sozialdemokratische Länder maßgeblich am Bundesratsbeschluß beteiligt waren. So beklagt beispielsweise die Bundestagsabgeordnete Cornelie Sonntag-Wolgast die vage Formulierungen des Gesetzestextes. Einige Abgeordnete hätten gar nicht gewußt, "welche Ausländer von der Streichung letztendlich betroffen" seien. Die Parlamentarierin zeigt sich besorgt um die Bosnien-Flüchtlinge, jene aber, "die etwa ihre Pässe zerrissen haben, um damit die Abschiebung zu verhindern", will auch die Sozialdemokratin nicht schützen. Und auch nicht die, die hierhergekommen sind, "um Geld zu kassieren". Menschen aus den Armutsregionen, die offensiv ihr Recht auf eine Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum einklagen, mag man auch in der SPD nicht.

Doch auch aus einem rein humanistischen Blickwinkel machen die Schönheitskorrekturen der Sozialdemokratin wenig Sinn. Allein die Einführung und Erweiterung des Asylbewerberleistungsgesetzes hat gezeigt, daß jeder erfolgreiche Angriff auf die schwächste Stelle die Ausweitung wie selbstverständlich nach sich zieht. Versuche einer Relativierung, wie sie neben Frau Sonntag-Wolgast auch die SPD-Regierung Brandenburg einbringt, dienen lediglich wahltaktischen Überlegungen. Sucht man doch einen Kompromiß, wo es seit langem "keine Substanz mehr für politische Kompromisse gibt". (Pro Asyl)

Dennoch ist die Bonner Regierung etwas zurückhaltender geworden - zumindest gegenüber der "kalten Abschiebung" von Kriegsflüchtlingen aus Bosnien. Diesen soll nun nach einem neuen Änderungsvorschlag "erst" im Sommer nächsten Jahres die Sozialhilfe gestrichen werden. Weil aber "Geldleistungen bei dezentraler Unterbringung" zuviele Anreize bietet, "in die Bundesrepublik zu kommen und hier zu bleiben", hat man sich trotzdem noch etwas Neues einfallen lassen: Geduldete Flüchtlinge, für die eine "freiwillige Ausreise" nach Auffassung von Sozialamt und Ausländerbehörde nicht möglich ist, sollen in Sammellager eingewiesen werden. Auf Bargeld müssen die Quasi-Internierten dann genauso verzichten wie auf medizinische Versorgung bei chronischen Erkrankungen. Das bißchen persönliche Habe, mit dem Flüchtlinge hier angereist sind, darf regelmäßig nach möglichen Geldvorräten durchsucht werden.

Bei so viel Enthusiasmus aus den Innenministerien fand denn auch Horst Seehofer vergangene Woche kein Halten mehr. Obwohl bereits von der Länderkammer abgelehnt, will der Bundesgesundheitsminister nun doch alle illegal Eingereisten in die geplante Regelung mit einbeziehen. Den Rest erledigt dann die Drittstaatenregelung.