Politik für die deutsche Mehrheit

In ihrem Wahlprogramm erläutern die Sozialdemokraten, wie Deutschlands Stärke wieder zu Geltung kommt, wenn sie regieren

Welcher Satz auf dem Programmparteitag der SPD am 17. April in Leipzig der am häufigsten geäußerte sein wird, das steht schon fest: "Die Antragskommission empfiehlt Ablehnung." Der Satz wird regelmäßig dann fallen, wenn ein Antrag zur Änderung des Wahlprogramms auf der Tagesordnung steht. Wie viele solcher Anträge bis zur Sitzung des SPD-Präsidiums am 16. März eingebracht wurden, wollten die führenden Genossen nicht verraten - "zahlreiche" seien es gewesen, soviel war immerhin zu erfahren. Und dahinter stehe zumeist "die Parteilinke", beklagten sich Schröder-Anhänger.

Der Antragskommission - einem der einflußreichsten Gremien in der Partei, das gleichwohl in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist - kommt nun die Aufgabe zu, von dem Programmentwurf, den der Kandidat Schröder sich selbst auf den Leib geschneidert hat, jegliche Unbill fernzuhalten. Diesmal wird der Kommission ihre Aufgabe nicht sonderlich schwerfallen, denn sie handelt unter jenem Imperativ, der in Leipzig wohl den zweithäufigsten Satz abgeben wird: "Diesmal werden wir es schaffen." Und schaffen werden sie es, da sind sich die Genossen mittlerweile bis weit in den linken Parteiflügel einig, nur durch größtmögliche Unterstützung für Gerhard Schröder - einschließlich dessen Programm. Deswegen wird Leipzig wohl als der Parteitag in die Annalen der deutschen Sozialdemokratie eingehen, auf dem die Sozialdemokraten ohne großen Widerspruch verabschiedeten, was Schröder selbst stolz als "das marktwirtschaftlichste Programm" bezeichnete, "das die SPD je vorgelegt hat".

Vor Monatsfrist hatte der damalige Noch-nicht-Kanzlerkandidat gefordert, Willy Brandts Wahlkampfslogan aus den frühen siebziger Jahren zu reaktivieren: "Wir schaffen das moderne Deutschland." Und in der Tat bringt das Wahlprogramm, das der SPD-Vorstand vergangene Woche verabschiedete, den gewandelten Modernitätsbegriff der deutschen Sozialdemokratie auf den Punkt. "Deutschland ist ein starkes Land", lauten die zufriedenen ersten Worte des Papiers. "Aber es hat eine schwache Bundesregierung." Das soll sich unter Kanzler Schröder ändern: "Wenn es mit Deutschland wieder aufwärts gehen soll, dann führt an einem Regierungswechsel kein Weg mehr vorbei." Schließlich habe man, trotz Kohl, immer noch allen Grund, stolz zu sein, daß man Deutscher ist: "Qualifikation und Leistungsbereitschaft, Erfindergeist und Entscheidungskraft, Mut und Disziplin, Flexibilität, Innovationskraft und Verantwortungsbewußtsein. Auf diese großen Stärken und Traditionen unseres Landes können wir stolz sein."

Bei soviel Sekundärtugend ist es nur mit schreiender Ungerechtigkeit zu erklären, daß in Deutschland noch immer keine Vollbeschäftigung herrscht. "Der Abbau der Arbeitslosigkeit" ist also nicht nur "der Schlüssel zur Lösung der ökonomischen, finanziellen und sozialen Probleme unseres Landes", sondern auch die Grundlage, um "die sozialen Gräben in unserer Gesellschaft zu(zu)schütten und die innere Einheit unseres Landes (zu) vollenden". Da aber das Zuschütten des Grabens immer demjenigen am schwersten fällt, der gerade drinnen steht, brauchen die Arbeitslosen Hilfe bei diesem Unterfangen. Diese erhofft sich die SPD von ihrer jüngst entdeckten Zielgruppe, nämlich den "Leistungsträgerinnen und Leistungsträger unserer Gesellschaft". Der Streit, wer denn diese Leistungsträger seien, ist für die Sozialdemokraten entschieden: "Die Familie gehört zu den wichtigsten Leistungsträgern in unserer Gesellschaft", belehrt uns das SPD-Programm. Vor allem aber setze man "auf die vorausschauenden und engagierten Manager und Unternehmer, auf die innovativen und flexiblen Mittelständler, Handwerker und Freiberufler, auf die mutigen Existenzgründer, auf die hervorragend ausgebildeten Informatikerinnen, Ärztinnen und Ingenieurinnen, auf die erfindungsreichen Techniker und Wissenschaftler und auf die verantwortungsbewußten deutschen Gewerkschaften. (...) Zusammen mit diesen Leistungsträgern unserer Gesellschaft sind wir die Neue Mitte Deutschlands."

Doch die "engagierten Manager und Unternehmer" müssen noch mehr leisten für die grabenfreie Republik: Sie müssen mit Hochdruck managen und unternehmen, denn "eine wettbewerbsfähige Wirtschaft ist die Grundlage für Arbeitsplätze, für Wohlstand und soziale Sicherheit". Und "der marktwirtschaftliche Leistungswettbewerb der Unternehmen ist" nicht etwa die Ursache für Rationalisierung und Massenentlassungen, sondern "der beste Motor für Innovation und neue Arbeitsplätze". Dafür hat sich die Wirtschaft denn auch ein Bonbon verdient, nämlich die "Sozialdemokratische Angebotspolitik - dazu gehört: (...) Senkung der gesetzlichen Lohnnebenkosten - Wirksame Hilfen für Mittelstand und Existenzgründer - Stärkung der Investitionskraft der Unternehmen durch Senkung der Unternehmenssteuersätze - Modernisierung des Staates und Abbau überflüssiger Bürokratie." Angeboten wird auch "eine neue Aufgeschlossenheit für Innovation und technologischen Fortschritt" - dazu gehört: "eine Innovationsoffensive (...) in der Bio- und Gentechnologie" und ein "Innovationsschub in den großen deutschen Schlüsselindustrien, wie Chemie, Maschinenbau und Automobilindustrie", schließlich wolle man, "daß in Deutschland auch in Zukunft die besten Autos der Welt produziert werden. Wir wollen, daß hier auch künftig die wirksamsten Medikamente und die intelligentesten Maschinen hergestellt werden."

Wie im großen, so im kleinen: "Das Angebot für haushaltsbezogene Dienstleistungen" wollen die Sozialdemokraten "in privaten Serviceagenturen bündeln, (Ö) dadurch werden die Kosten der Arbeit für die privaten Haushalte so verbilligt, daß auch Normalverdienende sich Haushaltshilfen leisten können." Das hat zum einen den Vorteil, daß zahlreiche "neue Arbeitsplätzen mit niedrigen Stundenlöhnen" anfallen, zum anderen entstehen in der "Ideenfabrik", die aus Deutschland werden soll, keine Schmuddelecken.

Sauber soll es auch auf dem Arbeitsmarkt zugehen, wo wieder "Recht und Ordnung" einkehren müssen. "Zur Verhinderung von Sozialdumping muß das Prinzip "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort" durch nationale und europäische Regelungen durchgesetzt werden." Polen, Iren und Portugiesen könnten dann für anderen Lohn am anderen Ort gleiche Arbeit leisten - auch ein Beitrag zur Durchsetzung der sozialdemokratischen Forderung "Zuwanderung sozialverträglich steuern", denn schließlich kann "Integration nur gelingen, wenn die Grenzen der Aufnahmefähigkeit und Aufnahmebereitschaft der Gesellschaft beachtet werden. Deshalb wollen wir eine wirksame Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung. Sie muß die Arbeitsmarktlage, die Leistungsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme und humanitäre Gesichtspunkte berücksichtigen."

"Das ist der Bauplan für ein besseres und gerechteres Deutschland": "SPD: Politik für die Mehrheit."