Schützenhilfe vom Auswärtigen Amt

Innenministerium und Verwaltungsjustiz höhlen weiter aus, was SPD und CDU an MigrantInnenschutz im Ausländerrecht übriggelassen haben

Der Brief aus Nürnberg kam für Nawad D. wie aus heiterem Himmel. Nach bald drei Jahren in der BRD forderte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Kurden aus dem Nordirak vergangenen Monat auf, mitzuteilen, was ihn an einer Rückkehr in seine Heimatstadt Arbil weiter hindere: "Nach grundlegender Änderung der politischen Verhältnisse in Ihrem Heimatland", heißt es in dem Schreiben, sei nun ein Widerrufverfahren eingeleitet worden mit dem Ziel, die Duldung aufzuheben - und Nawad D. abzuschieben.

Wurden Duldungen nach Paragraph 51 oder 55 des Ausländergesetzes, dem sogenannten kleinen Asyl, wegen vorübergehender Abschiebehindernisse von den Ausländerbehörden bislang automatisch verlängert, sind seit letztem Herbst die Flüchtlinge in der Beweispflicht: "Legen Sie bitte in deutscher Sprache die Gründe dar, die Ihrer Meinung nach einer Rückkehr in Ihr Heimatland entgegenstehen könnten", verlangte das Bundesamt nun erneut Verfolgungsbelege für die längst erteilte Anerkennung.

Juristisch - zumindest bis zur nächstinstanzlichen Entscheidung - abgesegnet hat dieses Verfahren jetzt das Oberverwaltungsgericht Koblenz: Einem Flüchtling darf demnach per Widerrufverfahren seine asylrechtliche Anerkennung jederzeit wieder aberkannt werden. Eine sorgfältige Überprüfung der Situation erlaube es, so die rheinland-pfälzischen Richter, eine bereits erteilte Anerkennung aufzuheben, wenn sich die Lage im Heimatland "zwischenzeitlich geändert" habe. Und dann darf natürlich abgeschoben werden. Nun stellt sich die Frage, wie lange das in aufenthaltsrechtlichen Prozessen relativ gemäßigte Verwaltungsgericht Freiburg seine Praxis noch fortführen kann.

Die Weisungen für die veränderte Bundesamtspolitik gegen irakische Asylsuchende kommen von oben, aus dem Innenministerium in Bonn. Das zentrale Motiv der verschärften Verfahren: die hohe Anerkennungsquote irakischer Flüchtlinge, besonders aus den kurdischen Gebieten, zu senken. Bereits im März vergangenen Jahres bat Innenminister Manfred Kanther (CDU) das Auswärtige Amt, zu prüfen, ob der Nordirak für Flüchtlinge als "inländische Fluchtalternative" gewertet werden könne. Wie gewohnt scheute sich der Asyl-Hardliner nicht, seine Absichten offen darzulegen: Der "irakischen Migrationswelle" müsse man "gemeinsam und geschlossen mit dem gesamten präventiven und repressiven Instrumentarium" entgegentreten.

Das Auswärtige Amt kam Kanthers Bitte nach. Seit August letzten Jahres liefert es dem Bundesamt die Textbausteine, die sich nun auch in dem Brief an D. wiederfinden: "inländische Fluchtalternative", "fehlende effektive Gebietsgewalt des zentralirakischen Staates", "keine Verfolgung wegen bloßer Asylantragsstellung": Benutzte das Bundesamt die standardisierten Argumente bis zum Herbst vor allem in seinen Ablehnungsbescheiden, ist es seitdem zu flächendeckenden Anfechtungsklagen gegen anerkannte kurdische Flüchtlinge übergegangen: Die Zahl der Widerrufverfahren, in denen Verwaltungsgerichte die vom Auswärtigen Amt gelieferte Argumentation übernehmen, steigt - während die Anerkennungsquote rapide sinkt.

Die Lageberichte - der letzte stammt aus dem Dezember - sind quasi zu asylpolitischen Gesetzesblättern avanciert und wiegen inzwischen schwerer als Paragraphen: Ende Februar meldete das Bundeamt, daß die Anerkennungsquote von irakisch-kurdischen Flüchtlingen in den letzten neun Monaten von neunzig auf fünfzig Prozent gefallen sei. Trotz wiederholter Einmärsche der türkischen Armee kam das Kinkel-Ministerium zu dem Schluß, daß in die Region zurückgekehrt werden könne. Auch der Parteienkrieg zwischen Patriotischer Union Kurdistans (PUK) und der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) stehe einer Heimkehr nicht im Weg.

Mit der Übernahme staatlicher Lageeinschätzungen zur Situation im Irak haben die Richter die Flüchtlingsvermeidungs-Politik des Hauses von Außenminister Klaus Kinkel (FDP) übernommen: So wie die kommunalen Ausländerbehörden ihre Praxis nicht nach dem Wortlaut des Ausländergesetzes, sondern der höchstinstanzlichen Rechtsprechung gemäß ausrichten, so beruht die Widerruf-Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte auf den Auskünften des AA - und das hat gegen Abschiebungen von irakischen Flüchtlingen grundsätzlich nichts einzuwenden. Berichte von Flüchtlingsorganisationen, amnesty international und des UN-Flüchtlingshilfswerks verlieren bei der Asylentscheidung zunehmend an Relevanz. Was zählt, ist der neueste Lagebericht - sei es zum Irak, zu Algerien oder dem Kosovo.

Was das Innenministerium jetzt an den irakischen Kurden exerziert, setzte es bereits ein halbes Jahr vorher gegen kurdische und palästinensische Flüchtlinge aus dem Libanon durch - die Aufhebung ihrer Duldung wegen "veränderter Lage im Herkunftsland".

Und just nachdem das Bundesverwaltungsgericht im September eine Entscheidung des OVG Berlin aufgehoben hatte - das Gericht hatte zuvor drei Vietnamesen die Duldung verweigert, weil sie angeblich "freiwillig ausreisen" konnten -, kündigte Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) an, auch diese Bestimmung über den Bundesrat zu verschärfen. Den Paragraphen 55 des Ausländergesetzes will Diepgen so ändern, daß "derjenige keine Duldung erhält, der nicht bereit ist, freiwillig so schnell wie möglich in sein Heimatland zurückzukehren". Diepgen fordert damit nichts anderes als die Umkehrung der jetzigen Gesetzeslage: Die gesteht - vom höchsten Gericht bestätigt - Flüchtlingen einen grundsätzlichen Anspruch auf Duldung zu, wenn sie de facto nicht zurückkehren können - ob freiwillig oder per Abschiebung.

Diepgens Absicht ist klar: Der rechtswidrige Umgang mit geduldeten Ausländern in Bayern, Thüringen und Berlin soll zur bundeseinheitlichen Norm gemacht werden. Die in diesen Ländern angewandte Behördenpraxis, ausreisepflichtigen MigrantInnen die Pässe abzunehmen und statt dessen mit "Grenzübertrittsbescheinigungen" zu versehen, ist im Ausländergesetz nicht vorgesehen - soll aber hinein. So wie sich Diepgen in Berlin nicht an Gerichtsbeschlüsse gebunden sieht, so auch nicht die bayerische Landesregierung. Als das Münchner Verwaltungsgericht letzten August die Praxis der "Ausreiseschein"-Vergabe als rechtswidrig verurteilte, korrigierte das Innenministerium nicht etwa sein bisheriges Vorgehen - sondern bestätigte seine Weisung an die Ausländerämter. Der Richterspruch wurde als "Außenseitermeinung" abetan, der Bayerische Verwaltungsgerichtshof werde es schon wieder aufheben.

Was sich gesetzlich durchsetzt, ist der Zwang zur freiwilligen Rückkehr: Wer nicht geht, weil er de facto nicht zurückkehren kann - sei es nun als Serbe in die inzwischen kroatisch verwaltete Gemeinde in Bosnien oder als PUK-Anhänger im nordirakischen KDP-Gebiet -, verspielt trotzdem sein Aufenthaltsrecht. Der bürokratische Apparat funktioniert. Durch den Entzug der Duldung erreichen die Behörden, was die Verfechter einer repressiven Anerkennungspraxis mit ihren Weisungen und Gesetzesvorlagen bezwecken: "Illegale" zu schaffen, die die medial begleitete Vorverurteilung alles Fremden nähren. Die konservative Kampagne, Flüchtlinge in die Nähe von Kriminellen zu rücken, geht erneut auf: Wer illegal ist, bestimmt das Gesetz. Und dazu muß es eben immer wieder geändert werden.