Welcome to Spektakelberlin

Gefährliche Orte XXII: Die Hackeschen Höfe in Mitte zwischen Gentrifizierung und Gerontofizierung

Neulich in der Straßenbahn, Linie 3, zwischen den Haltestellen Rosa-Luxemburg-Platz und Weinmeisterstraße. Zwei Romanistikstudentinnen oder Abiturientinnen mit Französisch-Leistungskurs sind im Gespräch mit zwei arabischen Franzosen. Die beiden Jungs erläutern den Mädchen, daß das schlechte Ansehen Deutschlands in der Welt nur an der weltweiten Verschwörung zionistischer Gruppen liegt, worauf diese ihr ganzes Französisch zusammenkratzen und erwidern, Allemagne habe aber trotzdem eine schlimme Vergangenheit. Drei Bänke weiter sitzt ein bereits leicht alkoholisierter Eckensteher in Trainingshosen, der "Scheiß Ausländer" grummelnd am U-Bahnhof Weinmeisterstraße aussteigt und sich in Richtung Kreuzberg/Neukölln oder Wedding davonmacht. Die vier bleiben sitzen und fahren noch eine Tramstation weiter: "Hackescher Markt. Endstation." So geht es heraus aus dem Reale-Widersprüche-Berlin, hinein ins Alles-paßt-zusammen-Simulations-Berlin.

Bienvenu aux Hackesche Höfe. Herzlich willkommen im Spektakelberlin 2000. Im Entstehen begriffen, noch nicht vollendet, aber bereits absehbar. Jenseits der viel stärker symbolbeladenen Orte Potsdamer Platz, Pariser Platz und Friedrichstraße, stehen die Hackeschen Höfe für die neue Erlebniswelt. Nicht so stark mit Hier-entsteht-das-neue-Berlin aufgeladen wie der Potsdamer Platz, nicht so Statussymbol-Retro wie der Pariser Platz und nicht so zum Scheitern verurteilt wie die Friedrichstraße. In den Hackeschen Höfen trifft das alte Berlin das neue, und jeder kann dabeisein, der sich für eine Rotweinschorle hineinsetzen möchte.

Also, an den Lachsbrotverkäufern vorbei und hinein. Die Scheunenviertel-Folklore verleiht der Gegend ein multikulturelles Flair, was umso wirksamer ist, weil das vielbeschworene "jüdische Scheunenviertel" ja der Vergangenheit angehört und somit auch keine Probleme mehr macht, sondern als etwas Exotisches und bedauernswerterweise Vernichtetes konsumiert werden kann (und um es noch einmal zu wiederholen: Wir befinden uns in der Spandauer Vorstadt, das Scheunenviertel war weiter östlich).

Große Fehler können die Hackeschen Höfe nicht machen. Selbst die zwei Wochenenden mit Krawallen zwischen HipHop-Kids und der Polizei steigern eher den Authentizitätsgehalt, als daß sie Besucher abschrecken, und sind somit Imagepflege und Sicherung des Spektakelstandorts Hackesche Höfe. Denn Spektakelberlin 2000 sollte zumindest Ansätze von Wildheit und Zügellosigkeit haben.

Zu wild darf es allerdings nicht zugehen, vor allem nicht zu ungeordnet. Wer wie das Oxymoron zum Tanzen lädt, muß nicht nur eine Außenverglasung in der gleichen Glasstärke wie 1915 einbauen, sondern zusätlich eine baßabsorbierende Parallelverglasung anbringen. Und wer weder Genehmigung noch ausreichende Fluchtwege hat und seine House-Nächte obendrein noch unter einem Verein zur Förderung der afrikanischen Kultur firmieren läßt, der muß schließen, wie das Boom gegenüber. Die Außenfassade des Gebäudes funktioniert "als großformatiger Bildschirm, auf dem die Programme der Hackeschen Höfe golden flackern. Sie lauten: 'Hackescher Hof', 'Galerie Aedes', 'Artificium', 'Varieté Chamäleon' und so weiter. Die dazugehörigen Programmgruppen lauten 'Flanieren', 'Sehen und sich sehen lassen', 'Restaurantbesuch', 'Kino', 'Hofwanderung', 'Erlebnisshopping'" (Uwe Rada: "Hauptstadt der Verdrängung"). Dementsprechend sieht es in den Hackeschen Höfen auch aus: die perfekte Simulation von Bildungsbürger's Paradise. Von einem Kunstbuchladen und einem Antiquariat über eine Boutique und ein Kostümhaus bis zum Feinkostladen: neun Höfe voll edel gekachelter, hübscher Bildungsbürger-Konsumphantasie. Und - im Unterschied zu herkömmlichen Shopping-Malls und deren Erlebnismöglichkeiten - ist alles echt.

Wenn man dann aus dem neunten Hof herausgetreten ist, befindet man sich auf der Sophienstraße und ist nach so viel Gegenwart schon fast in der Zukunft, nämlich bei den Kulturwissenschaftlern der Humboldt Universität. Die haben ihre Seminarräume in ausgebauten Fabriketagen und gehen mittags nicht etwa in die Mensa, sondern essen im Erdgeschoß im amerikanischen Café Barcomi's einen Bagel.

Um die Ecke wird an der Zukunft noch gebaut. Dort werden die Rosenthaler Höfe hochgezogen. Und genau wie bei den Neuen Hackeschen Höfen, einem Block von 13 Neubauten auf einer ehemaligen Freifläche gegenüber den alten Höfen, werden die Bauherren wahrscheinlich keine Mühe haben, Mieter zu finden. Wenn die Gebäude erst einmal fertiggestellt sind und auch die S-Bahnbögen bezogen sind - in denen die Geschäfte sogar bis zehn Uhr abends aufhaben dürfen, so sie auch ein paar Postkarten im Programm haben, weil sie an der Grenze des vom Senat definierten touristischen Gebiets vom Brandenburger Tor zur Museumsinsel liegen -, dann wird es an den Hackeschen Höfen ähnlich aussehen wie am Savignyplatz in Charlottenburg.

Es kann allerdings noch eine Weile dauern, bis hier tatsächlich Horden von gutverdienenden Edeldienstleistern arbeiten und davor, danach und währenddessen die Dienste von Mittel- bis Elenddienstleistern in Anspruch nehmen können. Noch ist es nicht soweit. So wirft eine ungenannt bleibende Boutique so wenig Geld für ihre Betreiber ab, daß die nebenbei noch kellnern und putzen gehen müssen. Und auch der Plattenladen Melting Point hat wahrscheinlich nicht aus ästhetischen Gründen fast seine ganze Verkaufsfläche zusätzlich mit Clubwear vollgehängt und noch einen Friseur mit hineingenommen.

Die nach dem vielbeschworenen Clubsterben in Mitte übriggebliebenen Läden behelfen sich unterschiedlich. Die Bar Eschlorak läßt nur Gäste mit Clubausweis herein, die Galerie Berlin-Tokoyo im Prinzip jeden, es kommen eh nur die Richtigen, die Tanzschule Schmidt darüber ließ offensichtlich immer die Falschen herein, deshalb ist sie seit den Krawallen auch zu. Und das WMF an den Hackeschen Höfen läßt, genau wie das Boom, überhaupt niemanden mehr herein, weil es umgezogen ist und dort, wo früher getanzt wurde, heute bereits fünf Stockwerke eines neuen Bürogebäudes stehen.

Doch wer weiß, vielleicht kommt alles anders. Denn wie Szene-Magazin partysan Berlin schon bemerkte: Neben der Gentrifizierung der Gegend, die schon in vollem Gang ist - das Durchschnittseinkommen in der Spandauer Vorstadt liegt mit mittlerweile 4 000 Mark pro Haushalt schon 1 500 Mark über dem Bezirksdurchschnitt - steht auch noch die Gerontofizierung des Hackeschen Markts an; spätestens wenn das Seniorenheim "Wohnpark Rosenthaler Straße" direkt gegenüber von den Höfen eröffnet. Das lockt mit 131 Pflegeappartements und 36 Wohneinheiten. Die dazugehörige Infrastruktur ist mit dem hundert Meter entfernten Laden "Reha-Treff" und seinem "Ortho- und Prothesenshop" schon gegeben. Und die Gerontos haben nicht nur eine regelmäßiger Rente, im Unterschied zu Yuppies, die ihr Geld noch verdienen müssen, können sie 24 Stunden am Tag konsumieren.