Sex'n'Crime and Gendatei

Der Regierungsentwurf zur Speicherung von DNA-Datensätzen zielt auf eine umfassende Überwachung von Straftätern. Zur Prävention von Sexualverbrechen taugt er kaum

Bereits vor einem Jahr nahm die Polizei den Mann in München fest: Drei Frauen hatte er vergewaltigt, in sieben weiteren Fällen konnten ihm versuchte Vergewaltigung und Raub nachgewiesen werden. Aus der geschlossenen psychiatrischen Klinik, in die der 26jährige nach seiner Festnahme eingewiesen wurde, gelang ihm im vergangenen Herbst jedoch die Flucht nach Holland. Letzte Woche nun teilte die Münchener Polizei überraschend mit, daß der Täter dort schon im November vergangenen Jahres verhaftet worden sei. Aufgrund fehlender Vergleichsdateien konnte die Übereinstimmung aber erst jetzt festgestellt werden. "Angesichts der Verbrechensserie des türkischen Staatsangehörigen" forderte der Münchner Polizeisprecher daraufhin die Einführung einer zentraler DNA-Datenbank: "Da der Mann bereits 1990 wegen eines Sexualdelikts verurteilt worden war, hätte man ihn schon nach der ersten Tat im vergangenen Jahr festnehmen können."

Was dem Bürger der "Schwanz ab!"-Ruf, ist dem Polizisten die Überwachungskartei: Den Volkszorn fest einkalkuliert hatte jedenfalls das Justizministerium (BMJ), als es bereits Mitte März eine Erweiterung des Strafverfahrensänderungsgesetzes ankündigte. Die "kleine Christina", eines der Mädchen, das in den vergangenen Monaten von Männern vergewaltigt und ermordert wurde, war gerade beerdigt worden, als Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig vor die Presse trat: Um die Verfolgung von Sexualstraftätern zu erleichtern, so der FDP-Mann, sollte zügig eine zentrale DNA-Analyse-Datei aufgebaut werden. Schließlich habe die Gen-Analytik in den vergangenen Jahren "eine herausragende Entwicklung" genommen und eigne sich "in hohem Maße" zur Identifizierung eines Täters. Und - welch Wunder - der entsprechende Gesetzentwurf liege auch schon ausgearbeitet vor.

Daß der sogenannte "genetische Fingerabdruck" in Einzelfällen längst erhoben, die Identifikation von Straftätern anhand genetischer Analysen auch in der BRD bereits praktiziert wird, sagte Schmidt-Jortzig nicht. Aus gutem Grund: Läßt sich im Jubel über die Methode - das Entziffern des persönlichen Erbcodes durch Blut-, Sperma-, Speichel-, oder Haarwurzel-Analyse - doch das eigentliche Ziel des Gesetzes prima verschleiern.

Worum es bei der Einrichtung der DNA-Analyse-Datei tatsächlich geht, ist die zentrale Erfassung menschlicher Datensätze - unter polizeilicher Aufsicht. Entgegen der ursprünglichen Fassung ist das Justizministerium mit dem vergangene Woche vorgelegten Entwurf bereits in einem entscheidenden Punkt gegenüber dem Innenministerium Manfred Kanthers (CDU) eingeknickt: Nicht beim Bundeszentralregister, das dem Generalbundesanwalt untersteht, sondern beim Bundeskriminalamt (BKA) soll die Datei nun eingerichtet werden. Wurden zur Anwendung des 1996 vom Bundestag zugelassenen DNA-Verfahrens noch gesetzliche Hürden eingebaut, die die behördliche Weitergabe der gesammelten Gendaten verhinderten, sollen diese zugunsten der zentralen Registrierung nun aufgeweicht werden.

Mit dem erweiterten Personenkreis fängt es an. Entgegen den BMJ-Verlautbarungen treffen die Speicherungsvoraussetzungen nämlich keineswegs überwiegend auf Sexualstraftäter zu. Zur Speicherung der Erbsubstanz genügte - träte der Gesetzesentwurf in Kraft - die Verurteilung zu mindestens einem Jahr Haft. "Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung" tauchen als Erfassungsgrundlage in der Arbeitsvorlage gar nicht gesondert auf. Erst in der Begründung erwähnen die Verfasser aus dem Justizministerium auch Sexualdelikte als mögliche Voraussetzung, unter der die Speicherung von DNA-Profilen erlaubt sein soll. Die Lektüre des Entwurfs zeigt, daß weniger die von Schmidt-Jortzig behauptete Strafprävention als die Zugriffserweiterung im Mittelpunkt steht.

Doch damit nicht genug: "Ist das Verfahren durch eine Verfügung der Staatsanwaltschaft beendet worden, kann eine Speicherung erfolgen, wenn die Ermittlungen im übrigen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage geboten hätten." Der Zugriff auf die Gensubstanz Nichtverurteilter wird bewußt offen gelassen; Schmidt-Jortzigs Beteuerung von letzter Woche, daß "die Gefahr einer Wiederholungstat bestehen" müsse, ist durch die hauseigene Vorlage nicht gedeckt.

Die parlamentarische Opposition hat er mit dem Gesetzesentwurf dennoch auf dem falschen Fuß erwischt. Verärgert äußerten sich bündnisgrüne und PDS-Abgeordnete gegenüber Jungle World darüber, daß ihnen der Gesetzesenwurf bislang nicht vorgelegt worden sei. Offenbar sei man im Koalitionslager darum bemüht, das Gesetz zügig Bundestag und Bundesrat passieren zu lassen, um die Handlungsfähigkeit der Regierung vor den Wahlen noch einmal unter Beweis zu stellen. Eine Schlappe wie bei der Abstimmungsniederlage um den "Großen Lauschangriff" müsse unbedingt vermieden werden.

Die Furcht davor wäre aus Regierungssicht durchaus berechtigt: Zeichnet sich bei der Diskussion um die Gendatei doch eine ähnliche - fraktionsübergreifende - Trennlinie zwischen Bewahrern datenschutzrechlicher Grundsätze auf der einen und Befürwortern erweiterter polizeilicher Befugnisse auf der anderen Seite ab wie bei der Lauschangriff-Entscheidung Anfang März. Nicht überraschen konnte es deshalb, daß die einzige parlamentsinterne Oppsitionskritik von Otto Schily (SPD) kam: Jedoch war es weniger der Entwurf selbst, an dem sich der in Datenschutzfragen kaum von der Regierung zu unterscheidende Schily störte, als der zum Wochenende entfachte Streit zwischen Kanther und Schmidt-Jortzig. Mit seinem Vorwurf an die beiden Minister, ihr Streit verzögere die Errichtung einer Gen-Datei, befindet sich Schily durchaus auf FDP-Linie.

Der koalitionsinterne Streit um den BMJ-Entwurf war Mitte letzter Woche entfacht, als Kanther der Auffassung des Justizministers widersprach, daß für die Einrichtung der Zentraldatei die Strafprozeßordnung geändert werden müsse. Eine einfache "Errichtungsanordnung" seines Ministeriums, so Kanther, reiche hierzu völlig aus - der Gesetzentwurf sei demnach überflüssig. Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Erwin Marschewski (CDU), und Bayerns Justizminister Hermann Leeb (CSU) pflichteten dem Innenminister bei, während Schmidt-Jortzig bei seiner Auffassung blieb. In einem an ihn gerichteten Brief hatte Leeb noch kritisiert, daß der Gesetzentwurf "viel zu eng und viel zu kompliziert" gefaßt sei. Darüber hinaus müßten DNA-Profile "auch zu erkennungsdienstlichen Zwecken erhoben werden können und zwar ohne praxisferne Einschränkungen".

Hinter dem zunächst rein formaljuristischen Streit steht das Bestreben Kanthers, die Möglichkeiten der Gendatei auszudehnen und offenzuhalten. Denn nicht nur die BMJ-Vorgabe, daß DNA-Profile lediglich bei Verbrechen und Sexualdelikten erstellt werden dürfen, ist dem Innenminister zu restriktiv. Auch die für eine Speicherung vorausgesetzte ungünstige Prognose des Täters und die Begrenzung der Speicherfrist auf zwanzig Jahre gehen Kanther nicht weit genug.

Voraussichtlich wird es der FDP-Fraktion wenig nutzen, daß sie sich so geschlossen hinter ihren Justizminister stellt. Auch wenn ihr parlamentarischer Geschäftsführer Jörg van Essen mehrmals versicherte, "daß nur einzelne wenige Daten gespeichert werden, die die Identifizierung des Täters ermöglichen, einen Mißbrauch jedoch verhindern", zeigt das Zugeständnis Schmidt-Jortzigs an Kanther, die Daten beim BKA zu speichern, deutlich, wohin der Zug fährt: Die Daten sollen zu erkennungsdienstlichen Zwecken erhoben werden. Bis die DNA-Analyse von Kriminalbeamten zur Ableitung von Charaktereigenschaften und anderen persönlichen Anlagen genutzt werden darf, ist es dann nur noch eine Frage der Zeit.