Warnung vor »neuem Vietnam«

In Kolumbien sollten Friedensgespräche mit der Guerilla den Präsidentenwahlkampf beeinflussen

Angeblich sind die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) nicht nur die stärkste Guerillaorganisation im eigenen Lande, sondern auch die älteste und größte Rebellenformation in ganz Lateinamerika. Als solche darf sie auch schon mal einen Fehler machen. Am vergangenen Freitag verkündete die Gruppe jedenfalls per Anruf bei der Radiostation RCN in Bogot‡, die am 23. März entführten vier US-Bürger und der Italiener Vito Candela würden nicht mehr verdächtigt, im Dienste Washingtons zu stehen; keiner der fünf habe FARC-Nachforschungen zufolge "Verbindungen zu Sicherheitskreisen".

Der Kommandant der Aktionsgruppe, unter dem Decknamen "Romana" agierend, hatte zuvor noch angedroht, die Entführten zu töten, falls sich herausstellen sollte, daß sie mit irgendeiner US-Behörde - dem Geheimdienst CIA, der Bundespolizei FBI oder der Anti-Drogen-Truppe DEA - zusammenarbeiten sollten. Als "Zeichen des guten Willens", so das Kommuniqué, sei daher einer von ihnen bereits wieder freigelassen worden. Kolumbianische Behörden behaupten hingegen, der US-Bürger Thomas Fiori sei von Sicherheitskräften "befreit" worden.

Von Friedensgesprächen zwischen Regierung und den Guerilla-Organisationen jedenfalls ist kaum mehr die Rede. Die mit der FARC verbündete Nationale Befreiungsarmee (ELN) vermeldete bereits, die USA müßten sich in Kolumbien auf "ein neues Vietnam gefaßt machen". Am 1. April distanzierte sie sich von dem am 9. Februar in Madrid unterzeichneten Zeitplan für Friedensverhandlungen. Francisco Gal‡n als Sprecher der ELN gab bekannt, daß seine Organisation sich aus den Verhandlungen mit der Regierung zurückziehe. Als Grund benannte Gal‡n, die ELN wolle sich nicht zum Spielball der politischen Interessen der Regierung machen lassen. Weder wolle man die Position der Regierung stärken noch sich von einem der Kandidaten in den Wahlkampf einspannen lassen.

Genau dies hatte allerdings Samper mit dem im geheimen zustande gekommenen Vertrag anvisiert, wie Politiker und Beobachter nach Bekanntwerden des Vertrages analysierten. Dessen Bekanntgabe in der spanischen Tageszeitung ABC war denn auch für Gal‡n Stein des Anstoßes, denn der ELN blieb nicht, wie vereinbart, die Zeit, den Plan mit allen Kommandoebenen durchzudiskutieren und zu ratifizieren. Weshalb sich die ELN überhaupt dazu bereit erklärte, erstmals mit der Regierung über einen Frieden zu verhandeln, blieb genauso unklar wie der Zeitpunkt. Schließlich hatten sich die Vertreter der drei Guerilla-Organisationen kürzlich darauf verständigt, nicht mit der als korrupt deklarierten Regierung Sampers, sondern nur mit einer neuen Regierung zu verhandeln. Bei näherem Studium des Dokuments sei einigen der ELN-Comandantes aufgefallen, daß die erste Verhandlungsrunde mitten in die Zeit der Abstimmung über das Präsidentenamt gefallen wäre. Zwischen dem ersten und zweiten Wahlgang, genauer vom 5. bis 7. Juni, sollten sich die Comandantes der ELN mit den Vertretern von Regierung sowie Personen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten treffen, um über einen Friedensvertrag zu verhandeln. Damit wäre nach Meinung Noem' San'ns, selbst Präsidentschaftskandidat, dem Samper-Kandidaten Horacio Serpa der Rücken im zweiten Wahlgang gestärkt worden.

Weiter als San'n ging der ehemalige Generalstabschef Harold Bedoya. Nicht ganz uneigennützig - auch er zählt zu den Präsidentschaftskandidaten - geißelte Bedoya das zustandegekommene Dokument als "politische Erpressung, eine Strategie Sampers, um seinen Kandidaten zu unterstützen". Jedwede Friedensverhandlung wäre zudem nichts weiter als ein Weichwerden gegenüber der Drogensubversion, empörte sich der als Hardliner bekannte Bedoya. Im Amte des Generalstabschefs hatte er keine Möglichkeit ausgelassen, dem Präsidenten das Leben schwer zu machen.

Jeden Anlauf Sampers, mit den Guerillagruppen zu verhandeln, torpedierte der Armeechef, indem er sich Weisungen widersetzte oder einfach eine neue Offensive einleitete. Das Scheitern der militärischen Option versuchte Bedoya allerdings gerne dem Präsidenten anzuhängen, den er als "Vaterlandsverräter" betitelte. Zuletzt Anfang März, als eine Einheit Elitesoldaten von der FARC beinahe aufgerieben wurde. Mindestens 70 Soldaten verloren dabei ihr Leben, wofür Bedoya den Präsidenten verantwortlich machte, der sich nicht entscheiden könne, was er wolle und damit die Armee demotiviere und handlungsunfähig mache.

Mit seiner Position, Bürgerkrieg und Drogenhandel allein mit militärischen Mitteln, mit "Blut und Feuer", zu begegnen, hat sich der 59jährige bei der Mehrzahl der Wähler nicht gerade beliebt gemacht: Umfragen zufolge liegt er mit etwa 14 Prozent an dritter Stelle.

Das Rennen wird sich wohl zwischen dem Kandidaten der liberalen Partei, Serpa Uriba, und dem der konservativen Erneuerung, Andrés Pastrana, entscheiden. Allerdings wird den Umfragen zufolge keiner von ihnen im ersten Wahlgang triumphieren, weshalb Pastrana derzeit versucht, eine "große Allianz" zu schmieden.

Er will die beiden unabhängigen Kandidaten Noem' San'n und Alfonso Valdivieso für sich gewinnen und damit den Favoriten Serpa möglicherweise überrunden. Valdivieso, ehemaliger Staatsanwalt und lange Zeit von den USA favorisiert, hatte wegen der Wahlkampfspenden des Cali-Kartells gegen Samper ermittelt und diesen damit in größte Verlegenheit gebracht.

Serpa, der seit Mai letzten Jahres die Umfragen konstant anführte, hat seinen Vorsprung vor Pastrana mittlerweile eingebüßt. Seit Ende März hat Pastrana die Nase vorn, und auch die Parlamentswahlen vom 9. März endeten mit einem Denkzettel für die liberale Partei. Aber auch die Konservativen mußten Federn lassen. Die eigentlichen Gewinner der Wahlen waren unabhängige Kandidaten und Reformer, die nicht mit Korruption und dem Drogengeschäft in Verbindung gebracht wurden. Gerade die Kritiker des herrschenden politischen Systems hatten gut abgeschnitten, so daß der ehemalige Führer der Guerilla M-19, Antonio Navarro Wolf, von einer "Protestwahl gegen Korruption und Vetternwirtschaft" sprach.

Während der konservative Pastrana sich eines guten Leumunds zu erfreuen scheint, wird Serpa mit der katastrophalen Bilanz der Ära Samper in Verbindung gebracht. Zudem könnte ihn die allzu durchsichtige Verhandlungsinitiative mit der ELN nun weitere Stimmen kosten - ein Verdienst seines ehemaligen Dienstherrn Samper, der wohl seinen Traum vom Ehrenplatz in den kolumbianischen Annalen endgültig begraben muß.