»Leadership Issues«

In den USA nimmt man die Fußball-WM diesmal richtig ernst

Wenn im Fußball alle kapieren, daß es langsam ernst wird, wird Personalpolitik gemacht. In den USA heißt Fußball Soccer, und deswegen fliegen dort nicht wie hierzulande die Trainer, sondern eher schon mal die Kapitäne.

Um seine Jungs so richtig für die anstehende Fußball-WM in Frankreich zu motivieren, hat US-Nationaltrainer Steve Sampson in der vergangenen Woche seinen Kapitän John Harkes aus dem Team geworfen. Die Begründung lautet knapp amerikanisch "leadership issues". Das klingt so schön, daß man es nicht übersetzen mag, und eine Anwendung auf Jürgen Klinsmann, den Kapitän der DFB-Elf, beinahe verunmöglicht wird. Harkes, der in der US-Major League Soccer (MLS) für Washington kickt, erwies sich als wenig geknickt: "Ich habe die Entscheidung zu respektieren, und hoffentlich erhalte ich noch mal die Chance zurückzukehren."

Wer so dankbar seinen eigenen Rausschmiß kommentiert, denkt nicht im eigenen, sondern im nationalen Interesse. Und darum geht es für die USA in Frankreich. Mit Deutschland und Jugoslawien sind die USA in einer Vorrunden-Gruppe der WM 1998 in Frankreich - das ist sportlich schwierig, aber zu schaffen. Aber auch der Iran ist Gruppengegner, und dies macht die WM für die USA zu einer ernsten Sache.

Alan I. Rothenberg, Präsident des US-Fußballverbandes und Cheforganisator der letzten Weltmeisterschaft, nimmt die Sache so ernst, daß ihm nur ein Witz dazu einfällt, den er der New York Times erzählte: "Das einzige, wie man das noch steigern kann, wäre, wenn die FIFA einen irakischen Schiedsrichter benennt."

Das Blatt, das den Witz kolportierte, kommentierte gleich ganz seriös, das habe "wenig mit Sport und alles mit Politik zu tun". Und wenn die wichtigste Zeitung der USA das Ereignis so kommentiert, beweist sie zugleich, daß der Fußball, der hier nur Soccer heißt, ernster genommen wird als noch vor zehn Jahren.

Da gab es noch keine Profiliga, statt dessen allerlei Versuche zu erklären, warum so wenig Tore fallen und warum man den Ball beim Fußball nicht mit der Hand aufnehmen darf. Gleichwohl war Fußball schon Volkssport, aber überhaupt nicht vergleichbar mit Football, Baseball, Eishockey. Fußball wurde in den Colleges und Nachbarschaften gespielt, oft als Coedsoccer, also gleichberechtigt von Männern und Frauen. Und die Frauen waren immerhin auch Weltmeister 1991. Seit 1996 gibt es die MLS, im Schnitt kommen 14 000 bis 15 000 Fans in die Stadien, und mit ABC sowie mit dem Sportkanal ESPN wurden langfristige Fernsehverträge abgeschlossen.

Leichte Rückschläge im Zuschauer- und Quotenbereich will man durch die Fußball-WM wettmachen, wenn sich nämlich die US-Boys in der Welt des Fußballs beweisen.

"Das Spiel gegen den Iran müssen wir gewinnen", erklärte Steve Sampson, der seinen Nationaltrainerjob seit 1995 ausübt. Sampson ist US-Amerikaner und achtet sehr darauf, daß der Fußball in seinem Land nicht mehr den Anschein einer Operettenliga hat, wie noch 1977, als mit Pele, Franz Beckenbauer und Gerd Müller internationale Stars eingekauft wurden. Damals ging die Liga bald pleite. Heute aber sind die Clubs der MLS dazu verpflichtet, keinem Spieler mehr als 195 000 Dollar pro Jahr zu zahlen. Damit bekommt man gute Kicker aus dem In- und Ausland, aber keine Weltstars.

Sampson setzt auf junge Spieler. Er benannte Talente wie Brian McBride und Jovan Kirovski für seinen Kader, die sowohl unbeeindruckt vom Können der Brasilianer, Franzosen, Italiener und Deutschen aufspielen als auch dem US-Soccer langfristig Perspektiven geben sollen. Und so schlecht steht sein Team nicht da. Brasilien und Frankreich hält er für die WM-Favoriten, Argentinien, Niederlande und Deutschland hat er auch auf seiner Rechnung, aber sonst rage niemand heraus: "Von der Spitze bis zum Boden sehe ich Gleichheit", sagt er und unterstreicht ganz nebenbei, daß er die aphoristische Dialektik schöner Fußballweisheiten beherrscht.

Das hat auch etwas mit der gewandelten Bedeutung des Fußballs zu tun. Wer den Fußball in den achtziger Jahren zum Volkssport in den USA machte, waren die Mittelklassen.

Mittlerweile wird der Soccer vor allem von Einwanderern gespielt, die sich, wie es sonst nur im Boxen bekannt ist, ihren sozialen Aufstieg erhoffen. Die New York Times erklärt sich das mit der speziellen Sprache des Fußballs, "a language of it's own" sei das. Da kämen auch die Immigranten zum Zuge, die noch kein Englisch sprächen. Ein Trainer aus New York, Martin Jacobson, der von dem Blatt interviewt wurde, sagte: "Diese Welle von Immigranten in der Innenstadt ist es, die das Spiel überhaupt möglich macht." Bei ihm trainieren 15-, 16jährige, die in ihrer Heimat spielen gelernt haben. "Die werden Vorbilder für die jüngeren, in Amerika geborenen Kids. Die Zukunft hat schon angefangen. Ich hatte Anrufe von Nike und Adidas."

Aus solchen Nachwuchszentren rekrutiert sich die MLS und am Ende die Nationalmannschaft. Daß da auch ein wirtschaftlich höchst ertragreicher Boden beackert wird, hat beispielsweise der Sportartikelhersteller Nike schon erkannt: 120 Millionen Dollar überwies Nike dem US-Verband, speziell für die Nachwuchsförderung. Und damit seine Jungs auch kapieren, wie ernst diese Weltmeisterschaft ist, greift Steve Sampson auch schon mal zu ganz harschen Personalentscheidungen.