Akzeptierende Jugendarbeit mit Naziskins

Befreite Zone Tostedt

"Von einer gewaltbereiten rechtsextremen Szene ist nichts mehr zu sehen", betont Bernd Rutkowski, Leiter eines Streetworker-Projekts mit rechten Jugendlichen in der 8 000-Seelen-Gemeinde Tostedt in der Nordheide. Wenn doch, ist nicht seine "kleine braune Truppe" schuld, sondern die Opfer der Übergriffe und Anschläge, die "provoziert haben". So auch am frühen Morgen des 19. April.

Gegen 2 Uhr pöbelten in dieser Nacht an einer Aral-Tankstelle etwa 15 von Rutkowskis "gewaltfreien Jungs" Kunden an und bespritzten sie mit Bier. Als zwei Mitglieder der Menschenrechts-initiative prison watch international (pwi) hinzukamen und sich wehrten, war das Provokation genug für die Skins: Mit Reizgas griffen sie Sidik A. und Lars G. an, dann attackierten sie G. mit Schlägen und Tritten. Nach einer ärztlichen Notversorgung brachten Mitglieder der Menschenrechtsinitiative den 19jährigen in eine Klinik im benachbarten Buchholz.

Als die kleine Gruppe um 4.20 Uhr nach Tostedt zurückkehrte, wurde sie erneut von den Naziskins angegriffen. Bei dieser weitaus brutaleren Attacke, berichtet die pwi-Vorsitzende Heidi Lippmann-Kasten, verletzten die Neonazis die 22jährige Lena B., die seitdem mit einer Schädel-fraktur und inneren Blutungen im Krankenhaus liegt, sowie Sidik A. und Andreas K. Die von Anwohnern gerufene Polizei verfolgte nicht die Täter, sondern nahm die Personalien der Opfer auf. "Das war ein gezielter Angriff auf unsere Mitglieder", sagt Lippmann-Kasten. Dagegen meint Uwe Lehmann vom Zentralen Kriminaldienst: "Die Angreifer wußten nicht, daß die Opfer Mitglieder der pwi sind. Wir gehen nicht von einem gezielten Angriff aus."

Wie Streetworker Rutkowski möchte Lehmann nicht von einer organisierten militanten Nazi-szene in der Region Tostedt reden. Dabei machen die rund 50 Naziskins um Sascha Bothe und Sebastian Stöber, beide Mitglieder der Jungen Nationaldemokraten, seit Jahren von sich reden. Bereits 1991 verübten sie einen Brandanschlag auf das Jugendzentrum in Buchholz; bis 1994 griffen sie auf offener Straße vermeintlich links aussehende Jugendliche an. Erst als diese sich wehrten, beschloß die Samtgemeinde Tostedt 1995 ein Projekt gegen "politischen Extremismus" und gab "das Problem gewaltbereiter Jugendlicher" an den Verein "Reso-Fabrik" ab. Dessen Geschäftsführer Rutkowski enwickelte ein Streetwork-Projekt für den Ortsteil Handeloh. Von diesem Konzept der "akzeptierenden Jugendarbeit" angetan, ließ die Samtgemeinde zwei Doppelgaragen zu dem Jugendtreff "Baracke" umbauen.

Bothe und Stöber nahmen das Angebot dankend an und gestalteten, unterstützt von Hamburger Neonazis und ungestört von den Sozialarbeitern, die Baracke zu ihrem Zentrum aus. Nicht ohne Stolz versichert Stöber, daß die Baracke "der Anziehungspunkt für die Skins in der Nordheide" geworden ist. "Solange Kommunikation mit Hardlinern möglich ist, werden sie erst einmal toleriert", erklärt Rutkowski. "Wir akzeptieren sie als Menschen."

Wie weit die Akzeptanz geht, zeigte Rutkowski im Sommer 1996. Nach dem Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft hatten etwa 20 Nazi-skins unter Leitung von Bothe das Jugendzentrum überfallen, wo eine Gruppe polnischer Austauschschüler übernachtete. Ein 17jähriger Pole wurde schwer verletzt. Nach diesem Vorfall schloß die Samtgemeinde die Baracke. Rutkowski warf sich jedoch für seine Jungs ins Zeug, und nach zwei Wochen war der Skinhead-Treff wieder geöffnet. Die "Skinheads Tostedt", wie sie sich selbst nennen, unterstützten Rutkowski mit einem Offenen Brief, in dem sie demonstrierten, wie der Streetworker sie resozialisiert hatte. Sie entschuldigten sich für den Überfall: Es habe sich um eine Verwechslung gehandelt, eigentlich habe es die Antifa treffen sollen.

Auch nach dem jüngsten Angriff bewiesen die Skins ihre Resozialisierung. In einer Pressemitteilung verkündeten sie, der Vorfall an der Aral-Tankstelle sei von den Linken provoziert gewesen. "Den beiden Personen", straften sie Lehmanns These Lügen, sie hätten nicht gewußt, mit wem sie es zu tun hatten, "war es bewußt, daß es Probleme gibt, wenn man als bekennender Linksextremist zwischen einer Gruppe Skins steht." Auch künftig "wird man in Tostedt mit dem Schlimmsten rechnen müssen, da die Provokationen von linker Seite nicht aufhören." Unterschrieben: "Skinheads Tostedt. April 1998, im Jahr 109" - nach Hitlers Geburt.