Die Rechte kommt

Nach ersten "Tabubrüchen" bereiten Frankreichs bürgerliche Parteien eine Koalition mit den Rechtsextremen vor

Frankreichs Rechte strebt nach Einigung und erhält dabei publizistische Unterstützung. So weiß der Leitartikler des stockkonservativen Figaro-Magazine, Alain Griotteray, in seiner Kolumne vom vergangenen Sonnabend: "Die UDF ist tot, es lebe La Droite!" Griotteray, ein - nunmehr ausgetretenes - Gründungsmitglied der liberal-konservativen Parteienbündnisses UDF, saß bereits 1988 bei einer Wahlkundgebung von Jean-Marie Le Pen, dem Vorsitzenden des Front National (FN), demonstrativ in der ersten Reihe. "La Droite" ("Die Rechte") ist ein Projekt von Charles Millon, dem regionalen Präsidenten Lyons. Am 17. April kündigte Millon vor einem Publikum von rund 4 000 Personen - bürgerliche und FN-Wähler gleichermaßen - an, eine solche neue Partei zu gründen. Auf der nationalen Ebene hat er dafür allerdings bisher keine "großen" Namen der Politik anwerben können.

Dabei scheinen sich die "Tabubrüche" in der Frage von Allianzen mit den Neofaschisten des FN einzubürgern: "Viereinhalb" französische Regionalregierungen basieren mittlerweile auf der Unterstützung des FN - nach einigen Rücktritten gab es zwischendurch nur drei. In vier Fällen wurden die Regionalpräsidenten direkt mit Hilfe einer Stimmenmehrheit aus bürgerlichen Parteien und Rechtsextremen in ihr Amt gehievt; Millon beispielsweise. Auch Jacques Blanc in Montpellier, Jean-Pierre Soisson in Dijon sowie Charles Baur in Amiens verdanken einer solchen Allianz ihre Posten. Der "halbe" Fall spielte sich in Rouen ab, wo das Oberhaupt der regionalen Exekutive zwar ohne FN-Stimmen gewählt wurde, die konservativen Regionalparlamentarier dann aber dem rechtsextremen Politiker und engen Le Pen-Vertrauten Dominique Chaboche zum Amt eines Vizepräsidenten der Region verhalfen. War die öffentliche Aufmerksamkeit über diese regionalen Bündnisse am Anfang enorm, so spielt das Thema in den Medien nur noch eine sekundäre Rolle, ganz offensichtlich ist die erste Aufregung der regionalpolitischen Routine gewichen.

Die angekündigte Gründung von La Droite ist ein weiteres Symptom für das Abbröckeln der bürgerlichen Rechtsparteien. Unter dem Druck des Front National und ihrer inneren strategischen Widersprüche in der Bündnisfrage erleben diese derzeit eine Zerreißprobe. Auf einer Vorstandstagung der UDF vom 24. und 25. März erwies sich ein Konsens als unmöglich, weshalb im Anschluß der christdemokratische Chef innerhalb des UDF-Konglomerats, Fran ç ois Bayrou, die Absicht bekundete, "eine neue Mitte-Rechts-Partei zu gründen". Mittlerweile hat Bayrou diesen Schritt zwar hinausgezögert und einer Urabstimmung aller UDF-Mitglieder den Vorzug gegenüber einer unmittelbaren Abspaltung gegeben. Doch die Differenzen innerhalb der bisher zweitgrößten bürgerlichen Formation im Lande, scheinen nicht mehr überbrückbar. Bei einer erneuten Sitzung der UDF-Führung am 8. April bestätigte sich dieser Eindruck. So war man sich uneinig, ob den mit Hilfe des FN gewählten Regionalpräsidenten ein Parteiausschluß widerfahren solle. Alain Madelin, Chef der größten UDF-Formation Démocratie libérale (ehemals Parti Republicain) und Anführer des marktradikalen Flügels der Liberalen, widersetzte sich automatischen Sanktionen gegenüber den Protagonisten solcher Allianzen.

Nicht einmal über die Details der Urabstimmung, die nunmehr bis im Juni abzuhalten ist, konnte sich die UDF-Vorstand einig werden: Zehn Tage lang wurde an dem Fragebogen gearbeitet, bis man sich auf die Möglichkeiten verständigen konnte, welche der Mitgliedschaft des Parteienbündnisses zur Verfügung stehen. Zwischen vier Optionen wird diese nunmehr wählen können: Entweder wird die UDF in zwei große Formationen getrennt, eine "zentristische" (in der politischen Mitte) und eine ultra-marktwirtschaftlich "liberale". Oder die Mitgliedsorganisationen der UDF - diese besteht zur Zeit aus fünf politischen Parteien zuzüglich der Abteilung der "Direktmitglieder", die nur dem Dachverband angehören, plus einer weiteren angeschlossenen Partei, der bürgerlich-ökologischen Génération ƒcologie - werden miteinander verschmolzen, um aus dem Konglomerat UDF eine einheitliche Formation zu bilden. Dritte Möglichkeit ist eine noch weitergehende Fusion: zusammen mit der neogaullistischen Bewegung RPR in einer großen Einheitspartei der Rechtsopposition aufzugehen. Diese Variante wird von der Mehrheit der RPR- und UDF-Wählerschaft favorisiert, vom RPR-Vorstand erklärtermaßen abgelehnt. Schließlich können die UDF-Angehörigen als vierte Alternative dafür votieren, daß alles beim alten bleibt.

Alain Madelin allerdings meldete sich am Abend des 19. April im Fernsehen zu den UDF-Strukturen zu Wort und erklärte, er werde die Démocratie libérale unabhängig von der Mitgliederbefragung auffordern, "sich nicht in einer Magma, einer zähen Masse der politischen Mitte aufzulösen". Damit scheint Madelin die Gründung einer radikal-wirtschaftsliberalen Partei vorzubereiten, die sich deutlich von einer Mitte-Rechts- Formation absetzen und dem FN gegenüber "bündnisfähig" sein könnte. Auffällig ist, daß die Mehrheit der derzeitigen Vorreiter einer Allianz mit dem FN im liberal-konservativen Lager aus dem Umfeld Madelins kommen. Ende der sechziger Jahre hatte Madelin als junger Heißsporn der rechtsextremen Studentenbewegung Occident seine Karriere begonnen, Anfang der neunziger Jahre versuchte er dann, das Vorbild des italienischen Medienzaren und Parteigründers Silvio Berlusconi nach Frankreich zu importieren und gründete in Anlehnung an den Berlusconi-Fanclub Forza Italia den "Clubs Idées - Action". Doch die herkömmlichen bürgerlichen Parteistrukturen zeigten sich in Frankreich widerstandsfähiger als in Italien. Madelin gab aber nicht auf, und ist aktuell der Politiker im bürgerlichen Lager, der sich am wenigsten gegenüber dem FN abgrenzt. Zugleich experimentiert er seit einigen Monaten damit, eine Profilierung mit "liberalen" Positionen nicht nur im wirtschaftlichen Sinne zu suchen, sondern darüber hinaus auch im gesellschaftlichen Sinne. So forderte Madelin im vergangenen Sommer auch eine liberale Drogen- oder Migrationspolitik.

Das ist nicht unbedingt ein Widerspruch zum erkennbaren Annäherungskurs an den Front National, sondern eher eine Strategie nach der Devise "Getrennt marschieren und vereint schlagen", um auf beiden Seiten ein breiteres Publikum zu erreichen. Das national-autoritäre, staatlich-repressive Profil würde somit dem FN überlassen, ohne ihm auf diesem Feld unnötige Konkurrenz zu machen. Selbst können sich die liberalen Konservativen so als "modern", marktgläubig und pro-europäisch darstellen, um beide Stimmenpotentiale nach erfolgreich bestandenen Wahlen eventuell wieder zusammenzuführen. Der gemeinsame Wille zur Eroberung der politischen Macht würde die auseinanderstrebenden Ideen eventuell überbrücken, heftige Rivalitätskämpfe sind dabei aber nicht ausgeschlossen.