Nur ein Platz am Katzentisch

Durchlebt die kurdische PKK eine Krise? Oder stößt sie schlicht an die Grenzen nationaler Befreiungsbewegungen?

Glaubt man der jüngsten Medienberichterstattung, befindet sich die PKK, bedingt durch militärische Erfolge der türkischen Armee, derzeit in einer Krise. Die Waffenstillstandsangebote durch PKK-Chef Abdullah Öcalan oder ein unter seinem Pseudonym Ali Firat verfaßter selbstkritischer Artikel in der PKK-nahen Zeitung Özgür Halk werden als Schwäche der PKK und Bestätigung der Siegesmeldungen des türkischen Militärs gewertet. Diese lassen verlauten, die PKK-Guerilla sei "marginalisiert", und nun müsse ihr durch politische und wirtschaftliche Aufbaumaßnahmen im Südosten der Türkei endgültig das Wasser abgegraben werden. Dem stehen Behauptungen PKK-naher kurdischer Organe über die anhaltend gute militärische Position der Guerilla und die großen Erwartungen für die Zukunft entgegen. Als jüngster "schwerer Schlag" wird der Fall des von türkischen Sicherheitskräften im Nordirak gekidnappten Ex-Guerillaführers Semdin Sakik gehandelt, der sich nach einem schweren Zerwürfnis mit Öcalan in die Obhut der Kurdisch-Demokratischen Partei Iraks begeben hatte und nun angeblich bei den türkischen Behörden auspackt. Die Aussagen Sakiks wurden offensichtlich unmittelbar in Militäroperationen gegen PKK-Stellungen in der türkisch-irakischen Grenzregion umgesetzt.

Die derzeitige politische Situation der PKK läßt sich jedoch nicht aus der militärischen Logik des Konflikts mit dem türkischen Staat ermitteln. Inwieweit die PKK tatsächlich an Grenzen gestoßen ist, die nationalen Befreiungsbewegungen generell und der PKK durch die besonderen Umstände des Kurdistankonflikts gesetzt sind, läßt sich nur über die gesellschaftliche Bedeutung der PKK und ihrer Position gegenüber dem nationalstaatlichen Machtgefüge einschätzen. Die auf der Fiktion einer homogenen türkischen Nation beruhende Politik der Zwangsassimilation und des inneren Kolonialismus bildet den wichtigsten Hintergrund für den Erfolg der PKK-geführten kurdischen Nationalbewegung seit den achtziger Jahren. Der entscheidende Durchbruch zu einer massenwirksamen, tendenziell alle gesellschaftlichen Kräfte bündelnden nationalen Befreiungbewegung gelang der PKK ab 1990. Die Gewalteskalation des türkischen Staates als Reaktion auf kurdische Unruhen trug zum ab da gewaltig gewachsenen Rekrutierungspotential der PKK-Guerilla bei.

Wesentlich für den Erfolg der PKK war auch ihre zu großen Teilen auf ethnisch-nationaler Identitätspolitik beruhende Befreiungsideologie, die zunächst vor allem die marginalisierte Jugend der Städte und ländlichen Gebiete Kurdistans mobilisierte. Zentral war dabei der kämpferische Entwurf eines "authentischen" Typus des kurdischen "neuen Menschen" als Kern einer homogenen Volksidentität, in die auch der von der PKK beanspruchte Sozialismusbegriff vor allem in Form moralischer Ansprüche an die "revolutionäre" Persönlichkeit der Subjekte einfloß. So wie die PKK dem kemalistischen Wahn der türkischen Nation eine kurdische Identität entgegensetzte, agierte sie auf der politischen Ebene vor allem als Gegenstaat.

Die vom bewaffneten Kampf forcierte nationale Identitätsbildung wirkt aber längst als Katalysator für religiöse, regionale und ethnische Identifikationsprozesse, die über ein homogenes Nation-Building der PKK hinausgehen. Die Stimme der Identität ertönt inzwischen auch aus anderen, sich nicht türkisch-national definierenden Teilen der türkischen Gesellschaft. Die hauptsächlich kurdischen Aleviten bestimmen sich zunehmend über ihre religiöse Identität. Vom Mainstream des kurdischen Nationalismus wird das als Separatismus aufgefaßt; die PKK sieht darin eine Taktik des türkischen Geheimdienstes zur Spaltung der kurdischen Bewegung. Wie die durch türkische Kriegspolitik bewirkte kurdische Diaspora für die PKK einen wichtigen Faktor bildet, werden auch die vom kurdischen Nationalismus divergierenden Identitätsprozesse wesentlich aus dem europäischen Exil gefördert.

Auf neue Kommunikationstechnologien gestützte kulturelle Globaliserungsprozesse spielen dabei eine zunehmend wichtigere Rolle. So fördert beispielsweise das Satellitenfernsehen noch von der PKK hegemonialisierte MED-TV eine Deterritorialisierung der kurdischen Frage. Auf lange Sicht dürfte aber die kulturelle Globalisierung gerade dadurch, daß sie eine weltweite Diskurskonjunktur ethnizistischer und kulturalistischer Differenzideologien befördert, eine monolithische Hegemonie der PKK über das kurdische Nation-Building eher begrenzen.

Ideologisch zeichnet sich bei der PKK ein Ausbau der in ihrem politischen Diskurs schon immer angelegten völkisch-nationalen Elemente zum Populismus ab. Zunehmend werden auch islamistische Tendenzen integriert; Öcalan vergleicht seine Rolle für "das kurdische Volk" inzwischen regelmäßig mit der eines Religionsstifters und Propheten. Dies liegt in Affinitäten des politischen und symbolischen Diskurses der PKK zum Islamismus begründet: Ethnisch-nationale und religiöse Identitäts- und Gemeinschaftsideologien sind strukturell ähnliche Reaktionen auf die desintegrierenden Momente der abstrakten Warenvergesellschaftung unter kapitalistischen Verhältnissen.

In ihrer politischen Praxis hat sich die PKK-Führung schon länger auf ihre militärischen Grenzen eingestellt und sich diplomatisch um eine politische Lösung des Konflikts unter Wahrung der türkischen Staatsintegrität bemüht. Ihr ist wohl bewußt, daß sie damit ein von den herrschenden Staatsmächten bereitetes Feld beschreitet, in dem nationale Befreiungsbewegungen allenfalls einen Platz am Katzentisch der "internationalen Staatengemeinschaft" erhalten. So bemüht sich die PKK um eine Selbstdarstellung als gemäßigte legitime Vertretung des kurdischen Volkes, mit der sich politisch nach Art der PLO ins Geschäft kommen ließe. Nicht zufällig zielt sie dabei vor allem auf die BRD ab.

Öcalan diente sich 1996 in einem Welt-Interview sogar dem deutschen Streben nach weltpolitischer Geltung an - Deutschland müsse "seine Bedeutung begreifen und seine eigenen Interessen verfolgen" - und nannte es "unwürdig", daß viele Deutsche "ihre Eigenart verleugnen und lieber lauter kleine Amerikaner sind". (Vielleicht sollte die Solibewegung den Mann mal zu einem Studienaufenthalt über "deutsche Eigenart" in eine der neuen braunen Zonen in Brandenburg einladen). Auch Sakik hat den türkischen Behörden offenbar von Kontakten der PKK zum Verfassungsschutz und anderen deutschen Behörden berichtet, was von Vertretern der Bundesregierung sogleich dementiert wurde.

Dem türkischen Staat hat die PKK seit fünf Jahren Vorschläge für eine föderative politische Lösung des Kurdistankonfliktes unterbreitet und mit mehreren befristeten einseitigen Waffenstillständen bekräftigt - diese sind also weder neu noch einer Schwäche der Guerilla geschuldet. Neu ist allenfalls der betont staatstragende Gestus, mit dem sich Öcalan direkt an die Militärs als eigentliche Machtinstanz im türkischen Staat wendet. So schlägt die PKK-Führung den Generälen vor, einen historischen Kompromiß mit dem Kurdentum zum Ausgangspunkt für eine Runderneuerung der Legitimationsgrundlagen des türkischen Staatswesens zu machen und dessen Krise aufzulösen. Die PKK hat erkannt, daß das Zukunftsmodell Anerkennung multipler Identitäten heißt und daß sie in einem plural-integrativen Staatskonzept ihre Chancen als politischer Machtfaktor wahren könnte.

Was einer Anerkennung der PKK als legitimer politischer Kraft wie der PLO entgegensteht, ist aber nicht ihre autoritäre Struktur. Auch Arafats Führungsstil ist nicht minder autoritär, und die palästinenesische Autonomiebehörde kann sich in puncto Menschenrechtsverletzungen durchaus mit der PKK messen. Entscheidend für eine Anerkennung von nationalen Befreiungsorganisationen wie PKK oder PLO ist ihre Glaubwürdigkeit, sich an die von den internationalen Staatsmächten vorgegebenen Spielregeln zu halten. Gelingt ihnen dies, werden Menschenrechtsfragen genauso zweitrangig wie zwischen den existierenden Nationalstaaten. So sehr sich die PKK um diesen Seriositätsbeweis bemüht - der Einheitswahn und die staatsautoritäre Verkrustung der herrschenden politischen Kräfte in der Türkei stehen dem nach wie vor entgegen.

Diese Beobachtungen legen nahe, von einem auf nationale Befreiungsbewegungen fixierten Internationalismusverständnis Abstand zu nehmen. Forderungen der Kurden wie die Aufhebung des PKK-Verbotes und ein Ende der militärischen und politischen Unterstützung des türkischen Regimes durch die BRD sind dennoch genauso aktuell wie jene der PKK nach einer politischen Lösung im Kurdistankonflikt. Schließlich ist auch die Forderung nach sofortiger Freilassung von Internationalisten und Internationalistinnen wie Eva Juhnke oder dem Journalisten Damiano Frisullo ebenso unterstützenswert wie die nach Freilassung aller anderen politischen Gefangenen in der Türkei und nach Abschaffung der politischen Sondergesetze. Von der Vorstellung allerdings, daß sich über eine begrenzte pragmatische und humanitäre Ebene hinaus bei der PKK Anknüpfungspunkte für eine emanzipatorische Umwälzung der herrschenden Verhältnisse finden ließen, muß die internationalistische Linke wohl Abschied nehmen.