Eine Zeitschrift teilt sich

Sklavengeschichte

Es ist nicht heraus, ob wir uns 1998 im "Spaltjahr" oder im "Rätseljahr" befinden. Einiges immerhin spricht dafür, daß ersteres der Fall ist, was jedenfalls das Spektrum linker und halblinker Zeitschriften angeht, bei denen in der letzten Zeit faszinierende Phänomene von Spaltungen und Abspaltungen zu beobachten waren. Es begann, sehr merkwürdig, mit der kuriosen Doppelgründung einer Zeitschrift in Weltbühnen-Nachfolge und

-Format, und es pflanzte sich nun fort mit der, ebenfalls kurios anmutenden Spaltung des Sklaven in zwei auf den ersten und auch noch auf den dritten Blick praktisch identische Zeitschriften mit der weitgehend gleichen Autorenschaft und dem weitgehend gleichen Konzept, den Sklaven und dem Sklaven Aufstand.

Der Grund für die im "Rätseljahr 1998" (Sklaven) bzw. im "Spaltjahr 1998" (Sklaven Aufstand) vollzogene Spaltung ist nicht in politischen und ästhetischen Differenzen zu sehen, sondern in verlagsinternem Zwist, der im übrigen weder von der einen noch von der andern Seite motiviert und öffentlich gemacht wird. Es ging, wie immer bei derlei Konflikten, um die Verteilung von Geld und um die Verteilung von Arbeit (siehe Interview).

Sklaven - Name und Schriftzug entstammen einem Projekt von Franz Jung von 1928 - ist eine seit vier Jahren in Berlin erscheinende Monatszeitschrift für Literatur, Ökonomie und Philosophie, die der Kern jener Szene herausgibt, die in den Medien "Prenzlauer-Berg-Connection" genannt und als impertinente Stasifiliale angesehen wird. Hier findet statt eine kritische Überlieferung der DDR-Alltagsgeschichte sowie eine durch die Begebenheiten des Jahrhunderts geläuterte Revision des Marxismus, hier gibt es erhellende Studien zur "deutschen Raketenforschung aus weiblicher Sicht", hier erscheinen unter anderem rasante Eingreifgedichte von Bert Papenfuß, die Absonderlichkeiten des Alltags rubrizierende "T-Tag"-Kolumnen von Wolfram Kempe und, als Hauptstück, bislang unveröffentlichte Texte des 1963 gestorbenen Revolutionärs, Irrläufers, Romanciers, Schiffsräubers, Rote-Hilfe-Inspekteurs und Streichholz-Fabrik-Direktors Franz Jung, der im Westen vor allem mit seiner Autobiographie "Der Weg nach unten" bekannt geworden ist.

Franz Jung, seine Texte und seine Biographie sind eine Art gemeinsamer Bezugspunkt der ansonsten eher disparaten Szene, in der sich die gesamte Konterbande des linken Spektrums aufhält: Anarchisten, Marxisten, Hedonisten, Situationisten, die "Glücklichen Arbeitslosen" und, vor allem, nicht so glückliche Literaten. Schwer zu sagen, was sie verbindet: Vielleicht die Suche nach einer illusionslosen und unkorrumpierten Ästhetik des Widerstands gegen ein bloß auf Geschäfte und Gewinne versessenes Establishment.

Das erste, in verändertem Layout erschienene Heft der neuen Sklaven-Redaktion betont den philosophischen Aspekt und bringt z.B. Wolfgang Englers instruktive Analyse der Prophezeiungen und "Versehen" des "Kommunistischen Manifests" sowie Klaus Wolframs Auseinandersetzung mit der Bürgerbewegung; die beiden Hefte des Sklaven Aufstand, die bereits erschienen sind, wirken mit "How to sing the blues", einer Bastelanleitung in DDR-Fassung von Annett Gröschner, oder Friedhelm Schrootens Kfz-Gutachten des Iso Rivolta von Andreas Baader etwas literarischer und gewitzter. Aber man muß ja nicht wählen. Die Regel, geteiltes Heft ist doppeltes Heft, gilt vorerst auch hier.