Bremen, Bundeswehr und Bambule

Vor 18 Jahren löste eine Rekrutenvereidigung im Weserstadion blutige Straßenschlachten aus. Für Juni ist in Bremen wieder ein öffentliches Gelöbnis angekündigt

Öffentliches Rekrutengelöbnis der Bundeswehr im Bremer Weserstadion. Über 10 000 Demonstranten setzen der Polizei mächtig zu. Die Bundeswehrgegner werfen Pflastersteine und Molotow-Cocktails. Polizei- und Militärfahrzeuge gehen in Flammen auf. 257 Polizisten und Soldaten tragen Verletzungen davon.

Genau 18 Jahre ist es her, daß Bremen Schauplatz einer der heftigsten Auseinandersetzungen zwischen Staat und damals als "Politrockern" bezeichneten militanten Linken wurde. Am 6. Mai 1980 sollte mit dem "ersten öffentlichen Massengelöbnis der Bundeswehr" eine "zentrale symbolische Feier für die 25jährige Mitgliedschaft der Bundesrepublik im westlichen Bündnis" stattfinden, so der Weserkurier damals. Folgerichtig waren neben ranghohen Bonner Politikern und Lokalprominenz auch Nato-Generäle aus anderen Staaten zugegen.

Anfang Juni soll sich die Bundeswehr jetzt wieder in Bremen öffentlich präsentieren. Die Nato-Mitgliedschaft Deutschlands ist es nicht mehr, was es symbolträchtig zu feiern gilt, Volker Rühe treibt anderes um: Nach den negativen Schlagzeilen für die Bundeswehr trat der Wehrminister im Januar die Flucht nach vorne an: Mit "sehr vielen öffentlichen Gelöbnissen" wolle er "in diesem Jahr ein besonderes Signal setzen". Und die angekündigte Serie von Rekrutenvereidigungen hat auch in Norddeutschland längst begonnen. Es scheint, als taste sich die Bundeswehr über kleinere Städte wie Grasberg, Celle oder Lüneburg zu den gefährlicheren Orten vor. Schon allein des Mythos von 1980 wegen ist Bremen dabei ein heikler Ort.

Heikel allerdings weniger für die Bundeswehr als für den Chef der großen Koalition im kleinsten Bundesland, den Sozialdemokraten Henning Scherf. Geschickt hat sein langjähriger Widersacher, der Bremer CDU-Landesvorsitzende und Kohl-Vertraute Bernd Neumann, die Debatte über ein öffentliches Gelöbnis in der Hansestadt gestartet. "Signale aus Bremen" habe Rühe erhalten, berichtete die Lokalredaktion der taz Anfang Februar, daß auch in Bremen ein Rekrutengelöbnis stattfinden könne. Offenbar witterte die in der Koalition mit der SPD bislang eher blasse CDU die Chance, sich mit der Werbeveranstaltung für Rühes Truppe auf Kosten ihres Koalitionspartners profilieren.

Die Christdemokraten spielen die Rolle der Vernünftigen, indem sie ein neuerliches Gelöbnis im historisch belasteten Weserstadion ablehnen und es statt dessen am 9. Juni auf dem "volksnahen" Marktplatz durchgeführt wissen wollen. Die SPD hingegen hat in der Debatte keine gute Figur gemacht. Während Landesvorstand und die überwiegende Mehrheit der Bürgerschaftsfraktion Gelöbnisse außerhalb von Kasernen grundsätzlich ablehnten, sagte Bürgermeister Scherf, man müsse "den Wunsch der Bundeswehr respektieren". Ein Wunsch, der sich in dieser Form erst auf Anregung der Bremer CDU regte und der inzwischen schon in einem Koalitionsbeschluß festgehalten ist: Der Senat beschloß Anfang März, ein Gelöbnis an einem "exponierten Platz" in Bremen zu veranstalten. Die SPD als Regierungspartei müsse "aufpassen, daß sie jetzt nicht durch eine noch so begründete Position der reinen Lehre den Senat bei der Ausübung der Verantwortung alleine läßt", rechtfertigte der Bremer SPD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Kritiker einer solchen Veranstaltung, Volker Kröning, in einem Interview mit der taz die Haltung der SPD-Senatoren.

Eine schwierige Rolle spielt in der Diskussion Hennig Scherf, gilt er doch als exponierter Vertreter der SPD-Linken. Während der Zwei-Meter-Mann in den achtziger Jahren schon mal aus Solidarität mit den Sandinisten zum Ernteeinsatz nach Nicaragua flog, präsentiert er sich den Medien heutzutage lieber als Taufpate eines neuen Kriegsschiffes der Bundesmarine. "Ich kann doch nicht weiter so reden wie ich in den fünfziger und sechziger Jahren geredet habe." Heute mache die Bundeswehr schließlich "reale europäische Friedenspolitik".

Fast noch absurder die Position der Bremer Grünen. Obwohl in der Opposition suchen auch sie nach dem besten Paradeplatz. Zur Erfüllung des Auftrages "Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus" sei ausgerechnet die deutsche Armee "notwendig", so der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Hermann Kuhn. Folgerichtig wünscht sich die Partei der ehemals Gewaltfreien "eine nachdenkliche Veranstaltung", am liebsten in dem ehemaligen U-Boot-Bunker Farge bei Bremen, in dem sich während des zweiten Weltkrieges russische Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge zu Tode schuften mußten.

Welche Seite die Polit-Show letztlich als Sieg verbuchen kann, ist noch nicht ausgemacht. Scherf, der vor 18 Jahren als Jugendsenator von seinem heutigen Koalitionspartner Neumann als "Aufwiegler" bezeichnet und zum Rücktritt aufgefordert worden war, weil er sich an der damaligen Demonstration beteiligt hatte, hat zuletzt beim Konflikt zwischen Bundesrat und Bundestag über die Bedingungen des "Großen Lauschangriffs" und den Konflikten in der Bremer Regierungskoalition über die "Wehrmachtsausstellung" bewiesen, daß er geschickt genug ist, durch seinen pastoralen Habitus zum Schluß als der "große Vermittler" dazustehen.

Ob es tatsächlich eine gute Idee ist, eine Rekrutenvereidigung mitten in "Bremens guter Stube" - wie die Innenstadt genannt wird - zu veranstalten, ist ebenfalls noch nicht geklärt. So spöttelte die in letzter Zeit nicht gerade als bundeswehrkritisch hervorgetretene taz: "In Bremens City würde eine Scherben-Schlacht drohen, die militärische Romantik ginge im Blaulicht unter." Schließlich sind auch die Bremer Autonomen langsam aufgewacht und beginnen, in ihren Szene-Organen Bambule und Kassiber über mögliche Gegenaktionen zu debattieren.