Europäer aller Länder, vereinigt Euch!

Der Euro ist eine Schlappe für Nationalisten im allgemeinen, für die Deutschen im besonderen.

Fast könnte man Schröder vergessen und sich auf seine alten Tage noch zur Sozialdemokratie hingezogen fühlen: Während die Rosaroten von Dublin bis Warschau die entschiedensten Fürsprecher der Europäisierung sind, sitzt die dunkelrote Konkurrenz in der Schmollecke und nimmt übel.

Marx' kategorischer Imperativ "Die Proletarier haben kein Vaterland" gilt ihnen nichts, statt dessen machen sie in Patriotismus und schrecken dabei vor keinem Bundesgenossen zurück: Die französische KP stimmt zusammen mit dem Front National gegen die Maastrichter Verträge, der Vorsitzende der KP Österreich gibt der Fascho-Presse ein euro-feindliches Interview, in Deutschland fordert die PDS, vorläufig noch ohne formelles Bündnis, ebenso wie die radikale Rechte ein Referendum.

Dabei ist die rot-braune Volksfront gegen den Euro kein Zufall, sondern notwendige Konsequenz der von ganz rechts bis ganz links geschürten Globalisierungs-Phobie: In diesem Wahnbild ist Kapitalismus nicht per se zerstörerisch und entfremdend, sondern nur, sofern er via Weltmarkt zum "Turbo-Kapitalismus" mutiert - wobei in der rhetorischen Schlammschlacht auch gerne "Brüssel", "Wallstreet" oder dem (nicht zufällig als jüdisch apostrophierten) "Superspekulanten" George Soros die Schuld für diese Entwicklung zugeschoben wird. Bei Marx las sich das noch umgekehrt: Für ihn hatte die Bourgeoisie, die er ansonsten schnellstens expropriieren wollte, mit der Globalisierung eine historische Mission zu erfüllen. "Die nationalen Absonderungen und Gegensätze der Völker verschwinden mehr und mehr schon mit der Entwickelung der Bourgeoisie, mit der Handelsfreiheit, dem Weltmarkt, der Gleichförmigkeit der industriellen Produktion und der ihr entsprechenden Lebensverhältnisse. Die Herrschaft des Proletariats wird sie noch mehr verschwinden machen. Vereinigte Aktion, wenigstens der zivilisierten Länder, ist eine der ersten Bedingungen seiner Befreiung", heißt es im "Manifest".

Die Globalisierung bringt also die "Bedingungen seiner (des Proletariats) Befreiung" - nicht die Befreiung selbst. Mit der Einführung der Euro-Währung, die man in Marx' Worten durchaus als "vereinigte Aktion wenigstens der zivilisierten Länder" definieren könnte, verhält es sich ebenso: Sie selbst bringt nichts Positives, sondern schafft nur Voraussetzungen. Ihr Vorteil liegt im Negativen, besser: im Negatorischen. Sie wird wenig ändern an Arbeitslosigkeit und sozialer Not - aber sie zerstört die wirtschaftliche Grundlage der Mächtekonstellation, die in zwei Weltkriege geführt hat: die Spaltung Europas in konkurrierende Nationalökonomien.

Scheitert die Währungsunion aber - und schon eine Verschiebung birgt durch kumulative Effekte auf den Finanzmärkten dieses Risiko -, so wird die Deutsche Mark den Euro in dieser Rolle substituieren, allerdings nur auf einem Teil des Kontinents. Es würde sich verfestigen, was sich bereits in Ansätzen herausgebildet hat: Eine großdeutsche Interessenssphäre von Maastricht bis an die Memel. Bereits heute sind die nationalen Währungen in Österreich, den Benelux-Staaten, im Baltikum und in Bulgarien an die Deutsche Mark gekoppelt.

Diese Länder müssen die restriktive Geldpolitik der Bundesbank nachvollziehen, was im konkreten bedeutet: Sie müssen kostbares Kapital, das sie für Subventionen oder den Sozialetat brauchen können, einsetzen, um den Kurs ihrer Währung im Austausch zur Deutschen Mark zu stützen. Besonders kraß ist die Lage auf dem Balkan: Dort ist das jeweilige Nationalgeld durch den Druck der Mark völlig zerstört worden. Bosnien-Herzegowina schließlich ist währungspolitisch ein Bundesland der BRD: Dort ist die Deutsche Mark Staatswährung, offiziell von der Regierung in Sarajevo anerkannt.

Für die Einführung des Euro steht vor allem Helmut Kohl. Doch wie lange wird der deutsche Rekordkanzler noch regieren? Selbst wenn er nicht an seine Wahlniederlage im Herbst 1998 glauben will: Schon aus Altersgründen sind seine Tage gezählt. Es wird bereits spekuliert, ob er während der nächsten Legislaturperiode zurücktritt und die Geschäfte an Wolfgang Schäuble übergibt - den "Kerneuropa"-Strategen der Union.

Ein Vergleich von Kohl und Bismarck drängt sich auf - auch dessen Rücktritt war eine epochale Zäsur, die für Deutschland den Übergang zum imperialistischen Zeitalter markierte. Kohl und Bismarck haben beide ein mächtiges Reich geschaffen, das die Tektonik des gesamten Kontinents störte - beide waren klug genug, in der Folge durch ein ausgetüfteltes Vertragssystem die europäische Balance zu suchen und den Einfluß des Emporkömmlings nicht als gefährlicher Zündler, sondern als "ehrlicher Makler" zu mehren.

Die Kunst des Politischen fand an der Ökonomie ihre Grenze: Zur Verteidigung des "Standort Deutschland" brauchte es im Ausgang des 19. Jahrhunderts den wirtschaftlichen, politischen, schließlich den militärischen Angriff. Man braucht nicht viel von Geschichte zu verstehen, um daraus, wie Kohl, die böse Prognose abzuleiten, daß "die europäische Einigung eine Frage von Krieg und Frieden im 21. Jahrhundert ist".