Große Koalition der Taktiker

Regierungsbildung in Sachsen-Anhalt gerät zum Muskelspiel zwischen SPD und CDU. Die PDS will "mehr als nur Petting"
Von

Den gebeugten Gang hat Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reinhard Höppner nicht vom vielen Vorsprechen in der Bonner Parteizentrale. Dennoch gilt als ausgemacht, daß der Druck der Parteispitze auf Höppner enorm ist - sie hat Angst vor einer neuen Rote- Socken-Kampagne der CDU im Bundeswahlkampf. Höppner hätte ein Regierungsbündnis mit der PDS in jedem Fall einer wie auch immer gearteten Zusammenarbeit mit der CDU vorgezogen. Auch die Basis im Land lehnt eine Koalition mit der CDU mehrheitlich entschieden ab. Der Kreisverband Westliche Altmark faßte gar einen förmlichen Beschluß gegen eine Große Koalition, um Höppner gegen den Druck aus Bonn "den Rücken zu stärken". In dieser Zerreißprobe betonen Höppner und der Parteivorsitzende Rüdiger Finkentscher immer wieder, die für diese Woche geplanten Gespräche mit der CDU seien "ergebnisoffen". Höppner lehnte es auch ab, von Koalitionsverhandlungen zu sprechen, vielmehr werde ausgelotet, welche Formen der Zusammenarbeit möglich seien.

Hinter den Vorbehalten gegen der CDU stecken nicht nur persönliche Animositäten und noch weniger politische Differenzen. Auch der Wahlerfolg der DVU beschäftigt die SPD und CDU in Sachsen-Anhalt selbst rhetorisch kaum mehr. Die Ost-SPD fürchtet vielmehr, daß ein Bündnis mit der Kohl-Partei bei der Bundestagswahl im Osten Deutschlands viele SPD-Wähler vergraulen würde. Wer behauptet, die neue Zeit einläuten zu wollen, darf sich nicht mit den Repräsentanten des Alten verbünden - so die Logik.

Zwar warnt SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder seine Genossen immer wieder öffentlich davor, durch eine Zusammenarbeit mit der PDS sein Konzept der neuen Mitte zu versauen. Aber inzwischen scheint sich auch die SPD-Zentrale auf ein mögliches Scheitern der Verhandlungen mit der CDU vorzubereiten. Eine PDS-geduldete Regierung sei eine Möglichkeit, erklärte Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering überrraschend am vergangenen Wochenende und stellte sich einer weiteren Verteufelung der PDS entgegen: Es gebe Schlimmeres. Offenbar versucht die SPD jetzt, dem Lagerwahlkampf Hintzes die Munition zu nehmen, indem sie die PDS, sehr zu deren Freude, aus der Schmuddelecke holt.

Dennoch bedeutet das nicht, daß sich Höppner einfach mit der PDS ins Bötchen setzen und sich durch die nächste Legislaturperiode schippern lassen darf. Nur ein Fünftel der Wahlberechtigten wohnt in Ostdeutschland. Im Westen jedoch genießt die PDS längst nicht das Ansehen und die Akzeptanz wie im Osten. Das Jahr 1994 wirkt bei den SPD-Wahlkampfstrategen noch nach. Kurz nach der Bildung der PDS-tolerierten Minderheitsregierung durch Höppner trat die CDU ihr Rote-Socken-Kampagne los. Auch wenn sie damit im Osten eine Bauchlandung erlitt, bei den Sozialdemokraten gilt als sicher, daß die Kampagne zum Scheitern Scharpings bei der folgenden Bundestagswahl beigetragen hat.

Ein kleiner Trost für die SPD: Auch für die CDU stellt die Situation in Magdeburg ein Dilemma dar. Treibt sie die SPD der PDS in die Arme, wäre das zwar eine gute Vorlage für eine modifizierte Neuauflage der Rote-Socken-Kampagne, andererseits böte eine SPD-CDU-Koalition in Sachsen-Anhalt den Christdemokraten die Möglichkeit, doch noch als Siegerin aus dem Wahldebakel hervorzugehen, was in der gegenwärtigen Situation für die CDU ein wichtiger Motivationsfaktor sein könnte. Auch die CDU kann also beiden Optionen etwas abgewinnen, weshalb sie versucht, in der Sondierungsphase möglichst souverän aufzutreten und sich trotz der schlechten Ausgangslage kraftmeiernd am parlamentarischen Muskelspiel beteiligt. Man werde zwar Koalitionsverhandlungen mit der SPD führen, erklärte Fraktionschef Bergner am Sonntagabend, nachdem sich die Parteispitze beratschlagt hatte. Sollten solche Verhandlungen aber als "Kapitulationsverhandlungen" angelegt sein, lasse man sie scheitern.

Bergner reagierte damit auf die von verschiedenen SPD-Politikern immer wieder süffisant vorgetragene Bemerkung, von einer Großen Koalition könne angesichts des miesen CDU-Ergebnisses ja wohl kaum die Rede sein.

Möglich, daß es noch sehr lange dauert, bis in Magdeburg eine Regierung gebildet wird. Denkbar ist eine rein taktische Verhandlungsführung beider Seiten. CDU wie SPD könnten ein Interesse daran haben, die Verhandlungen scheitern zu lassen und den Schwarzen Peter dafür der jeweils anderen Seite zuzuschieben.

Die PDS versucht unterdessen weiter, die SPD zu ködern. 1994 wurde Höppner erst im dritten Wahlgang gewählt, jetzt bieten die Demokratischen Sozialisten an, ihm schon im ersten Wahlgang ins Amt zu helfen. Das ist nicht unerheblich: In Sachsen-Anhalt braucht es für die Wahl des Ministerpräsidenten im Landtag eine absolute Mehrheit. Kommt die in zwei Wahlgängen nicht zustande, reicht im dritten die relative Mehrheit. Die hat die SPD gegenüber CDU und DVU, wenn sich die PDS im dritten Wahlgang einfach der Stimme enthält. Die Enthaltungs-Lösung wurde von SPD wie PDS bisher als angenehmste Form der Tolerierung betrachtet, da sie nur eine indirekte Form der Beteiligung der PDS an der Regierungsbildung darstellt. Vorteil für die PDS: Sie kann sich weiter als Oppositionspartei darstellen, Vorteil für die SPD: Sie läßt ihren Ministerpräsidenten nicht von der PDS wählen. Doch was 1994 kein Problem war, ist heute durchaus eines. Durch die Anwesenheit der DVU wäre in der geheimen dritten Abstimmung nicht mehr gewiß, ob Höppner nicht auch durch DVU-Stimmen an die Macht gelangen würde. Daher bietet die PDS nunmehr an, Höppner bereits im ersten Wahlgang aktiv zu wählen.

Wahltaktisch nutzt der PDS die Diskussion in jedem Fall. Zumal die nächste Landtagswahl, nach der eine PDS-Regierungsbeteiligung diskutiert werden wird, schon bald ins Haus steht. Mecklenburg-Vorpommern wählt sein Landesparlament am selben Tag wie den Bundestag. Das dort bestehende CDU-SPD-Bündnis gilt als äußerst brüchig. Die SPD hat ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der PDS schon mehrfach betont. Und auch die PDS will, so Landesparteichef Helmut Holter, endlich mal "mehr als nur Petting".