Rühe spricht sich frei

Nach vier Monaten Bundeswehr-Untersuchungsausschuß sind sich alle einig: Nichts als Einzelfälle

Mosaiken sind Kunstwerke, zusammengefügt aus unzähligen Einzelteilen, die sich einem erst aus einem gewissen Abstand erschließen. Fehlt der, erkennen Betrachter lediglich einzelne bunte Steinchen. Die Donnerstag letzter Woche beendeten Befragungen von Zeugen im Bundestags-Untersuchungsausschuß zu rechten Tendenzen in der Bundeswehr erinnern an diesen Effekt. Seit dem 14. Januar hatte der zum Untersuchungsausschuß mutierte Verteidigungsausschuß des Bundestages über 100 Stunden Soldaten, Politiker und Wissenschaftler zu rechtsextremistischen Vorkommnissen in der Truppe vernommen, die im letzten Jahr vor allem von der Presse aufgedeckt worden waren. Die Abgeordneten konnten dabei auf 170 laufende Meter Akten zurückgreifen.

Das Resümee dieses von Bündnisgrünen und Sozialdemokraten gegen den Widerstand des Verteidigungsministeriums initiierten Kraftaktes zog letzten Donnerstag nach einer vierstündigen Vernehmung der letzte Zeuge - ein vor den Kameras strahlender Verteidigungsminister Volker Rühe. Er bedauerte, daß die Aufklärung etwa des Auftritts des Rechtsterroristen Manfred Roeder in der Führungsakademie nicht dem Ministerium und einer von ihm vorgeschlagenen Kommission unabhängiger Sachverständiger überlassen worden sei. Doch mit dem Ergebnis der Ermittlungen des Ausschusses ist seiner Ansicht nach nun "die zentrale These zusammengebrochen, daß sich in den Streitkräften bedenkliche Strukturen entwickeln". Schließlich seien "zwei oder drei Übeltäter noch kein strukturelles Element". Es handele sich durchweg um bedauerliche Einzelfälle.

Da auch die Verteidigungsexperten von SPD und Grünen, Walter Kolbow und Angelika Beer, in ihren Abschlußstatements zurücksteckten, fühlte sich Rühe nach eigenen Worten schließlich wie in einem "Unterstützungsausschuß" für die Bundeswehr. So betonte Kolbow, daß die Bundeswehr nie unter Generalverdacht des Rechtsextremismus gestanden habe. Deutlich geworden sei im Ausschuß lediglich, daß es in der Bundeswehr strukturelle Mängel gebe, vor allem im Wehrpflichtigenbereich. Auch Angelika Beer monierte nur noch, daß die Bundeswehrführung nicht rechtzeitig auf rechtsextremistische Vorkommnisse in der Truppe reagiert habe. Ein erschreckendes Ergebnis war für sie zudem, daß Generäle die Wehrmacht als traditionswürdig ansehen. Schlußfolgerung des Verteidigungsministers: "Der Gewinner ist die Bundeswehr, das ist ganz klar am Ende dieses Ausschusses."

Die Opposition machte es dem auf Wahlkampf orientierten Politiker einfach, in der Siegerpose dazustehen. Und das, obwohl sich im zentral behandelten Fall Roeder hohe Offiziere an der Hamburger Führungsakademie als politisch schlichte Charaktere offenbarten, die sich den Neonazi und verurteilten Rechtsterroristen Manfred Roeder 1995 zum Vortrag ins Haus luden. Thema: "Die Übersiedlung von Rußlanddeutschen in den Raum Königsberg". Der einstige Chef des Akademiestabes, Oberst Norbert Schwarzer, nannte den Vorfall vor dem Untersuchungsausschuß "wirklich peinlich". Als er Monate nach dem Auftritt von einem Oberstleutnant über die Identität Roeders informiert worden war, verzichtete er auf eine Meldung an den damaligen Akademieleiter, General Hartmut Olboeter, weil er diesen "nicht beunruhigen" wollte. Gras sollte über die Sache wachsen. Bester Boden für weitere Aktionen Roeders, der schließlich sogar mehrere Bundeswehrfahrzeuge für sein "Deutsch-Russisches Gemeinschaftswerk" in Kaliningrad loseisen konnte.

Ein Einzelfall, befördert durch unbedarfte Offiziere, die sich mit Roeder nach Gesprächen auf "einer Wellenlänge" fühlten, die einschlägige Warnungen des Militärischen Abschirmdienstes und Bemerkungen im Verfassungsschutzbericht nicht kennen wollten.

Ein bedauerlicher Einzelfall, darauf besteht Volker Rühe. Ebenso wie die sogenannten Skandalvideos von Hammelburg und Schneeberg, auf denen Soldaten und Vorgesetzte Exekutionen, Vergewaltigungen und den Hitlergruß simulierten. Nicht zu vergessen die Beschimpfungen von albanischen Soldaten durch Unteroffiziere während des Sfor-Einsatzes in Bosnien. Die Albaner wurden von einem Oberfeldwebel und einem Stabsunteroffizier "Scheiß-Juden" genannt, die man "in die Gaskammer stecken" oder an "die Genickschußanlage stellen" sollte.

Diese publik gewordenen Fälle - 170 Vorkommnisse registrierte die Wehrbeauftragte vergangenes Jahr - haben eine Basis, die auch mit Hilfe des Untersuchungsausschusses erfolgreich aus der öffentlichen Diskussion verdrängt wurde: In fast jeder Bundeswehrkaserne wird der Wehrmacht gehuldigt; Nazi-Generälen wie Martini in Osnabrück, Röttiger in Hamburg, Jagdfliegern wie Mölders und Marseille. Die Infanterieschule Hammelburg unterstützte im Oktober 1997 die Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger bei ihrem 43. Bundestreffen. Im Bücheler Fliegerhorst des Jabo-Geschwaders 33 wird das Jagdgeschwader 52 gewürdigt. Gästen und Soldaten wird dort bis heute verkündet: "Mit über 10 000 Luftsiegen, die im Frankreichfeldzug, in der Schlacht um England, auf dem Balkan und in Rußland errungen wurden, gilt das JG 52 als erfolgreichster Jagdverband der Welt." Ein Offizier bemerkte gegenüber der Grünen-Abgeordneten Angelika Beer, daß Besuchergruppen aus Rußland immer ganz traurig seien, "wenn sie sehen, wie weit wir in ihrem schönen Land gekommen sind".

Wer "wir"? Ein geistiger Abstand zur Wehrmacht ist oft kaum noch auszumachen. So kündigte der Chef der Luftlande / Lufttransportschule in Altenstadt, Oberst Friedrich Jeschonnek, auch erst vor dem Untersuchungsausschuß des Bundestages an, daß auf seine Anordnung hin künftig der "Kreta-Tag" am 20. Mai nicht mehr wie bisher mit einem feierlichen Appell der Schule begangen werde. An jenem Tag hatten 1941 deutsche Fallschirmjäger Kreta besetzt. Gekappt wird diese Traditionsline allerdings nicht - die Feier wird lediglich verschoben - auf den Volkstrauertag.

Erinnert man sich dann noch an den Generalmajor Gerd Schultze-Rhonhof, der nach seinem Abschied in dem Buch "Wozu noch tapfer sein?" unter anderem den Angriffskrieg gegen Polen damit rechtfertigte, daß viele Deutsche damals nur darauf gewartet hätten, dem ethnischen Unrecht an der deutschen Minderheit ein Ende zu setzen, dann gewinnt das Bild an Schärfe. Die "Einzelfälle" setzen sich wie fingernagelgroße Steinchen zu einem längst noch nicht vollständigen Mosaik zusammen. Nein, die Bundeswehr ist keine durchweg rechtsradikale Truppe, aber zunehmend offener auftretende Neonazis dürfen sich in dieser Gemengelage aus nationaler Gesinnung, der ungebrochenen Verehrung von Wehrmachtshelden und politischer Blindheit durchaus heimisch fühlen.

Rühe hat Grund, weiter zu mauern. Eine wissenschaftliche Untersuchung der Werteorientierung bei der Bundeswehr wies er erneut zurück. Für sinnvoll hält er lediglich Untersuchungen unter Jugendlichen insgesamt. Warum nicht so selbstbewußt wie der Kommentator von Soldat und Technik? Der schrieb, selbst wenn sich eine Mehrzahl der Soldaten "als eher rechts der Mitte einstufen sollten, wäre dies keineswegs alarmierend. Wen wundert es, daß in der katholischen Kirche die meisten Mitglieder katholisch sind?"