The Winner Is the Majority

ABC setzt die Comedy "Ellen" ab, weil Hauptdarstellerin Ellen DeGeneres zu genau weiß, wie man sich Männer vom Hals hält

Was verbindet den US-amerikanischen Präsidenten mit einer US-amerikanischen Fernsehanstalt? Richtig. Beide müssen auf ihre Quoten achten. Während Clinton jedoch, um seine Quoten zu sichern, anerkennend den Daumen heben mußte, als ein lesbisches Paar letztes Jahr auf dem White House Correspondents' Dinner vor seinen Augen und denen der versammelten Fotografen schmuste, kann sich ABC einen lesbischen Sit-Com-Star wegen sinkender Quoten nicht mehr leisten. Ellen DeGeneres, Titelfigur der nach ihr benannten ABC-Serie "Ellen", wurde der Stuhl vor die Tür gestellt.

Die Serie über die alleinlebende Buchhändlerin Ellen Morgan und ihre Freunde und Freundinnen lief seit 1994. Bis April letzten Jahres war Ellen heterosexuell. Passenderweise am Tag der Walpurgisnacht aber wurde ausgesprochen, was klugen Serienfans schon immer schwante: Ellen hatte ihr Coming out als Lesbe. Endlich machte es Sinn, daß sie auf charmant burschikose Weise sich die Männer vom Hals zu halten wußte oder - wie komisch - es nie wirklich mit ihnen klappen wollte. Was in dieser Woche Spiel war, war in der Woche zuvor Leben.

Ellen DeGeneres outete sich gemeinsam mit ihrer Freundin, der Hollywood- Schauspielerin Anne Heche ("Volcano", "Wag the Dog"). In der Septembernummer der Zeitschrift George wurde Anne Heche dafür noch an Nummer eins der "20 most fascinating women in politics" gesetzt, weil für sie mit diesem Bekenntnis angeblich mehr auf dem Spiel stünde als für Ellen DeGeneres. Warum, weiß Max zwei Monate später: Glücklicherweise bekomme Anne Heche bislang auch weiterhin "Hetero-Rollenangebote". Während bei Anne Heche die Fragen aufkommen, wie eine Lesbe auszusehen hat, ob eine Lesbe glaubwürdig eine heterosexuelle Frau spielen kann und Männer sie auch weiterhin sexy finden, macht Ellen/Ellen mehr Probleme. Seit sie sich geoutet hat, will sie auch Frauen küssen und mit ihrer neuen Liebe über eine "Trauungs"-Zeremonie vor der Kamera reden dürfen.

Das war zuviel für ABC und für die Southern Baptist Convention. Die Baptisten wollten so etwas überhaupt nicht ausgestrahlt sehen, und der Sender holte eilends einen Sittlichkeitsberater, um Ellens platonische Busselspielchen zu kontrollieren. Daß das nicht zu machen ist mit einer Ellen DeGeneres, deren Ellen Morgan sich in der Weihnachtssendung einen Grabstättenplatz von den Eltern schenken ließ, wurde sehr bald klar. DeGeneres redete von offener Diskriminierung, der Sender beklagte sinkende Werbeeinnahmen.

Laut ABC sind die Einschaltquoten auf unter elf Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer gesunken, die Serie rutschte von Platz 30 auf den 45ten der Serien-Charts. Schuld daran und an der folgenden Kündigung sei, so die Times, das beim Publikum ausgelöste "Unbehagen" über die zunehmende Dominanz homosexueller Themen in der Serie.

Susan Sarandon diagnostizierte in "The Celluloid Closet" (1995), einem Dokumentarfilm zu Lesben und Schwulen im Film, weil (heterosexuelle; G. W.) Männer die Wirtschaft in der Hand haben, nehme man lesbische Frauen im Film nicht ernst. Daran haben auch die Mainstream-Schwulenfilme der letzten Jahre nichts geändert. Lesben in Bettszenen mögen zwar ein unbedrohlicher, ästhetischer Anblick (für Männer) sein, als gesellschaftliches Faktum aber sind sie weiterhin die Bedrohung schlechthin.

Deshalb erscheint es doch allzu zaghaft, wenn Joan Garry von der Gay & Lesbian Alliance Against Defamation zum Rausschmiß von Ellen DeGeneres sagt, sie habe den schwulen und heterosexuellen Amerikanern ein Geschenk gemacht, und dies sei ein Vermächtnis, woran auch eine Kündigung nichts ändern könne. Was für ein Erfolg soll das sein, wenn ein simpler Kuß, den sich zwei Frauen geben, bereits als Zumutung für den Fernsehzuschauer verstanden wird?

Tim Doyle, Hauptschreiber der Coming out-Staffel, wirft ABC vor, der Bigotterie zu ihrem Recht verholfen zu haben, und befürchtet, wohl mit mehr Realitätssinn als die Aktivistin, daß so bald keine gay shows mehr auf dem Plan stehen werden. "Die Lehre, die das Business zweifellos hieraus ziehen wird, ist, daß Amerika dafür noch nicht bereit ist."

Wenn die Regenbogen-Flagge nun auf Halbmast hängt, dann nicht nur, weil einer Lesbe von einem Sender gekündigt wurde, sondern auch, weil diese Kündigung dokumentiert, daß Lesben im Unterschied zu Schwulen noch weit mehr mit Repressionen und Zensur zu kämpfen haben. Schon "Dynasty" hatte seinen Schwulen und in "Melrose Place" wurde er Staffel für Staffel mitgeschleppt. Lesben aber werden wie in "Thelma & Louise" oder in "Grüne Tomaten" unkenntlich und zu "guten Freundinnen" gemacht. And the winner is: Konformismus und Mittelmäßigkeit.

"Ellen", montags, 8.50 Uhr und 1.00 Uhr auf RTL