»Wir sind keine Bewegung gegen die Gewerkschaften«

Interview mit Christiaan Boissevain, Sprecher der Arbeitsausschüsse Euromarsch und deutscher Vertreter im Tagungspräsidium

Wie schätzen Sie die Konferenz ein? Ist eine inhaltliche und programmatische Vertiefung erreicht worden oder stagniert die Arbeitslosenbewegung nach dem furiosen Debüt im vergangenen Jahr?

Mit der Verabschiedung der Resolution wird es wahrscheinlich eine inhaltliche Zuspitzung geben, eine Vereinheitlichung auch, was sehr wichtig ist, um weiterzukommen. Entscheidend ist, daß 1998 noch keine große Mobilisierung der Euromärsche stattgefunden hat, sondern daß die Direktiven für die große Mobilisierung im nächsten Jahr nach Köln zum EU-Gipfel festgeklopft werden konnten.

Ein Großteil der Sympathien für die Euromärsche verdankt sich der Tatsache, daß diese als Basisbewegung jenseits der Gewerkschaften und ihrer bürokratisierten Form der Interessenvertretung wahrgenommen wurden. Inwieweit muß die Arbeitslosenbewegung künftig gewerkschaftliche Strukturen in Anspruch nehmen, und inwieweit ist es notwendig, Eigenständigkeit zu bewahren?

Die Euromarsch-Bewegung, das muß man festhalten, ist keine Bewegung gegen die Gewerkschaften. Aber natürlich klagen wir bestimmte Defizite ein, die es in der bisherigen Gewerkschaftspolitik gegeben hat. Bei der Vorbereitung für die Euromarsch-Aktionstage haben wir mitbekommen, daß die Arbeitslosen einklagen: Die Gewerkschaften müssen mehr tun, aber wir wollen trotzdem weiterhin von den Gewerkschaften in unseren Forderungsmöglichkeiten unabhängig bleiben und nicht von ihnen eingekauft werden. Das hören wir ständig, und das halten wir für richtig. Und damit wird natürlich auf die Gewerkschaften auch Druck ausgeübt.

Gewerkschaften und Arbeitsloseninitiativen treffen sich zur Zeit noch bei der Forderung nach der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Stehen diese Gemeinsamkeiten auch noch, wenn es hart auf hart kommt?

Wenn es heute hart auf hart kommen würde in der Frage nach Existenzforderungen - zum Beispiel 1 500 Mark plus Warmmiete -, denke ich, daß die Gewerkschaften das nicht mittragen würden. Das ist eine Forderung, die weitergeht als das, was die Gewerkschaften heute wollen. Und das ist auch eine Forderung, mit der man sich eventuell gegen eine neue Regierung stellen müßte.

Falls es unter einer neuen Regierung wieder eine Neuauflage dieses Bündnisses für Arbeit geben sollte, habe ich große Befürchtungen, daß Kompromisse und Stillhalteabkommen geschlossen werden, anstatt Forderungen zu stellen. Das heißt, wir müssen dann Forderungen aus der Bewegung einbringen.

Und das Problem ist eben, daß in einem möglichen Bündnis für Arbeit die Arbeitslosenbewegung nicht als selbständiger Faktor vertreten sein wird, sondern daß alles wieder über die Gewerkschaften läuft. Die unterstützen uns zwar, aber es gibt auch beim DGB Vorbehalte, daß dies nicht völlig unter deren Kontrolle läuft.

Auf der Konferenz wurde die Ausschlachtung der sozialen Konsequenzen der EU-Strukturpolitik durch nationalistische und faschistische Gruppen nicht explizit thematisiert. Liebäugelt auch ein Teil der Arbeitslosenbewegung mit einer Stärkung des Nationalstaats als schützender Instanz?

Meine Position ist, daß an diesem Punkt eine inhaltliche Profilierung nötig ist. Je schwammiger die Forderungen der Euromärsche formuliert sind, desto eher können rechte Kräfte versuchen, daran anzuschließen und sie auf ihre Art und Weise zuzuspitzen. Es muß auch einen Prozeß geben, in dem die Forderungsstrukturen immer klarer werden und immer klarer auch einen antikapitalistischen Charakter bekommen. Damit wird es für Faschisten schwieriger, daran anzuknüpfen.

Und dann wird natürlich die Frage des Rassismus zunehmend ein wichtiger Faktor sein. Für uns als Euromarsch-Bewegung wäre es ein Riesenfortschritt, die Karawane für die Rechte von Immigranten und Flüchtlingen zu unterstützen, die es dieses Jahr geben wird und die von MigrantInnen und Flüchtlingen selbst organisiert sein wird. Wir haben im Arbeitsausschuß besprochen, daß wir diese Karawane unterstützen werden, wo es uns möglich ist.