Drei Monate in drei Minuten

Ob in Eisenhüttenstadt oder Büren - Revolten gehören in deutschen Abschiebeknästen zum Alltag

Im Grunde sei "nichts Besonderes" passiert. Tanja Neumann, die Leiterin des Abschiebeknasts in Eisenhüttenstadt, will dem Ausbruchsversuch von letzter Woche alles Spektakuläre nehmen. Mit ähnlichen Konflikte habe sie immer wieder zu tun, erst die Woche zuvor habe es einen versuchten Hungerstreik gegeben. Der sei aber sofort beendet worden, nachdem die Forderung nach Fernsehprogrammen aus den Heimatländern der Gefangenen erfüllt wurden. Die meisten Konflikte endeten ähnlich wenig öffentlichkeitswirksam.

Diesmal ließ sich das Aufsehen nicht vermeiden: "Etwa 100 Polizeibeamte und Angehörige des BGS kamen kurzzeitig zur Gefahrenabwehr und Wiederherstellung der Sicherheit und Ordnung zum Einsatz", meldete die Polizei. Mit dem gefängniseigenen Aluminiumbesteck, Teilen der Bettgestelle und abgeschraubten Fenstergriffen hatten es Häftlinge geschafft, einige Ziegelsteine aus der ersten Mauerschicht zu lösen. Als der private Wachschutz den Ausbruchsversuch bemerkte und einschritt, solidarisierten sich andere Häftlinge mit ihnen. Zwei Fenster gingen zu Bruch, Stühle flogen, ein Häftling zündete eine Matratze an, löschte sie aber selbst wieder. Glaubt man der Polizei und der Anstaltsleiterin, dann beteiligten sich bis auf zehn alle männlichen Häftlinge mehr oder weniger an der Randale. Insgesamt waren zu dem Zeitpunkt 55 Männer und 17 Frauen in Eisenhüttenstadt inhaftiert. Inzwischen sind fünf der "Rädelsführer" in die JVA Cottbus verlegt worden.

Eine Häftlingsrevolte will Neumann den Vorfall in der Nacht vom 5. Auf den 6. Mai nicht nennen. Im letzten November sei das schon etwas anderes gewesen. "Damals hatten wir die ganze Truppe gegen uns." 25 000 Mark Sachschaden entstand. Nach diesem Aufruhr wurden zusätzliche Gittertüren in das Gebäude eingezogen. Ein Provisorium sei ihre Haftanstalt trotzdem, sagt Neumann, die nicht nur das Gefängnis, sondern die ganze Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber leitet. In Eisenhüttenstadt ist alles in einer Hand - und auf einem Gelände. Wer hier in der Hoffnung auf Asyl ankommt, hat den möglichen Schlußpunkt seines Aufenthalts in Deutschland - nur durch Natodraht getrennt - direkt vor Augen.

Ähnliche Szenen wie vergangene Woche wird es auch in Zukunft geben, sagt Neumann. Ein Grund dafür sei die schlechte Ausstattung in dem notdürftig zur Haftanstalt umgestalteten Gebäude in Eisenhüttenstadt. "Wir haben hier nicht die Möglichkeiten wie beispielsweise in Büren." Bei Büren im Stöckerbuscher Forst liegt die Vorzeigeanstalt für Abschiebehäftlinge. Die Ausbruchssicherung kommt hier ohne häßlichen Stacheldraht aus, es gibt betonierte Sportplätze und im Inneren Freizeiträume mit Tischtennis und Kicker, in denen sich die Gefangenen eine Stunde pro Tag aufhalten können. Das macht das Warten auf die Abschiebung für die Eingesperrten kaum angenehmer und verhindert auch keine Revolten. Erst Anfang April warfen Häftlinge mit brennenden Gegenständen, überwältigten einen Schließer und protestierten gegen die Haftbedingungen.

Ende April trat dann eine unbekannte Anzahl Gefangener - die Gefängnisleitung spricht von 30, ehrenamtliche Betreuer dagegen von 200 - in Hungerstreik (Jungle World, Nr.19/98). Andere, ausgefeiltere Möglichkeiten allerdings hat die Anstaltsleitung in Büren, um gegen die Proteste der Gefangenen vorzugehen. Hier gibt es Arrestzellen, Schlichtzellen und einen besonders gesicherten Haftraum. Dieser liegt im Keller, ist durch Panzerglas mit mehreren Videokameras überwacht, seine ganze Einrichtung besteht in einer unzerreißbaren Matratze und einem einfachen Loch im Boden, das als Toilette dient.

15 Personen waren seit dem 1. April in dieser Zelle untergebracht, teilte die Anstaltsleitung auf Anfrage der nordrhein-westfälischen Grünen mit. Die Regierungspartei brachte die Gefängnisleitung vergangene Woche dazu, detaillierte Fragen zu den jüngsten Gefangenenproteste zu beantworten, nachdem Mitglieder antirassistischer Initiativen am 4. Mai die bündnisgrüne Parteizentrale besetzt hatten. Drei Tage später fand dann schließlich auch ein von den Gefangenen geforderter und von der Gefängnisleitung zunächst zu-, dann wieder abgesagter Pressetermin im Knast statt. Der stellvertretende Gefängnisleiter Udo Wehrmeier und die angereisten Grünenpolitiker schienen sich bei dem Besuch weitgehend einig. Wehrmeier versicherte, er könne nachempfinden, daß sich die Gefangenen hilflos einem schier übermächtigen Apparat ausgeliefert fühlen. Aber die Gesetze würden in Bonn gemacht. Dem konnten sich die Grünen anschließen und folglich Verständnis für die Aufgabe von Wehrmeier und dessen Mitarbeitern äußern. Randale helfe im konkreten Einzelfall niemandem.

"Unsinn" sind solche Aussagen für Frank Gockel vom Verein "Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren". Ohne die Ausschreitungen und den Hungerstreik hätten die Initiativen keine Öffentlichkeit hergestellt und nicht das Grünenbüro besetzt. Ohne Besetzung hätten sich auch die Grünen nicht für die Situation in dem Abschiebeknast interessiert. Mit dem erreichten Pressetermin ist Gockel allerdings "nicht ganz glücklich". Zwar konnten die Gefangenen von den Haftbedingungen berichten und von dem Haftrichter, der im Minutentakt die Haftdauer um weitere drei Monate verlängert. Ein Häftling hatte mitgestoppt: In den 23 Minuten, die er auf seinen Termin warten mußte, fertigte der Richter sieben Gefangene vor ihm ab. Auch konnten die Abschiebehäftlinge ihre Forderungen nach besserem Essen, mehr Hofgang und einem Gefangenenbeirat öffentlich machen. Doch entgegen der Forderung der Gefangenen waren nur ausgewählte Journalisten eingeladen und diese hatten kaum eine halbe Stunde Zeit, mit den Gefangenen zu reden. Einem Fernsehteam des WDR wurde nicht erlaubt, im Gefängnis zu drehen. Die Begründung: Das könne neue Unruhen provozieren.

In Büren befand sich Ende vergangener Woche noch ein Gefangener im Hungerstreik. Auch waren einige Sport- und Freizeitmöglichkeiten noch gestrichen, aber die Gefängnisleitung versicherte: Die Lage habe sich wieder weitgehend normalisiert. Doch was ist schon normal - der Bürener Gefängnisdirektor Peter Möller hielt, ähnlich wie seine Kollegin aus Eisenhüttenstadt, auch den kleinen Aufstand Anfang April für "nichts Sensationelles".