Pflugscharen zu U-Booten

Vor der Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages im Jahr 2000 wird zur Zeit um die richtige Auslegung gestritten: Die "Muß weg"-Fraktion wird stärker

"Grundsätzlich absurd", erklärte David Krieger von der Nichtregierungsorganisation "Abolition 2000", "daß acht Jahre nach Ende des Kalten Krieges Atomwaffen sich noch immer in Alarmbereitschaft befinden."

Aber als Ende letzter Woche in Genf die zweite Runde der Regierungsverhandlungen zu Ende ging, mit der die nächste turnusmäßige Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag im Jahr 2000 vorbereitet wurde, blieben weitreichende Ergebnisse vorerst aus. Ist das höhere Ziel, Atomwaffen komplett zu bannen, somit einmal mehr im Dickicht von Absichtserklärungen und der Besitzstandswahrung der Nuklearmächte aus dem Blick geraten, oder kommt nun doch mehr Bewegung auf gegen ein System, das zur Abschreckung vor Kriegen mit der Auslöschung der Menschheit droht?

Zwei Auffälligkeiten markierten die Diskussionen, wie der Vertrag weiter zu erfüllen sei: Die gewachsene Bedeutung der Bewegung Nichtpaktgebundener Länder (NAM) und der Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Beiden ist ihre Grundsatzkritik an der letzten Vertragsüberprüfung von 1995 gemein, als die westlichen Atomwaffen- und Nato-Staaten eine unbegrenzte Vertragsdauer durchsetzten. Damit, so der Vorwurf, wurde das existierende Atomwaffenmonopol insofern festgeschrieben, als Atomwaffen nur für Nichtkernwaffenstaaten auf Dauer verboten wurden, was gleichzeitig atomare Schwellenländer wie Indien, Israel und Pakistan (Nichtmitglieder des 186 Staaten umfassenden Sperrvertrags) weiterhin provoziert, für sich die atomare Option offenzuhalten. Als Zugeständnis an die Abrüstungsforderungen von Nichtkernwaffenstaaten wurde seinerzeit ein Zusatzdokument zu "Grundsätzen und Zielen" des Vertrags verabschiedet, das aber eher zur Beruhigung denn als Erfüllung der formulierten Abrüstungsvorstellungen gedacht war. Doch könnte dieses Dokument zum Bumerang für die Atomwaffenliebhaber werden, denn die Staaten und Organisationen, denen es um die Eliminierung der "atomaren Geißel" geht, geben keine Ruhe mehr.

Schon wenige Monate nach der Überprüfung von 1995 gründeten NGOs ein internationales "Abolition 2000"-Netzwerk. Wichtigstes Ziel: Den Abschluß einer Atomwaffenkonvention zu erzwingen, mit der völkerrechtlich verbindlich Atomwaffen verboten und abgeschafft werden. Bis heute ist das Netzwerk auf über 1 000 Mitgliedsorganisationen angewachsen. In einer bisher einmaligen Zusammenarbeit von Regierungen einiger Nichtkernwaffenstaaten und internationalen NGOs gelang es zudem, daß der Internationale Gerichtshof (IGH), höchste juristische UN-Instanz, im Juli 1996 erklärte, die Drohung mit und der Einsatz von Atomwaffen sei mit dem Völkerrecht unvereinbar. Unaufgefordert fügten die UN-Richter hinzu, daß für alle Staaten eine völkerrechtliche Verpflichtung zu völliger atomarer Abrüstung bestünde.

Auch wurden bei der ersten Vorbereitungsrunde zur Vertragskonferenz 2000, die vor einem Jahr in New York stattfand, erstmalig Themen - anstelle von Formalitäten - für das weitere Vorgehen festgelegt: die Eingrenzung militärisch nutzbaren Spaltmaterials, eine von Massenvernichtungswaffen freie Zone im Nahen und Mittleren Osten sowie "negative" Sicherheitsgarantien, die auf einen vertraglichen Verzicht der von Nato und Rußland vertretenen "Erstschlagsoption" abzielen. Das zahlenmäßige Gewicht, das die NAM-Staaten in der Uno haben, nutzten sie bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen im letzten Jahr, um Mehrheiten für zwei Resolutionen zu erwirken, die unter Berufung auf das IGH-Urteil Verhandlungen zur atomaren Abrüstung einfordern. Costa Rica sorgte dafür, daß ein von NGO-Vertretern und unabhängigen Wissenschaftlern erarbeiteter Entwurf für eine Atomwaffenkonvention den Status eines offiziellen Uno-Dokuments erhielt. All diese Schritte und Entscheidungen sind, bei aller Bürokratie der internationalen Diplomatie, nicht zu unterschätzen.

Zumal die Rahmenbedingungen für die Genfer Konferenz nicht gerade günstig waren: Die USA arbeiten weiter an neuen, atomar einsetzbaren Waffengenerationen, Clinton hat zudem eine Direktive zur Neubestimmung der Atomwaffenstrategie erlassen. Auch die Andeutung eines US-Regierungssprechers während der jüngsten Irak-Krise, eventuell auch Kernwaffen einzusetzen, liegt noch nicht lange zurück. Hinzu kommen außenpolitische Spannungen, die zeitgleich zwischen China, Pakistan und Indien über der Frage neu ausbrachen, wer wen atomar bedroht, sowie die Ratifizierung des Teststopp-Vertrags durch die Atommächte Frankreich und Großbritannien.

Was im Vorbereitungsprozeß der alle fünf Jahre stattfindenden Überprüfung des Sperrvertrages nicht abgestimmt wird, hat kaum Chancen, auf die Hauptkonferenz zu gelangen. In Genf standen sich daher zwei Positionen gegenüber: Die eine möchte den Vertrag eng auf die Nicht-Weiterverbreitung von Atomwaffen auslegen. Alle Verbindungen zu atomarer Abrüstung, wie sie etwa in Vertragsartikel 6 und im Zusatzdokument angesprochen werden, sollen bleiben, was sie sind: Papier, dem weiteres hinzugefügt wird. Dieser minimalistischen Auslegung entgegen steht die Haltung fast aller NAM-Länder, einschließlich der Staaten der westlichen Hemisphäre, die unter Nicht-Weiterverbreitung die Abschaffung von Atomwaffen verwirklicht sehen wollen. In den letzten drei Jahren haben sich die Widersprüche zwischen beiden Positionen so zugespitzt, daß in Genf der Druck auf Atomwaffenstaaten, ihren Versprechungen Taten folgen zu lassen, zugenommen hat. Fensterreden wie die des US-Repräsentanten Norman A. Wulf, der die Modernisierungsbestrebungen der US-Atomwaffenpolitik als Abrüstung verkaufen wollte, verfangen nicht mehr. Statt dessen rückt der Sperrvertrag immer mehr ins Zentrum von Verhandlungsforderungen - wohl auch, weil er die einzige multilaterale Vertragsplattform darstellt. Die UN-Abrüstungskonferenz ist "nur" ein Beratungsorgan; andere Ansatzpunkte, wie Reduzierungsvereinbarungen über strategische Waffen (Start), tragen bilateralen Charakter oder sind, wie das Teststoppabkommen, noch nicht in Kraft getreten.

Was die Genfer Verhandlung, der mindestens eine weitere im nächsten Jahr in New York folgen wird, im Detail charakterisierte, waren direkte Vorschläge. Positiv zeichnete sich ab, daß man sich am ehesten auf erste Verhandlungen über Erfassung und Reduzierung spaltbaren Materials im Militärgebrauch einigen könnte. Nicht ganz unerwartet war auch die grundsätzliche Übereinstimmung hinsichtlich weiterer atomwaffenfreier Zonen, nachdem in den letzten Jahren fast die gesamte südliche Halbkugel in entsprechende Verträge eingebunden wurde und die nächste Zone sich in Zentralasien abzuzeichnen beginnt. Im Nahen und Mittleren Osten dominiert hingegen der Streit um die Rolle Israels.

Weitgehende Einigkeit war auch wegen der Start-Verhandlungen sichtbar. Die russische Duma ist aufgefordert, mit einer Ratifizierung von Start II endlich grünes Licht für den vereinbarten Abbau strategischer Waffensysteme zu geben; besonders Kanada machte sich für die nächste Stufe - Start III - stark und forderte, Frankreich und Großbritannien in Reduktionsverhandlungen einzubeziehen.

Der Druck einer Mehrheit der Vertragsstaaten, die sich nicht mehr mit dem Ritual von Entwürfen und Gegenentwürfen abspeisen lassen will, zeigte sich in Genf vor allem an den vorläufig unlösbaren Themen: So forderten die NAM-Staaten zum ersten Mal die Nato auf, das Konzept der nuklearen Teilhabe von Nichtkernwaffenstaaten fallenzulassen; von Myanmar wurde die Nato-Ost-Erweiterung (in deren Rahmen Nato-Atomwaffen auf dem Territorium der neuen Mitglieder stationiert werden könnten) als "Verletzung des Geistes des Atomwaffensperrvertrags" angeprangert. Malaysia und Ägypten argumentierten, atomare Abschreckungsdoktrinen müßten delegitimiert werden. Eine ganze Reihe von Staaten wies darauf hin, daß auf das IGH-Urteil bisher "von seiten der Atomwaffenmächte nicht positiv reagiert" worden sei und nahm dies zum Anlaß, einen Verhandlungsbeginn über die Atomwaffenkonvention zu verlangen.

Doch die Ungeduld wächst. Noch vor Ende der Genfer Verhandlungen kündigte die "Pflugschar"-Bewegung, deren Mitglieder in der Vergangenheit mehrmals auf Militärbasen in Großbritannien und den USA mit einfachen Werkzeugen nuklearfähige Kampfbomber zum Teil unbrauchbar gemacht haben, neue Aktionen an.. Als erstes Ziel wurde die britische Atom-U-Boot-Basis in Faslane benannt, wo am 9. August (dem Jahrestag der Bombardierung Nagasakis) Aktionen durchgeführt werden sollen, "falls", so Eloi Glorieux von der belgischen Organisation "Forum für Friedensaktionen", "bis dahin die britische Regierung nicht dem Völkerrecht entspricht und die dortigen Atomwaffen unbrauchbar macht".