Im Hamsterrad

Sonic Youth haben mal wieder eine neue Platte aufgenommen: Besserwisserei für Leute, die sowas brauchen

Kim Gordon steht im Garten und hält sich ein Kissen vors Gesicht. Sie hält sich ein Kissen vor die Brust. Sie hält sich ein Kissen vor den Bauch. Nur ihre Beine sind zu sehen. Auf einem anderem Foto sieht man sie mit geschlossenen Augen hinter einem Gebüsch. Auf dem Foto daneben liegt eine Ananas auf einem Stuhl. Über der Stuhllehne hängt eine Pelzjacke. Das CD-Booklet ist derart gefaltet, daß man auf der Covervorderseite ein kleines Mädchen mit Hamsterohren sieht, das die Bettdecke bis zum Kinn zieht. Im Vordergrund der Abbildung sieht man eine Hand einen Hamster streicheln. Das Hamstermädchen sieht Hand und Hamster ängstlich zu.

Fotos, Collagen, Bedeutung: Kunst. Sonic Youth mögen Kunst, schon immer. Das Cover von "Evol" zeigte eine Filmszene von Trashkunstfilm-Filmer Richard Kern, "Daydream Nation" ein Ölbild von Gerhard Richter, "Goo" eine Zeichnung von Raymond Pettibon, "Dirty" die Stoffpuppen von Mike Kelley, und das "Hamster Girl" auf "A Thousand Leaves" stammt von Marnie Weber, courtesy of Jessica Fredericks Gallery, NYC.

Kunstszene und Sonic Youth, da haben sich zwei gefunden. Sonic Youth liefern der Kunstszene vermeintliche Hipness, Glamour und Lebendigkeit. Die Kunstszene gibt ihnen im Gegenzug die Gewißheit, mehr als nur eine Rockband zu sein (Hochkulturbonus). Sie liefert ihnen Bedeutsamkeit und Bedeutung. Dann denken sich Sonic Youth dazu vielsagende Songtitel aus und rascheln mit Symbolen. Das machen sie seit den Achtzigern. Die große Pop-Kunst Koalition, ein letztes Aufflackern eines Sechziger-Jahre-Dingsbums, ein Avantgarde-Konzept, das mittlerweile so frisch ist wie alte Sahne, damals aber im Pop-Kontext Sinn machte. Sonic Youth kochen es Platte für Platte wieder auf. Was einmal klappt, klappt zweimal, dreimal, immer. Stagnation als sture Behauptung von Avantgarde, die sich so überholt hat wie nix, und damit ein Widerspruch in sich ist, aber dennoch die Öffentlichkeit staunen läßt, weil es immer noch Leute gibt, die 300 Jahre nach Noiserock verstimmte Gitarren, offene Songstrukturen, Lärmschichten, ausuferndes Gebrumme, Geflüster, Geschrei für das Unangepaßte schlechthin halten. Eine Achtziger-Jahre-Idee, gewiß, der jugendkulturelle Ausdruck eines Lebensgefühls einer weißen Mittelschicht, die sich mittels Krach ihrer eigenen Dissidenz vergewisserte.

Dabei haben Sonic Youth es jahrelang verstanden, sich als die avancierteste Spielart von Pop-Dissidenz zu verkaufen. Sie bewiesen Talent darin, mit aller Macht offene Türen einzurennen und laut "Erster!" zu schreien, reicherten ihren Art-School-Lärm-Rock gestenreich mit den jeweils aktuellsten Trends an. Als Public Enemy 1990 "Fear of A Black Planet" veröffentlichte und als die radikalste Band des Univerums galten, luden Sonic Youth Chuck D für "Kool Thing" ins Studio und ließen ihn die Zeile "fear of a female planet" aufsagen, worauf Kim Gordon entgegnete: "We can still be friends". Sehr mutig: Sie trauten sich zur Session mit dem scheinbar gefährlichsten Rapper weit und breit und kritisierten furchtlos den offenen Sexismus im HipHop, verschwiegen aber großzügig den klammheimlichen Sexismus weißer Jungswelt-Rockmusik. Vielmehr inszenierten sich Sonic Youth in Folge als die Underground-Band, die feministische Issues thematisiert. Als die erste Generation der Riot Girls mit Bands wie Babes in Toyland in Erscheinung traten, nahmen Sonic Youth sie gern unter ihre Fittiche, gefielen sich in der Rolle von Talentscouts und Föderern. Kim Gordon galt plötzlich als die Mutter aller Riot Girls, obwohl sie die Jahre zuvor keine andere Funktion hatte, als Bassistin in einer Männerband zu sein.

Seit diesem Girlism-Coup stagnieren Sonic Youth auch strategisch. Den Trend Alternative-Rock haben sie noch mitgenommen, Lo-Fi haben sie mit "International Jet Set" noch sachte geschrammt, Postrock zog an ihnen vorbei. Sonic Youth sind seit "Washing Machine" gleich in mehrfacher Hinsicht überholt. Dennoch erklären sie ihren Durchschnitt noch immer zum relevanten Ereignis. Alle Jubeljahre schicken sie Mitteilungen raus, daß sie wieder eine Platte aufgenommen haben, die sie wie üblich ganz ungezwungen, ganz offen, ganz locker und entspannt zwischen zwei Pfund Kaffee und drei Galerie-Besuchen aufgenommen haben. Musikmachen als gefühlige Laune lässig in New York abhängender Mittvierziger.

Trotz des Spaziergangcharakters sind die bedeutsamen Zeichen, kuhlen Gesten wieder gezielt locker und leicht über die Platte verteilt worden. "A Thousand Leaves" eröffnet zur symbolischen Mehrwertabschöpfung mit "Contre Le Sexisme", nudelt zum 1 000sten Mal die Girl-Idee mit Songs wie "Heather Angel", "Karen Koltrane" "Snare, Girl" und "Female Mechanic Now On Duty" durch, was mittlerweile ebenso hohl ist wie ihre Idee von freier Rockmusik als zerfasertes Endlosgeschrammel. Sonic Youth 98 sind Kulturanhäufungsterror, Wichtigwichtigkeits-Durchschnitt, Besserwisserei, Kompetenz- und Geschmacksbehauptung und mithin Alte-Säcke-Rock. "A Thousand Leaves" ist eine Platte für Leute, die solche Platten brauchen.

Sonic Youth: A Thousand Leaves. Geffen Records