Mustergültig

Das neueingerichtete Wilhelm Wagenfeld Haus in Bremen zeigt eine Ausstellung zum Werk des Namenspatrons

Für den "Mustermacher" Wilhelm Wagenfeld (1900-1990), einen der bedeutendsten Pioniere des Industriedesigns in Deutschland, ist es eine späte Ehrung: die Nördliche Ostertorwache, einer der schönsten Bauten seiner Geburtsstadt Bremen, Anfang des 19. Jahrhunderts im Stil des Klassizismus errichtet und in der Kulturmeile Am Wall gelegen, trägt seit kurzem seinen Namen. Gleichsam im Gegenzug erweist sich der längst zum Klassiker avancierte Designer als idealer, weil weit über die engen Grenzen der Hansestadt Aufmerksamkeit erregender Werbeträger für das hier neu eingerichtete Zentrum für Produktgestaltung.

Bemerkenswert erscheint, daß die nach Wagenfeld benannte, von nun an der Geschichte und Gegenwart des Designs gewidmete Ostertorwache zum ersten Mal in ihrer 168jährigen Geschichte eine Nutzung fand, die ihrem noblen Äußeren angemessen ist. Bis vor wenigen Jahren verbarg sich hinter der fein proportionierten Fassade mit ihrem repräsentativen dorischen Säulenportikus ein Gefängnis, in dem zuletzt vorwiegend abgelehnte Asylbewerber in Abschiebehaft einsaßen.

Daran erinnert heute nur mehr wenig. Strahlend weiß präsentiert sich das frisch restaurierte und entsprechend den veränderten Nutzungsansprüchen teilweise umgebaute Haus. Neben der Wilhelm Wagenfeld Stiftung, die den Nachlaß des Designers bewahrt und wissenschaftlich aufarbeitet, beherbergt es das Design Zentrum Bremen, das "Designförderung im Dienst der Wirtschaft" betreibt. Nachdem man auch in Bremen Designkompetenz als Standortfaktor entdeckte, versucht man jetzt die Produktgestaltung als Impulsgeber für die kränkelnde Wirtschaft zu nutzen.

Im Wagenfeld-Haus geht es also nicht um die museale Präsentation der Werke des Namenspatrons, sondern um die Pflege einer lebendigen Tradition und die gezielte Förderung des Nachwuchses. Das verdeutlicht bereits die jetzt zur Eröffnung des Hauses gezeigte Ausstellung "Wilhelm Wagenfeld - Wegbereiter der Moderne", die darum bemüht ist, die bleibende Aktualität seiner Arbeit herauszustreichen.

Wagenfeld, der nach einer Lehre als Silberschmied am Weimarer Bauhaus (u.a. bei L‡szl- Moholy-Nagy) studierte, bevor er in den frühen dreißiger Jahren seine Entwurfstätigkeit für die Industrie begann, ist vor allem als Glasgestalter und Entwerfer von Tischgerät und Gebrauchsgütern bekannt geworden. Als einen Beitrag zur "Lebenskultur im Alltag" wollte er sein Design, das stets auf eine Verbindung von Zweckmäßigkeit und sachlich anmutiger Ästhetik abzielten, verstanden wissen. Viele seiner Entwürfe, die heute in allen Designmuseen der Welt vertreten sind, erwiesen sich als ausgesprochene Longseller und werden noch immer, oder gerade wieder, produziert. Ihre Langlebigkeit gilt mittlerweile als bester Beweis für die Qualität seiner Arbeit und die anhaltende Bedeutung seines auch theoretisch fundierten Gestaltungsansatzes. "Zeitgemäß und zeitbeständig" hieß nicht von ungefähr eine Ausstellung, die im vergangenen Jahr seine seit den späten vierziger Jahren entstandenen Entwürfe für die WMF (darunter die millionenfach hergestellte Butterdose und die Salz- und Pfefferstreuer "Max und Moritz") zeigte.

Einen Querschnitt seines in über sechs Jahrzehnten entstandenen Schaffens präsentiert jetzt die Eröffnungsschau im Wagenfeld-Haus. Hier darf sein früher Geniestreich, die in den letzten Jahren zum Inbegriff des Bauhausdesigns gewordene, oft kopierte Tischleuchte ebensowenig fehlen wie das legendäre Teeservice aus Jenaer Glas oder die stapelbaren gläsernen Vorratsgefäße des "Kubus"-Geschirrs.

Doch statt die Vasen, Trink- und Haushaltsgläser für die Vereinigten Lausitzer Glaswerke in Weißwasser, das Tischgerät für die WMF, die Leuchten für Lindner, das Porzellan für Fürstenberg und Rosenthal noch einmal im Rahmen einer chronologisch aufgebauten, umfassenden Werkschau im herkömmlichen Sinn zu zeigen, wie sie in den letzten Jahren bereits an mehrereren Orten zu sehen war, versuchte man diesmal einen analytischen Zugriff.

Mit Hilfe von von grundlegenden Textzitaten und thematisch geordneten Exponaten (Skizzen, zahlreiche Werkmodelle, Serienprodukte) soll in Bremen Wagenfelds Arbeitsmethode und seine als ebenso vorbildlich wie aktuell erachtete Entwurfshaltung vermittelt werden. Seine stets "vom Brauchen" ausgehende Produktgestaltung wird als ein mitunter langwieriger, von zahlreichen Modellversuchen begleiteter Formfindungsprozeß dargestellt, in den Überlegungen zur Handhabung, zur Funktionalität, zur Ästhetik ("Alles Brauchen muß schön sein"), zur Materialgerechtigkeit und nicht zuletzt zur Fertigungstechnik miteinflossen. Auf überzeugende Weise wird so die Mustergültigkeit des Wagenfeldschen Schaffens auch jenseits seiner unbestrittenen und viel bewunderten ästhetischen Qualitäten deutlich.

Um eine direkte Verbindung zum zeitgenössischen Design herzustellen, luden die Ausstellungsmacher acht junge Designer und Designerinnen ein, das Werk Wagenfelds mit kurzen Texten und jeweils einer eigenen Arbeit zu kommentieren. Der intendierte Dialog zwischen Klassiker und Nachwuchs will freilich nicht immer recht in Gang kommen. Eher unvermittelt stehen etwa die minimalistischen Entwürfe von Winfried Scheurer (vertreten mit dem Kunststoffkorb "Grid") und Konstantin Grcic (vertreten mit der aus Holzleisten zusammenmontierten Garderobe "Hut ab") neben und zwischen den Wagenfeldschen Arbeiten.

Folgt man Heinz G. Pfaender, einem ehemaligen Mitarbeiter Wilhelm Wagenfelds, so wird man geneigt sein von einem Mißverständnis zu sprechen. In seinem parallel zur Ausstellung erschienen Buch "Meine Zeit in der Werkstatt Wagenfeld" kann man nachlesen, was augenfällig genug ist: daß der Designpionier die "karge Formensprache", die etwa das im Umfeld der Ulmer Hochschule für Gestaltung entstandene Design auszeichnet, abgelehnt habe und immer bestrebt gewesen sei, "bei aller Schlichtheit eine lebendige Eleganz zu erreichen".

Genau die zeichnet den Kommentar des Berliner Duos Vogt + Weizenegger aus. Als eine der wenigen zeitgenössischen Arbeiten scheint ihre aus feuerfestem Glas hergestellte, multifunktionale Kollektion "Pure Glass" tatsächlich geeignet, den Dialog mit den legendären Entwürfen Wagenfelds für Jenaer Glas aufzunehmen. Eine einleuchtende konzeptionelle Verbindung zu Wagenfeld kann aber auch Ursula Tirschner mit ihrem Öko-Kühlelement "Fria" herstellen. "Nicht vom Kühlschrank, sondern vom kühlen Aufbewahren" sei ihre Entwicklungsarbeit ausgegangen, schreibt sie dazu in Abwandlung der oft zitierten Wagenfeldschen Maxime "Nicht vom Stuhl ist auszugehen, sondern vom Sitzen".

Die Ausstellung "Wilhelm Wagenfeld - Wegbereiter der Moderne" ist bis zum 15. Juli zu sehen

Heinz G. Pfaender: Meine Zeit in der Werkstatt Wagenfeld. Tagebuch von 1954 bis 1957. Jo Klatt Design + Design Verlag, Hamburg 1998, 187 S. mit zahlreichen Abbildungen, DM 48 (in der Ausstellung DM 44)

Dieter Bartetzko, Dieter Fricke u.a.: Die weiße Wache. Das Wilhelm Wagenfeld Haus am Ostertor in Bremen. Aschenbeck & Holstein Verlag, Delmenhorst 1998, 95 S., DM 42