Rassismus und Provokationen haben in Indonesien Tradition

Nie wieder Riots!

Sechs Studenten der Hochschule in Trisakti wurden am Dienstag vergangener Woche von den Streitkräften erschossen. Aber was sind schon sechs Tote im Verhältnis zu den Hunderten von Toten, die ein plündernder Mob, der sich Ausschreitungen gegen die chinesische Minderheit hingibt, auf dem Gewissen hat? Und ist es nicht einleuchtend, daß das Regime demgegenüber als das kleinere Übel erscheint?

Tatsächlich haben Ressentiments gegen die chinesische Minderheit in Indonesien Tradition. Laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch verschmelzen in dem antichinesischen Rassismus verschiedene Elemente: "Der" Chinese als Fremder und Illoyaler, was Anklänge an nationalistische Ideologien beinhaltet - in den Massakern Mitte der sechziger Jahre wurde beispielsweise das Bild der Minderheit als "fünfte Kolonne" Pekings bemüht. "Der" Chinese als Anti-Muslim und als einer, der auf unfaire Weise mit muslimischen Unternehmern konkurriert. Und schließlich "der" Chinese als selbstsüchtiger Reicher. Dieses Element kam in der diesjährigen "Ich liebe die Rupiah"-Kampagne zum Ausdruck, bei der chinesische Geschäftsleute als illoyal stigmatisiert wurden, weil sie ihre ausländischen Konten nicht auflösten und der Kampagne zur Verfügung stellten.

Laut Washington Post vom 16. Mai werden der chinesischen Minderheit, die etwa vier Prozent der Bevölkerung ausmacht und 80 Prozent des Handels kontrollieren soll, das Horten von Waren und willkürliche Preiserhöhungen inmitten einer galoppierenden Inflation zum Vorwurf gemacht - Elemente einer verkürzten Kapitalismuskritik, die sich auf die Zirkulationssphäre beschränkt und deutliche Anklänge an das antisemitische Stereotyp vom raffenden Kapitals enthält.

Andererseits mehren sich in der Presse Anspielungen auf Provokationen. Am Freitag vergangener Woche schrieb die FAZ, die studentischen Demonstrationen seien "nicht nur um Angehörige des Mittelstands, Oberschüler und Arbeiter (angeschwollen), sondern auch um kriminelle Elemente und Gangster im Sold der Streitkräfte". ABC-News vom 15. Mai zitierte Duncan Green von der katholischen Hilfsorganisation CAFOD mit den Worten: "Ich ging zu einer Stadt, wo so gut wie jedes Geschäft oder Restaurant, das Chinesen gehört, während dreistündiger Riots einige Tage zuvor niedergebrannt worden war. Der örtliche Priester sagte mir, daß die Riots von Armeeangehörigen organisiert, orchestriert wurden, und daß die Rioters tatsächlich von außerhalb hertransportiert wurden, was ein Chinese aus dem Ort bestätigte. Was vorzugehen scheint, ist, daß die Regierung und das Militär Indonesier ermutigen, eher den Geschäftsleuten die Schuld zu geben, die die Preise erhöhen, als der Regierung, die die Krise schlecht verwaltet."

Eine Konsequenz der letzten Woche war, daß das Militär zumindest vorübergehend die Initiative zurückerobert hat - gegenüber einer Bevölkerung, die von den ungewöhnlich ausführlichen Berichten und den Bildern über Hunderte von Toten, die das indonesische Staatsfernsehen ausstrahlte, geschockt ist. Und innerhalb der Strukturen des Militärs ist die Position des Hardliners Prabowo Subianto, bis vor kurzem Kopf der militärischen Sondereinheit (Kopassus), nunmehr Oberbefehlshaber des strategischen Reservekommandos (Kostrad), gestärkt - zu Lasten seines Rivalen General Wiranto, der zur Zeit als Verteidigungsminister und zugleich als Armeechef fungiert und dem angelastet wird, die "Ordnung nicht aufrechterhalten" zu haben.

Die Arbeit der Kopassus-Truppe, deren Chef nun einer der Gefolgsleute Prabowos ist, wurde von einem führenden indonesischen Menschenrechtler mit "Spionage, Terror und Gegenterror" beschrieben, womit er ausdrücken wollte, sie inszeniere Provokationen (The Nation, 30. März). Zwei Kopassus-Bataillone aus Aceh und West-Papua wurden demnach vor einigen Monaten nach Jakarta verlegt und bei Demonstrationen eingesetzt. Inwieweit die Ereignisse der vergangenen Woche einer gezielten Inszenierung folgten, ist momentan nicht überschaubar. Sicher ist nur eins: Je ideologisierter - im Sinne notwendig falschen Bewußtseins - eine Gesellschaft ist, umso leichter fallen interessierten Kreisen Manipulationen aller Art. Und es wäre ein wahrhaftes Wunder, sollte das indonesische Regime in einer vorrevolutionären Situation nicht auf lange erprobten, Praktiken zurückgreifen.