Prima Klima

Dauerfaszinosum Nazi-Moderne: Zwei frisch gebackene Medienpädagogen schwärmen für Altbackenes

Daß die Nazis in den dreißiger Jahren auf hohe Akzeptanz in den Behörden und Wissenschaftsinstituten stießen, hatten sie ihrem Rufe zu verdanken, moderne Reformer zu sein. Mit dem Stoßseufzer der Erleichterung setzte die Administration all das Neue um, das bei ihr in den Schubladen lag, aber bis zur Machtergreifung an rückwärts gewandter Trägheit gescheitert war. Erstmals entstand eine effiziente Sozialverwaltung, von der keiner vorherzusehen meinte, daß sie der effizienten Eliminierung von Behinderten und anderen unnützen Fressern dienen würde.

All das ist nichts besonders und sowieso Konsens der Historiographen. Eine Besonderheit ist allerdings, daß im Jahr 1998 an deutschen Hochschulen der fatale Glaube an die Modernität, die Effizienz und die klasse Kosten / Nutzen-Relation der Naziadministration ungebrochen ist. Zwei aktuelle Publikationen mögen für diese Behauptung als Beweis dienen. Wobei ich es nicht persönlich meine. Eventuell ist die eine arglos, der andere nicht. Beide werden weit davon entfernt sein, Glatzenhorden anzuhimmeln, die mit dem Baseballschläger kommen.

Ganz wie in den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren übrigens. Auch dort war man sehr für gesitteten Umgang, und die hohe Akzeptanz den braunen Reformern gegenüber war eher unauffällig, selbstverständlich, kultivierter Konsens. So sind auch die beiden medienpädagogischen Arbeiten, über die jetzt zu sprechen sein wird, akademische Normalität. Beschrieben wird in der Bundeswehrdissertation der Unterrichtsfilm der Nazizeit, in der anderen Publikation, die sich wie eine Magisterarbeit liest, die Jugendpresse der dreißiger Jahre, die zwar eine Meinungsführerschaft aufweise, jedoch die auf Desorientierung deutende übergroße Presse- Vielfalt der Weimarer Zeit effizient ablöste. Aber ich bin schon bei der Sache: die Unauffälligkeit ist die Gefahr.

Michael Kühn, Autor von "Unterrichtsfilm im Nationalsozialismus", einer Arbeit über die Reichsstelle für den Unterrichtsfilm (RfdU) - 1940 umbenannt in Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (RWU) - beruft sich darauf, die Filme dieser Institution angeschaut, Behördenakten gelesen und als Zeitzeugen Beamten befragt zu haben, um dank der durch derartige Quellenforschung errungenen Kompetenz im Streit der "Kritiker" und der "Verteidiger" der RWU zu entscheiden. Wendet man das Freund/Feind-Denken an, fällt die Entscheidung nicht schwer. Die Kritiker, zu denen auch der Medienwissenschaftler Knut Hickethier gehört, kennten die Quellen nicht, auch seien sie voreingenommen. Die Verteidiger argumentierten dagegen "zurecht".

Nun ist dem Autor zuzubilligen, daß er einige Wenn und Aber eingebaut hat. Auch vermeidet er bei der detaillierten Beschreibung der RWU-Arbeit apodiktischen Stil. Trotz allerlei vorsichtigen Abwägens ist jedoch der legitimatorische Eifer des Autors unverkennbar. Sein Fazit: "Die von der Reichsanstalt bei der Entwicklung von Unterrichtsmitteln vorgenommene Verbindung von Theorie, Empirie und Praxis kann durchaus als vorbildhaft für die heutige pädagogische Forschung gewertet werden."

Auch dieser Autor schwärmt davon, daß eine Belegschaft (!) wie die der RfdU/RUW "sehr jung" war, das Arbeitsklima "sehr kollegial", hierarchische Ordnung "kaum vorhanden", die Mitarbeiter "begeistert", sie leisteten "große Aufbauarbeit", waren "sehr unpolitisch" und rückblickend gesehen "modern". Jung, dynamisch, professionell, innovativ, würden wir heute sagen - und nostalgisch auf die goldenen dreißiger Unterrichtsjahre zurückblicken. Oder gibt's da noch was zu sagen? Eigentlich nicht, wenn wir im Nachkriegskapitel lesen, wie der Unterrichtsfilm der Nazi-Jahre personell mitsamt seinem Filmstock in ungebrochener Kontinuität übernommen wurde, freilich wurde der Film "Negerkinder" in "Kinder in Afrika" umgetauft. Auch die ererbte Bewahrpädagogik war damals noch modern, Herr Hickethier.

Aber war denn die Unterrichtsanstalt 1940 nicht anerkannter Rüstungsbetrieb geworden? Hatte sie denn nicht jugendgerechte Filme über die siegreiche Wehrmacht in die Schulen gebracht?

Bei einer solchen Fragestellung fühlt sich die Bundeswehrdissertation zur Legitimierung der Wehrmacht aufgerufen. Die "enge Kooperation mit der Wehrmacht" sei nämlich Garant dafür gewesen, daß die Reichsstelle ihre jugendprofessionelle Tätigkeit im Krieg fortsetzen konnte. - Sollen wir jetzt Dankeschön sagen?

Das gut lesbare, faktenreiche, aber distanzlose Buch verlangt nach kritischer Lektüre. Wenn Kühn zum Schluß seiner groß angelegten legitimatorischen Beweisführung schneidig behauptet: "Andererseits konnte ich jedoch nachweisen, daß es der RWU durch geschicktes Taktieren gelang, praktisch keine Filme zu Themen wie 'Erbkrankheiten' oder 'Rassenkunde' herauszubringen", so wird man ihm widersprechen müssen.

Die Reichsstelle RfdU hatte sich 1936 verpflichtet, "in Zusammenhang mit dem Rassepolitischen Amt der NSDAP" einen "rassehygienischen Film" herzustellen. Dieser Film wurde auch gedreht, und zwar vom Unterrichtsfilm-Star Wilfried Basse. Unter dem Titel "Erbkrank - Erbgesund" wurden 1939 eine Reihe von Kopien zu Unterrichtszwecken herausgegeben.

Autor Michael Kühn weist in seiner Dissertation selbst darauf hin - der Terminologie der dreißiger Jahre folgend unter dem Oberbegriff "Biologische Filme". Was er nicht schreibt, ist, daß die den ersten Aufführungen folgende weitere Bearbeitung des Films zu einem Zeitpunkt eingestellt wurde, in welchem die öffentlichen Artikulationen gegen die Euthanasie Wirkung zeigten (1940). Die Euthanasie-Aktion wurde 1941 offiziell gestoppt - sicherlich nicht durch das Taktieren der RWU.

Die Autorin der anderen Arbeit, D. K. Tatjana Schruttke, die in Mainz Publizistik, Politikwissenschaft und Kunstgeschichte studiert hat, stellt in "Die Jugendpresse des Nationalsozialismus" das Ergebnis ihrer Archivrecherchen vor. Frau Schruttkes Bestandsaufnahme ist bestrebt, die Titel der Nazi-Jugendpresse vollständig zu erfassen. Eine Fleißarbeit. Sie macht Aussagen über die Funktion dieser Publikationen und beschreibt Illustration und Stil, Preise, Anzeigen, Schriftleitung und Akzeptanz.

Ihr phänomenologischer Ansatz verhindert, daß sie über die Informationen, die ihr die Hitler-Jugend-Zeitschriften liefern, hinausgeht. Der Untersuchungsgegenstand ist in Schruttkes Arbeit im allgemeinen auch Gewährsmann. Das führt im einzelnen zu überraschenden Erkenntnissen. Hätten Sie's gewußt? Auch in der HJ gab es Minderheitenschutz! Die Taubstummen-Monatsschrift Die Quelle avancierte zum amtlichen Organ des HJ-Banns "Gehörlose", und Der Weckruf war eine vom Reichsjugendführer genehmigte "Zeitschrift für die nationalsozialistische blinde Jugend".

Von derlei Kuriosa abgesehen, erschöpft sich der Erkenntniswert der Arbeit im Fazit, daß die Nazi-Jugendpresse modern, professionell und zielgruppengenau war. Das ist jetzt allerdings Vokabular des Rezensenten. Die Autorin vermerkt zurückhaltend, daß "sowohl Inhalte als auch äußere Aufmachung zunehmend jugendgemäßer" geworden seien; die Publikationen seien "reine" Jugendzeitschriften geworden, in denen die Kampfparolen der Anfangsjahre "mehr und mehr zugunsten von unterhaltsameren Beiträgen im Rahmen jugendlicher Interessengebiete" verschwunden seien.

Graphische Gestaltung und Bild dominierten über den Text. Farbposter hätten schon damals der Hitler-Jugend-Publikation Junge Welt entnommen werden können. Angesichts der in diesem Buch durchschimmernden Naivität der Autorin (sie vermißt in den HJ-Zeitschriften "kritische Auseinandersetzungen mit der Hitlerjugend") ist davon auszugehen, daß ihr Implikationen des Fazits - Modernität, Professionalität, hohe Akzeptanz der Nazi-Jugendpresse - nicht bewußt wurden.

Legt man wie sie aktuelle Kriterien an (zum Beispiel das für die NS-Jugendpresse zunächst merkwürdig anmutende kommerziell / nicht kommerziell), kommt der Leser unversehens zum Ergebnis, daß die damalige Presse für uns heute so etwas wie eine Vorbildfunktion haben müßte. Die Schruttkesche Arbeit schreit daher nach Weiterführung. Welche Kontinuitäten gibt es? Was steht einem Boom der Jugendpresse der dreißiger Jahre heute entgegen? Die Autorin schweigt.

Einmal, ein einziges Mal, gibt sie ihre Zurückhaltung auf und vermerkt in einer Fußnote, daß der "Hauptschriftleiter" der HJ-Zeitschrift Junge Welt, Herbert Reinecker, "heute als erfolgreicher Filmautor für das Fernsehen bekannt" sei. Ja, jetzt hätte es spannend und auf eine bezeichnende Art gesamtdeutsch werden können, nämlich erstens, die Jugendzeitschrift Junge Welt wird, da sie so jugendgemäß, modern und professionell war, nach 1945 als Jugendorgan der FDJ in der künftigen DDR übernommen, und zweitens, Hauptschriftleiter Herbert Reinecker, der in der Jungen Welt im September/Oktober 1944 noch gejubelt hatte: "Was Blut ist und was Schmerzen sind, das macht mich glücklich", bekam in Westdeutschland 1953 den ersten seiner Deutschen Filmpreise und sorgte fortan für den "Kommissar" und für "Derrick".

Wenn diese Kontinuitäten, die das Buch von Tatjana Schruttke freilich nicht im Blick hat, der Nazi-Professionalität zu verdanken sind, dann Gnade uns Gott vor professionellen Nazis, gibt hiermit der Rezensent zu bedenken.

Michael Kühn: Unterrichtsfilm im Nationalsozialismus. Die Arbeit der Reichsstelle für den Unterrichtsfilm/Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht. Dissertation an der Universität der Bundeswehr, München 1997 / septem artes, Mammendorf 1998, 340 S.,DM 48

D.K.Tatjana Schruttke: Die Jugendpresse des Nationalsozialismus. Böhlau (Medien in Geschichte und Gegenwart; Band 9), Köln / Weimar / Wien 1997, 176 S., DM 48