Tabubruch ist Trumpf

Frankreichs Rechte rückt zusammen: Während die großen konservativen Parteien sich vereinigen, liebäugelt die Démocratie libérale mit dem FN

Die Parteienlandschaft der Rechten Frankreichs kommt nicht zur Ruhe. Auf die Ankündigung eines Zusammenschlusses der beiden großen bürgerlichen Formationen RPR und UDF zu einer einheitlichen Partei vom letzten Donnerstag folgte am Wochenende die Meldung: "Alain Madelin versetzt der UDF den Todesstoß" - wie die Sonntagszeitung JDD vermeldete. Voraus ging am Sonnabend ein Kongreß der Démocratie libérale (DL), der mit derzeit 5 300 Mitgliedern größten Sektion des bisherigen Parteienbündnisses UDF unter Vorsitz des ultraliberalen Ex-Wirtschaftsminister Alain Madelin. Die künftigen Konturen des bürgerlich-konservativen Lagers in Frankreich erscheinen damit unklar - eines aber steht fest: Madelin, dessen Vorbild der italienische Medienzar und Politunternehmer Silvio Berlusconi ist, wird darin eine große Rolle spielen.

Madelin arbeitet derzeit eifrig daran, im liberal-konservativen Spektrum jenen Pol zu formen, der sich den erstarkenden Neofaschisten des Front National (FN) als Bündnispartner anbietet. Damit will er die durch den FN - ohne dessen Stimmenpotential aktuell keine rechte Mehrheit denkbar ist - ausgelöste Krise der "klassischen Rechten" lösen. Der marktradikale Berlusconi-Verschnitt steht damit nicht allein; insbesondere bereitet Charles Millon, der in Lyon mit faktischer Unterstützung der Rechtsextremen als Präsident der Region Rh(tm)ne-Alpes amtiert, die Gründung seiner eigenen Partei La Droite vor (Jungle World, Nr. 18/98). Am 7. Juni soll dazu ein "Vorkongreß" in Paris, im September 1998 der Gründungskongreß stattfinden. Das einzige, was Millon von anderen bürgerlichen Politikern unterscheidet, ist seine offenkundige Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem FN, die er in der täglichen Praxis des Regionalparlaments Rh(tm)ne-Alpes zur Genüge unter Beweis stellt. So hat die Regionalregierung unter Millon dem FN gestattet, in 11 von 13 Fachkommissionen der Regionalexekutive den Vizepräsidenten zu stellen. Der Vizeposten der Kommission für Kultur fiel dem FN-Vertreter Pierre Vial zu. Vial ist der wichtigste Rassenideologe des anti-christlichen und anti-jüdischen, neu-heidnischen Flügels des FN. Er betreibt als Geschichtsprofessor an der Universität Lyon-III Forschungen über das "Indoeuropäertum" (zu anderen Zeiten hätte man "Ariertum" gesagt), in dem die direkten Vorfahren der heutigen Bewohner Frankreichs zu suchen seien. In den achtziger Jahren führte Vial zeitweise die berüchtigte "neu"-rechte Denkfabrik GRECE. Im Lyoner Regionalparlament hat sich die bürgerliche Rechte auf Dauer gespalten: 38 Abgeordnete der bürgerlichen Parteien folgen Million, der auch auf die 35 FN-Vertreter bauen kann, während 17 Abgeordnete von RPR und UDF sich distanzierten und zwei Dissidenten-Fraktionen bilden.

Der Erfolg von La Droite scheint bisher weitgehend auf die von ihrem Gründer Charles Millon regierte Region beschränkt zu sein, während sie auf nationaler Ebene vorläufig eine Splitterpartei bleibt. Derzeit beziffert sie selbst die Beitrittszahl mit 5 000, die Tageszeitung Libération berichtete vergangene Woche von 1 500 zahlenden Mitgliedern. Die Bedeutung Millons liegt vielmehr darin, daß er als Vorreiter und Tabubrecher für bedeutendere Teile des konservativen Lagers agiert. So wurde Millon bei einem Diner konservativer politischer Führungskräfte am 7. Mai von einigen Anwesenden mit den Worten begrüßt: "Endlich mal einer, der nicht nachgibt." Andere beschimpften ihn oder verweigerten ihm den Handschlag.

Bemerkenswert sind unterdessen die personellen Überschneidungen der Madelin-Partei DL mit der Millon-Gründung. So ist die "Nummer zwei" der marktliberalen Partei im Département um Lyon (Rh(tm)ne), der junge Anwalt Amaury Nardone, zugleich Aktivist von La Droite. Ebenso der RPR-Vizechef im Département, Marc Fraysse. Und jene vier Mitglieder des liberal-konservativen Konglomerats UDF, die sich im März und April mit FN-Hilfe zu Regionalpräsidenten wählen ließen, wurden zwar mittlerweile aus dem Dachverband UDF ausgeschlossen, doch sind sie teilweise noch immer unangefochten DL-Mitglieder.

Denn die bereitet sich offenkundig auf eine Trennung von der UDF vor. DL-Vizechef Philippe Vasseur, der bereits im November 1997 im Figaro-Magazine verkündete, er würde in seiner Region Nord-Pas de Calais die FN-Stimmen zur Wahl des Regionalpräsidenten akzeptieren, forderte, die DL solle "mit eigenen Flügeln fliegen". Auch Madelin erklärte in einem Interview mit Le Monde am 12. Mai: "Die Franzosen denken, daß die politische Klasse nicht immer sauber ist und daß sie zuerst vor ihrer eigenen Tür kehren sollte, bevor sie anderen Morallektionen erteilt. Diese Franzosen haben nicht unbedingt unrecht damit." Und: "Ich glaube nicht an einen permanenten Hexenprozeß gegen den Front National."

Der Parteitag am vergangenen Sonnabend beschloß mit 84,2 Prozent der Delegiertenstimmen, die UDF zu verlassen, da diese "hinfällig" sei. Diese Unabhängigkeitserklärung der ehemals größten UDF-Formation war nach den Äußerungen Madelins bereits erwartet worden. Der Parteichef hatte versucht, die Notwendigkeit einer Einheit der Rechten über die UDF hinaus taktisch zugunsten einer Abspaltung der DL ins Feld zu führen, die dann dem gaullistischen RPR als Bündnispartner mit "klar liberalen Positionen" zur Seite treten könne. Die just zwei Tage vor dem DL-Parteitag verkündete Absicht von UDF-Chef Fran ç ois Léotard und RPR-Präsident Philippe Séguin, ihre beiden Formationen zu einer neuen Einheitsstruktur mit dem Namen L'Alliance zusammenzuführen, war insbesondere auch dazu gedacht, diesem Manöver Madelins den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Das hinderte diesen aber nicht daran, die Trennung von der UDF beschließen zu lassen, um die DL als eigenständige Komponente in die künftige L'Alliance einzubringen. Léotard erklärte auf dem Parteitag seine "Empörung" und "Trauer" über diesen Beschluß und kündigte an, er werde in der "Allianz" all jene Mitglieder gegen die Pläne Madelins zusammenführen, "welche sich der Intoleranz verweigern".