Die Tragik des Unglücks

"Octalus" - ein Monsterfilm zeigt das Schicksal der Passagiere während der Jungfernfahrt des größten Luxusdampfers seiner Zeit

Wer oder was versenkt große Luxusschiffe wirklich? Dieser Frage geht "Octalus - Der Tod aus der Tiefe" von Starregisseur Stephen Sommers nach. Das Meer, die See, das Wasser, die Monster: In diesem Film wird der teuerste, modernste und schönste Luxusdampfer seiner Zeit sinken. Wir erleben die letzten Stunden des großen Schiffes auf Jungfernfahrt mit seinen Luxusgästen in der Lounge, den Arbeitern im Maschinenraum - aber ach, eine ungewohnte Gefahr lauert ihnen auf. Die Panik ist groß, es passiert Fürchterliches. Der Gedanke liegt nahe: Was, wenn es soweit ist?

Bis dahin sind die Partys auf dem Oberdeck chic, auf dem Unterdeck authentisch, die Bands verrückt, der Schiffseigner ist größenwahnsinnig, Kellnerinnen treiben ihr spöttisches Unwesen. Hauptdarstellerin Famke Janssen - ein Wildfang im kleinen Roten mit Spaghettiträgern. Sie wird in die Speisekammer gesperrt. Ihre Wut findet ein vorläufiges Ende bei Crevettenstip und Champagner. Auch die anderen Schauspieler sehen alle großartig aus, eine sehr gute Besetzung. Es seien nur Anthony Heald, Wes Studi und Treat Williams genannt.

Kaum einer dabei, der nicht einen Verbrecher spielt, aber dennoch sind sie gute Menschen. Schmuggler, Mörder, Diamantenräuber. Der Zentralcomputer setzt aus. Das Schiff wird von einer Bande überfallen, die erst die Tresore ausräumen soll und dann den Liner in die Luft jagen - Versicherungsbetrug. Denn die Ausgaben für den Unterhalt des grandiosen Fahrzeugs übersteigen die Einnahmen. So geht's nicht weiter. Der Eigentümer, das zeigt der Film deutlich, handelt so, weil die ökonomischen Prozesse ihn dazu zwingen. Das macht skrupellos. Aber der Plan scheitert. Parallelen zu anderen Schiffsunglücken sind evident. Dann schwimmt Monströses zutage. "Auf dem Meer sind schon viele Schiffe spurlos verschwunden. Keiner weiß, warum." Das kündigt der Off-Text zu Beginn an.

Oft knallt es ordentlich und unerwartet, so daß man zusammenzuckt. Ähnlich erging es kürzlich, wie man beobachten konnte, einem Zuschauer in einer Vorführung von "Harry außer sich", dem neuen Film von Woody Allen. Links, einen Sitz weiter, bewegte sich auf einmal ein gewaltiger Schatten im Dunkeln. Der Großkritiker Hellmuth Karasek hatte die Schuhe ausgezogen und seine Füße über die Lehne gelegt.

"Octalus" ist ein wirklich intelligenter Film, dessen Figuren auch Humor beweisen, wenn's drauf ankommt. Eine Frau entdeckt im stürmischen Wasser eine Leiche und ist völlig entsetzt. Zwei Meter weiter sagt ihr Freund, der das nicht mitbekommen hat: "So ein Wetter. Da sind nur Idioten draußen." Die Brutalität der Massenmordphantasien, von denen "Octalus" zweifelsohne erzählt - so könnte man einen Schiffsuntergang auch sehen -, versinnbildlicht den Terror der Gesellschaft. Die Wunden der Verletzten müssen mit Garn und ohne betäubende Mittel zugenäht werden. Die Welt wird von oben nach unten gekehrt. Der Blick geht auf die Hand. Die Nadel. Dann: nur Augen. Trauer und Entsetzen. Die Zuschauer sind hautnah dabei. Bei der Katastrophe kommt zum Beispiel keiner davon wie in anderen Untergangsfilmen. Die Passagiere finden ein schreckliches Ende.

Die Dreharbeiten sind ganz schön wüst gewesen, wie ein Gespräch mit den Beteiligten verrät. Famke Janssen fühlte sich stark beansprucht. "Mir gefiel das Drehbuch. Aber ich hätte nie gedacht, daß ich so viel Zeit im Wasser verbringen müßte."

Wie extrem es zuging, mag eine Presseverlautbarung verdeutlichen: "Seine Zeit als Soldat in Vietnam erwies sich für Wes Studi dabei als wertvolle Erfahrung." Studi, der einen Bösewicht spielt, dazu: "Man muß sich genau darüber im klaren sein, welche Emotionen man im Augenblick des Todes durchlebt. Ich entschloß mich, vor der Kamera den Tod zu ignorieren."

Was vor der Kamera stimmt, gilt auch hinter der Kamera. "Octalus" wurde in 85 zermürbenden Drehtagen abgefilmt. "Sogar ich", sagt Special-Effects-Supervisor Mike Shea, "habe mich zu Tode erschreckt, als ich den Film sah." Und Chefkonstrukteur Craig Henderson erklärt: "Stahl und Beton waren unsere Hauptarbeitsmittel. Einmal haben wir soviel Beton verarbeitet, das hätte für ein eigenes Autobahnkreuz gereicht."

Im Eisenstein-Jahr werden wir von den Filmschaffenden reich beschenkt. Seit Januar hat es schon einige gute Werke gegeben. Und es scheint, daß sich der Trend fortsetzt. Vieles, was in "Octalus" gesagt wird, dürfte in den alltäglichen Sprachgebrauch eingehen.

Ein kleiner Wermutstropfen bleibt. Ein Bekannter von der Boulevard-Presse wandte kürzlich ein, er würde sich einen Film über sehr große Schiffsunglücke niemals anschauen. Es sei einfach unmoralisch, mit dem Leid anderer Leute so viel Geld zu verdienen. Auch das ein Standpunkt in der Filmkritik. Läßt sich Tragik nur verwirklichen, wenn der Tod zu Kunst wird? Besser ist, wenn das Böse sich auf der Leinwand austobt und sonst nirgendwo. Im Kino spiegeln sich die gesellschaftlichen Verhältnisse.

Andererseits könnte man zu dem Ergebnis kommen, daß Treat Williams und Famke Janssen ein wichtiges Leinwand-Paar werden könnten. Ihr Herz schlägt von der ersten Minute füreinander und niemanden sonst. Und "Octalus" wäre dann vielleicht der spannendste, schnellste, emotionsgeladenste Liebesfilm des Jahres. Eigentlich hätte Stephen Sommers' Werk in Cannes laufen müssen. Zum Beispiel als Eröffnungsfilm - viele Kritikerinnen und Kritiker hätten sicherlich gestaunt, vielleicht ein falsches Urteil gefällt, das sie hinterher, wenn sich der Publikumserfolg erst eingestellt hat, vielleicht am liebsten hätten revidieren wollen. Deshalb ist "Octalus" ernster zu nehmen, als es zunächst den Anschein hat.

Aber wie Klaus Kreimeier in dem interessanten Buch "Filmkritik" (vor kurzem als Zusammenfassung des letztjährigen Bremer Symposiums im Schüren-Verlag erschienen) meint: Er sei nur deswegen Filmkritiker, weil er eigentlich über etwas ganz anderes schreiben wolle.

"Octalus". USA 1997. R: Stephen Sommers, D: Treat Williams, Famke Janssen, Anthony Heald, Kevin O'Connor, Derrick O'Connor. Start: 28. Mai