Habibies Zick-Zack-Theorie

In Indonesien regiert jetzt der "Alptraum des IWF". Die deutsche Industrie kann sich freuen

Indonesiens neuer Präsident konnte es gar nicht fassen: Als der seit 1966 das Land beherrschende Suharto vergangenen Donnerstag seinen bisherigen Stellvertreter Bacharuddin Jusuf Habibie nach einer vierminütigen Rede offiziell zum Nachfolger ernannte, um danach vom Rednerpult und von der politischen Bühne des Landes abzutreten, trabte Habibie seinem Chef zunächst brav hinterher.

Daß er fortan die Regierung führen soll, hatte er offenbar noch nicht so richtig begriffen. Um so schneller reagierten seine Gefolgsleute. Mindestens 300 studentische Anhänger der Islamischen Jugendbewegung (IJB) gesellten sich zu ihren Kommilitonen, die bereits seit zwei Tagen das Parlamentsgebäude besetzt hielten, um ihren Forderungen nach politischen Reformen und ein Ende der Verelendung Nachdruck zu verleihen.

Zusammenstöße mit ihren Konkurrenten wollten die Habibie-Fans zwar nach eigenen Angaben vermeiden, am Freitag passierte es dennoch: Mehrere tausend Sympathisanten des neuen Präsidenten hatten sich mittlerweile in und vor dem Gebäude eingefunden und lieferten sich Auseinandersetzungen mit jenen, die Suhartos Machtübergabe an seinen treuen Gefolgsmann nicht so einfach akzeptieren wollten. Es kam zu Handgemengen, und Steine flogen zwischen den verfeindeten Parteien. Wenig später stürmten mehr als 3 000 Soldaten und Militärpolizisten das Parlamentsgebäude und räumten es.

Nach den Protesten der letzten Wochen, bei denen nach Schätzungen um die 5 000 Gebäude zerstört worden und 500 Menschen umgekommen sein sollen, konnte Habibie dann in einer Atmosphäre "wiederhergestellter Normalität" die Mitglieder seines Kabinetts vorstellen, die etwa zur Hälfte mit denen unter Suharto identisch sind. Familienangehörige und enge Freunde des 76jährigen Despoten sind allerdings nicht mehr darunter. Der Oberbefehlshaber des Militärs, General Wiranto, bleibt aber "Minister für Verteidigung und bewaffnete Streitkräfte", ebenso wie der frühere Militärchef Feisal Tanjung weiterhin für politische Koordination zuständig ist. Die Armee stellte sich denn auch demonstrativ hinter den neuen Staatschef und Ministerpräsidenten.

Wenige Tage vor dem Machtwechsel hatte es noch Spekulationen gegeben, Teile der "Abri"-Streitkräfte würden die Proteste der Studenten durchaus unterstützen. So marschierten rund um das besetzte Parlamentsgebäude Wiranto-treue Truppen und Kadetten einer Militärakademie auf - offenbar, um damit einer blutige Niederschlagung der Bewegung durch die von Suhartos Schwiegersohn Prabowo Subianto befehligten strategischen Reserveeinheiten Kostrad vorzubeugen.

Aus Angst vor einer "chinesischen Lösung" hatte vergangene Woche auch der oppositionelle Moslemführer Amien Rais eine Großdemonstration in der Hauptstadt Jakarta kurzfristig abgesagt, zu der mehr als eine Million Teilnehmer erwartet worden waren. Im britischen Radiosender BBC begründete er diesen Schritt mit der Aussage "eines Generals", es könne zu einem Blutbad auf dem Parlamentsvorplatz kommen, sollte Rais an der Mobilisierung festhalten. Als Anführer von Muhammadiya Ulama, der mit rund 28 Millionen Mitgliedern größten Moslem-Organisation des Landes, wurden Rais durchaus Ambitionen für den Posten des Staatsoberhauptes im Falle eines Sturzes von Suharto nachgesagt. Basisorganisationen werfen ihm daher bereits vor, "Teil der Elite" und "kompromißbereit" zu sein. Der neuen Regierung wollte Rais ebensowenig angehören wie die zweite prominente Oppositionsfigur Megawati Sukarnoputri, die Tochter des ersten indonesischen Präsidenten Sukarno.

Die Hoffnung auf einen "verfassungsmäßigen Übergang" aber hat Rais keineswegs aufgegeben: Habibie werde nicht länger als ein halbes Jahr an der Spitze der Inselrepublik bleiben, prophezeite er und forderte, Suharto wegen Verletzung von Menschenrechten und persönlicher Bereicherung den Prozeß zu machen. In Washington soll der Moslemführer, der in Paris Soziologie und in Chicago Politologie studierte, bereits eifrige Lobbyarbeit bei der Clinton-Administration und Wirtschaftsvertretern betrieben haben. Selbst das Wall Street Journal bescheinigt Rais, er habe seinen Kapitalismus-feindlichen Kurs modifiziert und die Forderungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) als "notwendiges Übel" akzeptiert.

Damit dürfte er perspektivisch bessere Chancen als Habibie haben. Denn obwohl dessen Aufstieg sich an der Börse Jakartas zunächst als Hausse niederschlug, IWF und Weltbank ihrerseits ebenfalls Zufriedenheit signalisierten, ist das Mißtrauen gegen den 61jährigen relativ groß. Noch im Januar, als Suharto bekanntgab, der damalige Forschungs- und Technologieminister werde im März zu seinem Stellvertreter gekürt, folgte darauf ein Einbruch der Börsenkurse. Nicht ganz unberechtigt wird schließlich der Name Habibie - neben seinen vielen Spitznamen, von "Rudi" über "unser deutscher Clown" bis "Alptraum des IWF" und "German boy" - als "HAri-hari BIkin BIEngung", "der täglich nichts als Chaos stiftet", dechiffriert.

Das geht zurück auf die volkswirtschaftliche Zick-Zack-"Theorie" des Präsidenten, der einst an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen studierte, promovierte und sich habilitierte: Die indonesische Währung Rupiah müsse durch Hochzinspolitik zunächst künstlich aufgewertet werden, um das Land für ausländische Investoren attraktiv zu machen, danach aber einen rasanten Kurssturz hinnehmen. Durch erneut hohe Zinsen auf etwas niedrigerem Niveau müsse dann wieder Kapital angelockt werden, unter Inkaufnahme einer weiteren Abwertung, um dann wieder hohe Zinsen zu versprechen und so fort. Durch das programmierte Zick und Zack taugt die Rupiah aber höchstens für Währungsspekulation und ist für langfristige Investitionen kaum attraktiv. Die US-amerikanische Rating-Agentur Standard & Poor's reagierte auf die Einsetzung Habibies entsprechend mit einer niedrigeren Bewertung von Geschäften in Indonesien.

Gegensätzlich verhielt sich die deutsche Finanz- und Wirtschaftswelt. Die deutschen Angestellten der Daimler-Benz-Produktionsstätte in Jakarta bekamen in der vergangenen Woche zwar einen Zwangsurlaub auf der Touristeninsel Bali verordnet, ab dem heutigen Mittwoch sollen sie jedoch weiterarbeiten. Denn nicht nur für die Süddeutsche Zeitung ist Habibie "unser Mann in Jakarta". Als Doktor der Ingenieurwissenschaften jahrelang bei der Rüstungsfirma Messerschmidt Bölkow Bloom in Hamburg tätig, bewahrte er nach seiner Rückkehr zu seinem Ziehvater Suharto den Kontakt zur deutschen Industrie. Neben seiner Residenz in Jakartas Nobel-Vorort Kebayoran Baru besitzt er noch heute eine Nebenvilla im niedersächsischen Kakerbeck, nordöstlich von Wolfsburg.

Mit deutscher Hilfe wollte Habibie in Indonesien ein "Wirtschaftswunder" inszenieren - insbesondere im Bereich der Hochtechnologie, der Telekommunikationsindustrie sowie dem eher militärisch als zivil geprägten Flug- und Fahrzeugbau beispielsweise. Allein Siemens verzeichnete so im vergangenen Jahr einen Umsatz in dreistelliger Millionenhöhe, auch an dem Bau von Indonesiens erstem Atomkraftwerk ist der Münchener Konzern beteiligt. Weiterer wichtiger Investor ist die Ferrostaal AG aus Essen, eine MAN-Tochter, in deren indonesischer Vertretung Habibies Schwester tätig ist. Denn in Sachen Vetternwirtschaft unterscheidet sich "Rudi" nur wenig von seinem Vorgänger. Während in dem Land heftig gegen die vermeintliche ökonomische Dominanz der chinesischen Minderheit gewettert wird, führt Habibies jüngerer Bruder Suyatim Abdulrachman mit der Timsco-Holding eine der größten Unternehmensgruppen des Landes an, die eine Reihe von Staatsaufträgen zugesprochen bekam. Daß die indonesische Pfründewirtschaft des sogenannten Crony-Kapitalismus unter Habibie ein Ende hat, ist daher kaum zu erwarten.

Ebenso scheint auch die Abri gestärkt aus dem Führungswechsel an der Spitze des Landes hervorgegangen zu sein. Traditionell ist ihr Vorgehen von der dwi-fungsi- (Doppelfunktions-) Doktrin bestimmt. Demnach fühlt sich die Abri nicht nur für die "nationale Sicherheit", sondern auch für die politische und ökonomische Entwicklung des Staates verantwortlich. Von Deutschland hochgerüstet und von US-Militärexperten ausgebildet, stellt sie somit auch innenpolitisch einen entscheidenden Machtfaktor dar. Vorausgesetzt, ihre Befehlshaber verwickeln sich nicht in interne Machtkämpfe, wie es zuletzt zwischen Wiranto und Subianto der Fall war.

Auch in dieser Hinsicht ist unter Habibie der indonesische "Normalzustand" wiederhergestellt. Generalleutnant Subianto wurde das Kommando über die 17 000 Soldaten der Kostrad Ende letzter Woche entzogen, und die Abri zählt nur einen starken Mann an ihrer Spitze: General Wiranto.