»Atommacht in Wartestellung«

Das pakistanische Atomprogramm wäre ohne internationale Unterstützung nicht zustande gekommen. Und ohne die deutsche schon gar nicht

Die einen nennen ihn den "Dr. Mabuse Pakistans" (India Times), die anderen einfach "german-trained metallurgist" (CNN). Viel spekuliert wird zur Zeit über die Rolle von Abdul Qadeer Khan, Schöpfer und Leiter des pakistanischen Atomprogramms, der in Berlin und an verschiedenen Universitäten in Belgien und den Niederlanden in den sechziger Jahren Metallurgie studiert hat. Von 1972 bis 1975 arbeitete er beim deutsch-britisch-niederländischen Gemeinschaftsprojekt Urenco, einer Urananreicherungsanlage im niederländischen Almelo, von wo er vor seiner Flucht nach Pakistan Unterlagen zur Urananreichrung und über Nuklear-Lieferfirmen mitgehen ließ.

Somit wurde die Entwicklung des "Nuklearparks Pakistans" (NZZ) erst ermöglicht, allerdings nicht ohne zusätzliche internationale Unterstützung: "Zivile" Forschungsreaktoren und Atomkraftwerke wurden von den USA und China geliefert, sie unterstehen jedoch Kontrollen der IAEA (Internationale Atomenergieorganisation). Bei mindestens einem weiteren Forschungsreaktor, der nicht von der IAEA kontrolliert wird, ist unklar, woher dessen Bestandteile stammen, ähnliches gilt für "eine Anlage zur Herstellung von Tritium (Ö), die unter anderem mit Komponenten aus Deutschland erstellt" wurde, wie die NZZ vor knapp zwei Wochen vorsichtig andeutete. Doch warum so vorsichtig, die Liste deutscher Nuklear-Proliferation nach Pakistan ist lang (und für die noch viel längere der Lieferungen von Bestandteilen für A-, B- und C-Waffen nach Indien, Libyen, Irak, Iran, Südafrika, China, Nord-Korea fehlt leider der Platz):

N Im Frühjahr 1985 wird ein Freiburger Ingenieur wegen eines Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz zu einer Bewährungs- und Geldstrafe verurteilt. Er hatte über mehrere Jahre Teile einer Uranhexafluorid-Anlage nach Pakistan schmuggeln lassen. Gegen weitere drei deutsche Firmen wird ermittelt.

N Im Frühjahr 1986 ermitteln die Staatsanwaltschaften in Köln und Aachen gegen mehrere deutsche Firmen, die im Verdacht stehen, Druckbehälter und anderes Atomzubehör nach Pakistan zu liefern versucht zu haben. Das Material wurde im Zollfreilager in Basel vom schweizerischen Zoll konfisziert.

N Im Oktober 1987 veröffentlicht der britische Guardian eine Schwarze Liste des US-Handelsministeriums, nach der nordamerikanische Computerfirmen nicht mehr ohne Sondergenehmigung High-Tech-Geräte an bestimmte Firmen und Institutionen in der BRD liefern dürfen. Diese werden von der CIA als "potentielle Atomwaffenschmieden" einer "Atommacht in Wartestellung" angesehen. Genannt werden u.a. Alkem, Nukem, Urenco, die Deutsche Gesellschaft zur Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen, das Kernforschungszentrum Karlsruhe - und das Bundesministerium für Forschung und Technologie.

N Im Herbst 1988 muß sich in Bonn ein Untersuchungsausschuß mit dem Atomhandel einer Düsseldorfer Firmengruppe beschäftigen, die seit Mitte der siebziger Jahre nukleare Komponenten in alle Welt, besonders aber nach Pakistan, geliefert hat. Der Geschäftsführer gibt vor dem Untersuchungsausschuß an, alle Aktivitäten seien von den zuständigen Bundesbehörden abgesegnet und "bei Gelegenheit auch mit dem Wirtschaftsministerium diskutiert" worden. Die Firma Transnuklear macht wegen des Verdachts auf Atomschmuggel Schlagzeilen, Ermittlungen aber bleiben aus.

N Nur knapp zwei Monate später wird bekannt, daß die Gelnhauser Atomfirma Neue Technologien GmbH (NTG) und der Inhaber der Firma Physikalisch Technische Beratung (PTB) jahrelang Nuklear-Komponenten nach Pakistan (aber auch nach Indien und an das Apartheidsregime in Südafrika) geliefert haben. Auch Tritium, ein radioaktives Gas, das als Sprengstoffverstärker beim Bau von Atombomben verwendet wird, sei verkauft worden, wie Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hanau ergeben.

NTG stand seit 1982 mit der pakistanischen Atomenergie-Behörde in Kontakt. Der NTG-Hauptbeschuldigte, ein ehemaliger Angestellter der Hanauer Nukem, gibt zu, das Bundeswirtschaftsministerium bereits im April 1985 um eine Stellungnahme zur beabsichtigten Lieferung einer Tritium-Anlage gebeten zu haben. Das Ministerium informiert umgehend das Auswärtige Amt, aber nur, um mit diesem darüber zu streiten, ob die Tritium-Anlage (die nur militärisch verwendbar sein konnte, wie Technokraten aus dem Ministerium später bestätigten) nach dem Außenwirtschaftsgesetz genehmigungspflichtig sei oder nicht. Trotz US-Interventionen wird vom Wirtschaftsministerium schließlich beschlossen, eine Genehmigung sei nicht nötig.

Im April 1989 ermittelt die Staatsanwaltschaft Hanau in diesem Zusammenhang auch gegen den Leiter des Tritium-Labors des Max-Planck-Institus für Plasmaphysik in Garching bei München. Vor Gericht gesteht dieser, zwischen 1984 und 1987 an der Verschiebung von Nukleargütern im Wert von 20 Millionen Mark nach Pakistan beteiligt gewesen zu sein. Das Max-Planck-Institut distanziert sich per Entlassung von seinem Mitarbeiter, der das Institut "hintergangen" habe. Im Zuge der Ermittlungen stoßen Zollfahnder auch auf ein Konto bei der pakistanischen Nationalbank, wo u.a. die Firmen Degussa und Siemens regelmäßig auftauchen.

N Zwischen 1990 und 1992 rüsten deutsche Firmen den Irak atomar auf. Gegen Degussa und die Kölner Firma Leybold, die bereits 1987 von der Kölner Staatsanwaltschaft verdächtigt wurde, Anreicherungstechnik nach Pakistan geliefert zu haben, wird ermittelt.

N Im Sommer 1994 werden am Stuttgarter Flughafen Spezialteile zum Bau von Anreicherungsanlagen, Raketen-Navigationssysteme und große Mengen Raketentreibstoff vom Zoll sichergestellt, die von einer Leonberger Firma nach Pakistan geliefert werden sollten. Bekannt wird auch, daß 1992 eine Firma aus Erlangen Teile für Gas-Ultrazentrifugen, die für nukleare Wiederaufbereitung benötigt werden, nach Pakistan geliefert hat. Auch Transnuklear macht wieder Schlagzeilen. Nur kurze Zeit später gibt die damalige pakistanische Ministerpräsidentin Benazir Bhutto bekannt, daß in ihrem Land erstmals Atomwaffen zusammengebaut worden seien.

"Es gibt ein Land nördlich von uns mit einem öffentlich erklärten Atomprogramm, und eines mit einem geheimen Programm westlich. Bei letzteren sind die heimlichen Käufe von Nukleartechnologie bekannt, einschließlich der Käufe in Deutschland", faßte jüngst Indiens Botschafter in Deutschland, Satinder K. Lambah, die lange Geschichte deutscher Nuklearunterstützung für Pakistan im Freitag kurz und treffend zusammen. Und ebenso treffend weiter: "Es bestehen viele Ähnlichkeiten zwischen der indischen und deutschen Atompolitik." Deutschland habe zwar dem Atomwaffensperrvertag zugestimmt, weiß Lambah, allerdings mit drei Einschränkungen: "daß sich Deutschland das Recht vorbehielt, (Ö) auszusteigen, sollte die Nato seine Sicherheit nicht mehr garantieren"; "Deutschland würde sich (zweitens) nicht mehr an den Vertrag gebunden fühlen, falls es europäische Atomstreitkräfte gäbe."

Auch auf die Frage, warum Deutschland als offizieller Nicht-Atomwaffenstaat mehr als zwei Tonnen Plutonium bunkert, hat Lambah eine Antwort: "Die zwei Tonnen sind nur die in Deutschland gelagerte Menge, in Hanau. Die Gesamtmenge liegt bei sechs oder sieben Tonnen, wenn Sie nämlich die deutschen Vorräte in Frankreich und Großbritannien einbeziehen." Da diese insgesamt "wirtschaftlich nicht profitabel" seien, müßten sie zu einem anderen Zweck gehortet werden. Drittens nämlich habe "sich Deutschland seinerzeit das Recht vorbehalten, seine Atomanlagen auch für militärische Forschungen zu nutzen, wie Matthias Küntzel es in seinem Buch (Bonn and the Bomb - German Politics and the Nuclear Option) beschrieben hat", weist sich der Botschafter als Kenner antideutscher Literatur zum Thema aus. Und verstanden hat er sie auch, wenn auch auf seine Art: "Jedes Land hat das Recht, seine legitimen Sicherheitsinteressen wahrzunehmen. Und genau das hat Deutschland getan."