Sudetendeutscher Tag in Nürnberg und Bonn

Befreiungsschlag für den Reichsgau

"Wahrheit und Recht - Fundament für Europa" - so lautete das Motto des 49. Sudetendeutschen Tages, der am Pfingstwochenende in Nürnberg stattfand. Die Politiker, vornehmlich der Christenunion, hatten sich schon vorab warmgeredet, bei einer Bundestagssitzung am Freitag vor Pfingsten, die in dem mit Regierungsmehrheit bei Stimmenthaltung der SPD gefällten Beschluß gipfelte, die "Vertreibung" der Deutschen aus Osteuropa nach 1945 sei "völkerrechtswidrig" gewesen und müsse nun deren "Niederlassungsrecht" in Polen und Tschechien zur Folge haben.

Das komplizierte Thema "Wahrheit und Recht - Fundament für Europa" hatten die Politiker entzerrt: Zu "Wahrheit und Recht" sprach die neugewählte Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, die CDU-Abgeordnete Erika Steinbach, zu "Fundament für Europa" der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, der die Sudetendeutschen als "Vierten Stamm" unter seine Fittiche genommen hat. Die Tschechen, verhalf Frau Steinbach der Wahrheit zur Geltung, hätten "unter deutscher Herrschaft fast nicht gelitten". Deshalb sei es falsch, forderte sie Recht, wenn der in der deutsch-tschechischen Versöhnungserklärung vereinbarte "Zukunftsfonds" hauptsächlich tschechischen NS-Opfern zugute komme. "Die Rechtsordnung" der EU-Beitrittskandidaten, baute Edmund Stoiber (CSU) weiter am Fundament für Europa, müsse "sorgfältig überprüft werden". Wenn die Regierung in Prag sage, die Benes-Dekrete - die die Enteignung und Aussiedlung der Sudetendeutschen verfügten - würden nicht aufgehoben, dann werde es "schwer, Tschechien in die EU aufzunehmen". Wenn Prag die von Frau Steinbach "ausgestreckte Hand der Vertriebenen" nicht ergreife, so der Münchener Ministerpräsident, dann sei das angesichts der tschechischen Beitrittswünsche zur EU "ein Anachronismus".

Ein ganz schlimmer sogar: Vor 60 Jahren bereits haben sich die Tschechen geweigert, die schräg nach oben ausgestreckte rechte Hand der Sudetendeutschen zu ergreifen. Und was ist daraus entstanden? "Mord und ethnische Verfolgung", antwortet Finanzminister Theo Waigel (CSU), der als Vertreter der Bundesregierung das offizielle Grußwort an die in Nürnberg Versammelten richtete. "Mord und ethnische Verfolgung", begangen nach 1945, als die fast leidensfreie Zeit vorbei war, an jenen Mitgliedern der deutschen Minderheit, die 1938 zu 90 Prozent für die nationalsozialistische Partei des Konrad Henlein und mithin für den Einmarsch der Nazis votiert hatten. "Nirgendwo in der Welt", erklärte der Bundesminister, "gehen heute Mord und Verfolgung mehr straffrei aus".

Die Mindeststrafe dafür, daß man sich nach 1945 so rabiat von denen befreite, die einem sieben Jahre lang von Terez'n bis Lidice so viel Gutes getan hatten, kennt Waigel schon: "Ein Geste des guten Willens" wäre es, wenn Prag den Henleindeutschen "zumindest das Recht auf Heimat" zugestehe. Damit sie ihr mildtätiges Werk alsbald fortsetzen können. Dazu empfiehlt Waigel die Prügelstrafe: Ein Schlag - ein "Befreiungsschlag" gar - könne es sein, wenn Prag die Benes-Dekrete aufhebe.

Wie richtig es für die Tschechoslowakei war, sich von der deutschen Volksgruppe zu befreien, demonstrierte kurz vor dem Nürnberger Treffen ein Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft: Benes sei ein Verbrecher, so schlimm wie Hitler, äußerte er vor Journalisten. Der tschechische Botschafter Frantisek Cerny sagte daraufhin seine Teilnahme an dem Treffen ab.