Das digitale Monopoly

Gewinnt Bertelsmann den Gerhard-Cromme-Gedächtnispreis für die beste feindliche Übernahme?

War es, so die taz, ein "Sieg der Politik", und ist der digitale TV-Traum von Bertelkirch ausgeträumt, wie die Frankfurter Rundschau kommentierte? Oder hat das Handelsblatt recht, wenn es meint, das Nein des obersten EU-Wettbewerbshüters Karel Van Miert zur Bertelsmann-Kirch-Digital-Allianz werfe das digitale Pay-TV um Jahre zurück?

Mit Blick auf die Vielfalt in der Medienszene sei die einstimmige Entscheidung der EU-Kommission, das fusionierte Digitalfernsehen von Kirch und Bertelsmann zu verbieten, "verbraucherfreundlich", da nun auch die Chancen für kleinere Anbieter steigen, verkündet der Deutsche Journalisten-Verband (DJV). Die Gefahren, die eine solche Verbindung für die Medienzukunft berge, seien erkannt und ein entsprechendes Signal gesetzt worden, heißt es in der Erklärung der journalistischen Standesorganisation.

Um was geht es eigentlich? Kirch betreibt den digitalen Pay-TV-Sender DF1; Bertelsmann war mit dem analogen Sender Premiere lange alleine auf dem Pay-Markt. Um digitales Fernsehen empfangbar zu machen, bedarf es ähnlich dem Premiere-Decoder eines Zusatzgerätes. Dieses - die d-box - hat die KirchGruppe entwickelt. Nach langem Streit einigten sich im letzten Jahr die Telekom AG, ARD/ZDF, Kirch und Bertelsmann auf die d-box als Standardgerät.

Mit der kabeltauglichen d-box sind derzeit drei Premiere-Kanäle und rund 30 Spartenkanäle von DF1 zu empfangen. Das geschieht - wie bei Premiere - im Abonnement-Verfahren. Hinzu kommen noch etliche Angebote im sogenannten Pay-per-View-Verfahren - also Sendungen auf Abruf -, die extra bezahlt werden müssen.

Ohne Extra-Entgelt sind in einigen Bundesländern das Hauptprogramm des ZDF und ein Servicekanal im digitalen Netz zu empfangen. Neben dem Ersten, speist die ARD alle Dritten Programme, Arte, Phönix, 3Sat sowie drei Sonderkanäle, auf denen aus vorhandenem Material Servicepakete zusammengefügt werden können, in die schöne neue Fernsehwelt ein.

Zur Zeit spielt Digitalfernsehen noch keine große Rolle. Zahlen belegen das: Im analogen Angebot hat Premiere 1,6 Millionen Abonnenten, im digitalen Bereich konnten bislang 120 000 Kunden gewonnen werden. Bei DF1 können derzeit 120 000 Kunden bei Formel1-Übertragungen "zwischen sechs Kamera-Perspektiven" wählen oder sich auf dem Comic-Kanal ununterbrochen Asterix und Obelix reinziehen. Aber: Die Zukunft ist digital, und die Programmanbieter fällen jetzt ihre strategischen Entscheidungen, um irgendwann an das große Geld zu kommen.

Wie beim Einkauf von Filmrechten hatte Leo Kirch auch beim Digitalfernsehen die Nase vorn. Doch mit DF1 fuhr Kirch in den 20 Monaten seines Bestehens rund eine Milliarde Mark Verlust ein. Von seinen Hausbanken bekommt er keine Kredite mehr, zudem sieht er sich mit einem Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung in Höhe von 400 Millionen Mark konfrontiert

So wurde im November 1997 mit Bertelsmann ein Digitales TV-Gemeinschaftsunternehmen gegründet. Premiere und DF1 sollten zusammengelegt werden. Bereits 1994 wollten die Telekom AG, KirchGruppe und Bertelsmann eine Medien-Service GmbH gründen, doch wurden sie von der EU gestoppt. Kirch und Bertelsmann beherrschen bereits jetzt den privaten TV-Markt fast vollständig. Durch die Digital-Allianz wäre die größte deutsche Medienkonzentration entstanden.

So viele Fürsprecher für ein Medien-Projekt gab es selten: Neben Noch-Kanzler Kohl, Bald-Kanzler Schröder, NRW-Ministerpräsident Clement, Bayern-Stoiber und EU-Kommissarin (und frühere ÖTV-Vorsitzende) Monika Wulf- Mathies haben sich viele für das digitale Projekt ausgesprochen.

Aber auch so steht es nicht ganz schlecht um die meisten der Allianz-Partner. Um die Verflechtungen der Bertelsmann-Fernseh-und Rundfunk Holding CLT / Ufa, die Beteiligungen von Kirch und von Springer aufzuzeigen, benötigte man in dieser Zeitung mindestens eine Doppelseite.

Einige Beispiele: Die KirchGruppe ist mit rund 40 Prozent bei Sat1 beteiligt; der Axel-Springer-Verlag (ASV) bei Sat1 mit 20 Prozent, bei Premiere mit 25 Prozent; Kirch wiederum ist mit rund 35 Prozent beim ASV beteiligt. Bertelsmann hält über CLT/UFA 37,5 Prozent von Premiere. Premiere ist also die Schnittstelle zwischen Kirch und Bertelsmann.

Eine weitere Überschneidung beider Konzerne: Kirch hat via Springer Einfluß auf Radio Hamburg; Springer gehören 25 Prozent der Stimmrechte (aber 35 Prozent Beteiligung), und CLT/UFA 29,2 Prozent. Welche Monopole gilt es hier also zu verhindern? Zumal Premiere auf die Filme, die bei Kirch im Keller lagern, angewiesen ist und es hier Verträge gibt.

Die CLT / Ufa ist über die Ablehnung des gemeinsamen digitalen Pay-TV-Vorhabens von CLT / Ufa und KirchGruppe enttäuscht, aber nicht überrascht, war dann auch am vergangenen Mittwoch aus dem Hause Bertelsmann zu hören. Und dann kamen auch aus Gütersloh die Klagen: "Leidtragende der Entwick lung sind vor allem die Zuschauer in Deutschland, die auf ein breites digitales Pay-TV-Angebot, wie es in anderen europäischen Ländern längst existiert, vorerst verzichten müssen", weinte Fernseh-Vorständler Michael Dornemann von Bertelsmann.

Um das Monopol zu bekommen, hätten sich Bertelsmann und Kirch auf Van Mierts Pokerspiel einlassen müssen. Der hatte durchblicken lassen, daß man sich einigen könne, wenn auch andere Teilnehmer im digitalen Monopoly zumindest Teilrechte der von Kirch und Bertelsmann fast vollständig gehaltenen Film- und Sportrechte erwerben können. "Kirch hat zugestimmt, Bertelsmann abgelehnt", sagte Van Miert am vergangenen Mittwoch. Dagegen sagte Dornemann: "Die Forderungen der EU-Kommission hätten den Wettbewerb in Deutschland völlig verzerrt. Wir wären dadurch gezwungen worden, unsere Wettbewerber auch noch zu subventionieren. Unsere Innovationskraft und Risikobereitschaft wäre bestraft worden."

Hinter vorgehaltener Hand wurde in Brüssel gemunkelt, Kirch habe nur "aus Not" dem Deal Van Mierts zugestimmt. Bertelsmann dagegen wolle Kirch an die Wand drücken, um so an die 120 000 DF1-Abonnenten heranzukommen. Wie Kirch-Sprecher Dieter Hahn sagte, sei die Einstellung von DF1 "nur noch eine Frage der Zeit". Vielleicht bekommt ja demnächst Bertelsmann den "Gerhard-Cromme-Gedächtnispreis" für die spekulativste feindliche Übernahme.

Noch einmal Dornemann: "Die Kommission unterschätzt mit ihrem Votum die Dynamik in der Medienbranche und verkennt, daß CLT / Ufa und KirchGruppe auf Basis einer einheitlichen, diskriminierungsfreien Plattform mit möglichst attraktiven Programmangeboten eine rasche Marktdurchdringung des digitalen Fernsehens erreicht hätten."

Aber erst durch den Aufbau der digitalen Infrastruktur und der damit verbundenen milliardenschweren Investitionen hätten auch andere TV-Unternehmer die Möglichkeit gehabt, ihre Programmpakete und Dienstleistungen auf der neuen Plattform anzubieten. Bei soviel Nächstenliebe der Bertels- und Kirchmänner muß man sich dann doch fragen, was eigentlich faul an der Sache ist. Und: Bringt das digitale Fernsehen tatsächlich mehr Vielfalt?

Übrigens: Derselbe Karel Van Miert, der sich jetzt als Fürsprecher kleiner TV-Anbieter aufspielt und sich dem "erkennbar starken Druck aus Wirtschaft und Politik" nicht beugen wollte, wie der DJV tönte, zeigt sich in einer anderen Sache überhaupt nicht einsichtig: Die Buchpreisbindung, die sowohl Autoren wie auch kleine Verlage und selbständige Buchhandlungen schützt, will er demnächst kippen. Und gegen die eine oder andere Industrie- und Bankenfusion hatte Karel Van Miert schließlich auch nichts einzuwenden.