Star und Sternchen

Neben sich duldet der Kanzlerkandidat keine weiteren Größen - mit Ausnahme des leidigen Vorsitzenden, den er nicht loswird

In der Woche von Gerhard Schröders Wahlkampfberater Manfred Bissinger wurde sie vorgestellt, wenige Tage später kam vergangene Woche die Bestätigung aus Schröders Bonner Zentrale in der niedersächsischen Landesvertretung: Die "Kernmannschaft" des Kandidaten steht, diesmal geht die SPD mit einem fast vollständigen Schattenkabinett ins Rennen.

Von Rudolf Scharping bis Franz Müntefering bietet die Liste der Ministeranwärter wenig Überraschendes, allein das Fehlen von Parteiprominenten wie dem Sozialpolitiker Rudolf Dreßler, dem Parlamentarischen Geschäftsführer Peter Struck oder Ingrid Matthäus-Maier war einigen Zeitungen noch einen Kommentar wert. Die Finanzpolitikerin liegt mit Schröder im Clinch, seit sie 1993 gegen ihn um die Kanzlerkandidatur rang. Schwer zu sagen, ob die Nichtbeachtung Schröders späte Rache für die damalige Niederlage ist, oder ob Matthäus-Maier für ihre kritischen Worte zu Schröders Law-and-order-Vorstoß im vergangenen Jahr abgestraft wurde. Auf jeden Fall wäre sie in der Riege der Ministeranwärter die einzige von des Kandidaten innerparteilichen Kritikerinnen und Kritikern: So demonstrativ reibungslos, wie Schröders Nominierung lief, so glatt soll wohl auch die Zusammenarbeit in der künftigen Regierungsmannschaft sein.

Für den Kandidaten hat das einen weiteren Vorteil: Mit Ausnahme des Parteivorsitzenden Lafontaine, der freien Zugriff auf sein Wunschressort hatte, hat sich bisher keiner der designierten Minister so weit aus dem Fenster gelehnt wie der Kanzlerkandidat selbst. Sein Stern wird also zweifelsohne im Wahlkampf alle anderen überstrahlen: Eine Notwendigkeit, schließlich profitiert Schröder in der Wählergunst von dem Macher-Image, das er sich in den letzten Jahren zugelegt hat. Aber während fast jeder fast jeden der Namen auf Schröders Liste schon einmal gehört hat, sind die Positionen, für die die Kandidaten stehen, meistens kaum bekannt. Wer sind die Frauen und Männer um Schröder, was hat man von ihnen zu erwarten?

Finanzen, Europapolitik: Oskar Lafontaine. Sollte aus dieser Ressortzuordnung ein Ministeramt werden, dann hätte der SPD-Vorsitzende seinen Traumjob gefunden. Die wirtschaftliche Lage im Saarland, das von der Krise der Montaninudstrie in besonders hohem Maße betroffen war, zwang den Ministerpräsidenten schon früh, selbst zum findigen Finanzfachmann zu werden. So haben seine flammenden Appelle für die Beibehaltung des Länderfinanzausgleichs durchaus auch eine eigennützige Komponente. Doch Lafontaine ist Finanzpolitiker nicht nur aus Not, sondern auch aus Begeisterung. Während Schröders wirtschaftspolitische Visionen allenfalls Versammlungen von mittelständischen Unternehmern zu Begeisterungsstürmen hinreißen können, vermag Lafontaine auch schläfrige SPD-Parteitage in Stimmung zu bringen. Daß er dabei häufig auf sozialdemokratischen Positionen wie einem hohen Spitzensteuersatz oder dem Abbau von Abschreibungsmöglichkeiten für Reiche beharrt, hat ihm bei der Regierungskoalition den Ruf eines Dogmatikers eingebracht.

Das Thema Europa betrachtet der Saarländer als Herzensangelegenheit. Das unterscheidet ihn von Schröder, der keinen Hehl daraus macht, daß bei ihm nationale Interessen im Vordergrund stehen, und es verbindet ihn mit Helmut Kohl, den Lafontaine für seine Verdienste um die europäische Einigung schon auch mal lobt. Sollte der Parteivorsitzende tatsächlich nach einer gewonnenen Wahl die Definitionsmacht über die Europapolitik behalten, dann dürfte sich an Kohls Linie höchstens in stilistischer Hinsicht etwas ändern, zumal die wesentlichen währungspolitischen Entscheidungen ohnehin schon unter Dach und Fach sind.

Innenpolitik: Otto Schily. Parteifreunden und Beobachtern ist der einstige RAF-Anwalt in den letzten Jahren vor allem durch eines aufgefallen: Durch sein Engagement für den Großen Lauschangriff. Mit leidenschaftlichen Appellen trat Schily, der von 1980 bis 1989 den Realo-Flügel der Grünen angeführt hat, bei SPD-Parteitagen auf, um sein Steckenpferd zu verteidigen. Am Ende erfolglos: Der Parteitag in Hannover lehnte im letzten Jahr den nach Schilys Ansicht "vernünftigen und wohlabgewogenen Kompromiß" ab, den der Stellvertretende Fraktionsvorsitzende mit der Koalition ausgearbeitet hatte. Einige Berufsgruppen sind seitdem von der Lauscherei ausgenommen. Dem Bürgerrechtsflügel der SPD gilt Schily wegen seiner Vorliebe für Abhöraktionen als rotes Tuch. Nur knapp schaffte er es im März vergangenen Jahres, als Stellvertretender Fraktionschef wiedergewählt zu werden, und auch um einen sicheren Listenplatz bei der Bundestagswahl mußte er in Bayern kämpfen. In der Asylpolitik vertritt Schily, der sich noch 1992 für eine Streichung des individuellen Grundrechts auf Asyl und der damit einhergehenden Rechtsweggarantie ausgesprochen hatte, mittlerweile eine "gesteuerte Zuwanderung" mit erleichterter Einbürgerung und auch mit Doppelter Staatsbürgerschaft.

Außenpolitik, Verteidigungspolitik: Rudolf Scharping. Nach seinem Scheitern als Kanzlerkandidat hat der einstige rheinland-pfälzische Ministerpräsident den Bart abrasiert und sich auf die Außenpolitik gestürzt, die in den Jahren der Opposition bei den Sozialdemokraten eher stiefmütterlich gehandhabt wurde. Er war es, der die Partei in der Frage der Bundeswehr-Einsätze in Ex-Jugoslawien zu einem klaren "Ja" disziplinierte; seine Pro-Bundeswehr-Appelle vor Parteitagen und dem Bundestag klangen ähnlich eindringlich wie Schilys Lausch-Angriffe. Als Staatssekretär in einem von Scharping geführten Außenministerium ist Günter Verheugen im Gespräch, der dem damaligen Kanzlerkandidaten 1994 als Generalsekretär zur Seite stand. Wenig später legte Verheugen dieses Amt nieder, angeblich wegen einer Schmutzkampagne, die Parteifreunde gegen ihn führten. Verheugen gilt, länger noch als Scharping, als der Mann, der die Außenpolitik der Sozialdemokraten bestimmt. Aber vielleicht wird ohnehin Joseph Fischer Außenminister, Scharping führt die SPD-Fraktion an und Verheugen bleibt ewig auf seinem Stammplatz in der zweiten Reihe.

Justiz: Herta Däubler-Gmelin. Zwischen den beiden starken Flügeln, die in der SPD die Diskussion um Strafe und Gerichte bestimmen, konnte die schwäbische Professorin sich nie so richtig entscheiden: Sie verstand es, stets die Kompromißkandidatin zwischen eher bürgerrechtlich orientierten Sozialdemokraten und Befürwortern des starken Staates zu sein. CDU-Hardliner Rupert Scholz forderte sie gar auf, "gemeinsam gegen Kriminalität und deren Ursachen" vorzugehen und lobte "neue konstruktive Ansätze" in dessen Papier über "effektive Wege der Kriminalitätsbekämpfung". Auch wenn sie erklärtermaßen nicht unbedingt an die abschreckende Wirkung von Strafverschärfungen glaubt, stellte sie 1996 Überlegungen an, "ob die Art der Strafen ausreicht, die wir heute haben". Kurz vorher hatte sie sich gegen die sofortige Abschiebung von ausländischen Straftätern ausgesprochen - denn so komme der Verurteilte vielleicht als freier Mann zwei Wochen später wieder hierher, "um seine kriminellen Geschäfte weiterzutreiben".

Familie, Gesundheit, Jugend: Christine Bergmann. Mit der Berliner Senatorin für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen erfüllt Schröder gleich zwei Quoten: Eine Frau, und noch dazu aus dem Osten. Dort erfreut sich die frühere Apothekerin nach wie vor großer Beliebtheit. Den Berlinern ist sie vor allem als Sparkommissarin vertraut, deren Aufgabe es ist, Kürzungen bei Kindertagesstätten und betreutem Wohnen möglichst schonend zu vermitteln.

Kanzleramt, Koordination: Franz Müntefering. Nachdem die Hoffnungen auf den Ministerpräsidentensessel in Düsseldorf zerstoben sind, darf der Manager von Schröders Wahlkampf weiter tun, was er am besten kann: Im Hintergrund organisieren, dem Chef den Rücken freihalten, unauffällig und immer streng an der Parteilinie orientiert.

Aufbau Ost: Rolf Schwanitz. Als der Stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse Ende 1996 laut über das Verhältnis zur PDS nachdachte und dabei auch Koalitionen auf Landesebene in ferner Zukunft nicht mehr ausschloß, war es der Sachse Schwanitz, der laut "Verrat" rief: Dann drohten der Partei Massenaustritte und vielleicht die Spaltung. Knapp zwei Jahre zuvor hatte Schwanitz - zusammen mit so beliebten Bürgerrechtlern wie Bärbel Bohley, Jürgen Fuchs, Wolf Biermann und Vera Lengsfeld - eine Erklärung unterschrieben, die sich gegen eine Amnestie für minderschwere Straftaten von Beschäftigten der DDR-Organe wandte: "Es gibt keinen 'Schlußstrich' unter die Verbrechensgeschichte zweier menschenverachtender Systeme", argumentierten die Totalitarismustheoretiker. In der Bundestags-"Enquete-Kommission Aufarbeitung der Geschichte und Folgen der SED-Diktatur" konnte Schwanitz diesem Geschichtsbild zur Wirkungsmächtigkeit verhelfen.

Bildung: Edelgard Bulmahn. Gemessen am Stellenwert, den der Bereich "Bildung" in Schröders Wahlprogramm ausmacht, wurde mit Frau Bulmahn eine erstaunlich unspektakuläre Repräsentantin ausgewählt. Als Bildungspolitische Sprechern der SPD-Bundestagsfraktion nimmt sie seit Jahren die Aufgabe wahr, Kürzungen der Bundesregierung bei Hochschulen genauso zu kritisieren wie zuwenig Geld für Biotechnologie. Kaum anzunehmen, daß ihr Schröders Finanzierungsvorbehalt viel Raum lassen wird, wieder auszubügeln, was die Union ihrer Meinung nach falsch gemacht hat.