Zeit zum Nachdenken!

Statt unreflektiert gegen das "globale Kapital" zu agitieren, sollte die deutsche Linke endlich ihre historischen Irrtümer überwinden.

Eigentlich merkwürdig: Da bildet sich ein weltweites Aktionsbündnis, das sich auf die Fahnen geschrieben hat, durch zivilen Ungehorsam die Vorherrschaft des Kapitals auf der Welt zu bekämpfen. Und was machen Teile der deutschen AktivistInnen, die bei People Global Action organisiert sind? Verschreiben sich dem Lobbyismus, beklagen den Verlust nationalstaatlicher Souveränität, sehen deutsche Kleinbetriebe vor allem durch US-Konzerne bedroht und scheuen sich nicht einmal, in Wort und Bild auf tendenziell antisemitische Stereotypen über die im geheimen stattfindende "Verschwörung des Kapitals" zurückzugreifen.

Die Entstehung einer weltweiten Protestbewegung gegen die aktuellen Strategien von Konzernen und Freihandelsorganisationen wie der WTO ist begrüßenswert. Wer aus der Linken - gleich ob etabliert oder nicht - hat das je bestritten? Doch nur, weil es gegen das "Kapital" geht, ist noch lange nicht alles richtig, was da von den AktivistInnen an Argumenten angeführt wird. Die Linke hat - historisch betrachtet - weltweit allergrößte Irrtümer und so manches Verbrechen begangen. Das gilt sowohl für ihren reformistischen wie für ihren revolutionären Flügel, und besonders gilt es für die deutsche Linke. Diese hat beispielsweise bis zum heutigen Tag nur in Teilen aus der Geschichte des linken Antisemitismus gelernt - sie hat ihn lediglich in Antizionismus umgetauft und agitiert nicht mehr direkt gegen die "hinter dem Finanzkapital stehenden Juden", sondern gegen Israel. Vor diesem Hintergrund ist es ein Mindestanspruch an intellektuelle Redlichkeit, daß Linke nicht nur ihre politischen Gegner kritisieren, sondern gerade auch sich selbst. Die Zeiten der wohlwollenden linken Solidarität, die aus Angst vor "Zersplitterung" den Mantel des Schweigens über jedes gefährliche Ideologem legt, solange es aus den vermeintlich eigenen Reihen kommt, sind aber leider immer noch nicht vorbei. Ob das Klagen darüber wehleidig ist oder vielmehr hochgradig notwendig, sei dahingestellt.

Gerade bei der Agitation gegen das Multilaterale Investitionsabkommen (MAI) werden die Akteure der Konzerne, der OECD oder der WTO häufig dämonisiert. Auf Buhmänner wie Bill Gates oder Renato Ruggiero wird in linkspopulistischer Manier eingeschlagen, als seien sie das personifizierte Böse. Daß der moderne Kapitalismus jedoch eine außerordentlich komplexe Vergesellschaftungsform ist, in der alle Subjekte mehr oder minder stark verfangen sind, daß die Profiteure der herrschenden Weltordnung keineswegs nur auf Seiten des "global agierenden Kapitals" zu finden sind, sondern auch in den ach so bedrohten "bayrischen Kleinbetrieben" und in nationalen Parlamenten, wird allzu gerne unterschlagen bzw. gar nicht erst mitgedacht. Eine solche Kapitalismusanalyse kann nur als undifferenziert bezeichnet werden.

Statt dessen differenzieren viele Anti-MAI-AktivistInnen, wo dies gar nicht unbedingt nötig ist. Es macht keinen großen Unterschied, ob Entscheidungen in der Chefetage eines Konzerns getroffen werden oder in Parlamenten. Entscheidend ist, "was hinten raus kommt", sprich das materielle Ergebnis der Entscheidung. Ob antiemanzipatorische Politik durch eine "institutionelle Oligarchie" (Agnoli über den Parlamentarismus) oder eine nichtinstitutionelle Oligarchie betrieben wird, ist so drittrangig wie die Frage, ob deutsche oder US-amerikanische Konzerne die Spielregeln des modernen Kapitalismus besser beherrschen. Davon abgesehen: Wann ist es z.B. in der BRD je gelungen, die Entscheidungsträger in den Parlamenten auf so etwas wie "Volkssouveränität" (ein im übrigen hochideologisches Konstrukt) festzunageln? Nicht mal im Grundgesetz ist derartiges festgelegt, die Abgeordneten sind allein ihrem "Gewissen" und damit ihren Interessen verpflichtet.

Das chronische Festhalten vieler MAI-GegnerInnen an Kategorien wie Parlamentarismus, Volk und Nation zeigt, daß die Revolution vorrangig in den Köpfen stattfinden muß und nicht auf den Straßen vor den Genfer UN-Palästen. Nationalwahn, die Ethnisierung sozialer Konflikte, Rassismus und Patriarchat fordern bis zum heutigen Tag mehr Opfer als der vermeintliche Hauptwiderspruch Kapital - Arbeit. Agitation gegen das Kapital von der Agitation etwa gegen die Nation und ihre politische Vertretung in den Parlamenten abzutrennen, reproduziert jedoch immer wieder erneut die bestehenden Herrschaftsstrukturen. Wer auf nationale Institutionen positiv Bezug nimmt, kann kein internationalistisches und damit antinationales Ziel vor Augen haben.

Die Linke sollte sich nicht nachsagen lassen, auf das intensive Überdenken der eigenen Positionen verzichtet zu haben. Die hier stattfindende Debatte sowie die Tatsache, daß sich in den englischsprachigen Manifesten des PGA deutlich weniger Unfug findet wie in vielen Texten seiner deutschen AnhängerInnen, gibt jedoch Anlaß zur Hoffnung. Es ist ja vorstellbar, daß - ebenso wie die deutsche Konzernwirtschaft durch die heutige Verflechtung mit internationalem Kapital gegenüber den dreißiger und vierziger Jahren vergleichsweise zivilisiert wurde - auch die deutsche Linke aus der Zusammenarbeit mit globalen Bewegungen etwas lernt.