Hooligans und Grenzschützer

Erlebnis an der Grenze

Sie fahren nach Frankreich: Barfuß in den Schuhen, die Gauloises griffbereit auf dem Armaturenbrett, die Kassetten ebenfalls: Piaf und Fréhel und Brassens, MC Solar, Les Negresses Vertes und Zap Mama. Deutsches Autokennzeichen, naja. Man wird darüber hinwegsehen. Nach der Grenze, überlegen Sie sich, nehme ich nicht die Touristenrennstrecke an der Rhône entlang und auch nicht die Autobahn nach Paris, sondern diese nette kleine Straße hinter Nancy gleich links, später immer am Kanal entlang, dann das kleine Städtchen, wo Sie noch nie ein Wort Deutsch gehört haben. Zum Abendessen - die Jahreszeit der Steinpilze beginnt gerade - natürlich ins "La Vieille Chne", dazu den Roten, der gerade nicht mehr "Bourgogne" heißen darf und darum so unambitioniert und einfach gut ist. So soll das jetzt drei Wochen lang sein.

Ihre Träumerei beginnt gerade verkehrsgefährdende Ausmaße anzunehmen, als Sie, kurz vor der Grenze, hinter einer Kurve anhalten müssen. Die Straße wimmelt vor grünen Uniformen: Bundesgrenzschutz im Kampfanzug. Vor ihnen stauen sich die Fahrzeuge. Junge Leute müssen austeigen, den Kofferraum öffnen. Papiere! Als Sie nach zwanzig Minuten Warten an der Reihe sind, erfahren Sie den Anlaß der Straßensperre: Deutsche Hooligans, unter ihnen zahlreiche Parolen brüllende Neonazis, haben in mehreren französischen Städten randaliert, Passanten angegriffen, ein verletzter Polizist schwebt in Lebensgefahr. Die Kontrolle sei eine Präventivmaßnahme, schließlich gehe es ja "um das Bild, das die Franzosen sich von uns Deutschen machen", erklärt ein freundlicher Beamter, während er den Inhalt des Handschuhfaches filzt. Alles in Ordnung, danke schön, Sie können weiterfahren.

Was halten Sie von dem, was Sie soeben erlebt haben? Ihr erster Reflex - nach der Aggression, den der Anblick der Grüngewandeten, zumal in solchen Massen, für gewöhnlich auslöst - könnte sein: Gut, die halten mir das Pack vom Hals, das mir ernstlich den Urlaub versauen könnte. Lens - noch nie gehört; wer weiß, wo die noch auflaufen. Besser, man hält sie ganz draußen aus Frankreich.

Geht das überhaupt?, ist ihre zweite Idee: Mehr als dreihundert Kilometer ist die Grenze zu Frankreich zwischen Lörrach und Merzig lang, wem das nicht reicht, der kann über die Benelux-Länder oder die Schweiz ins Nachbarland reisen, zur Not sogar über Italien. Alle Hooligans, die bislang geschnappt wurden, erfahren sie beim Kaffee in der Lorraine, fielen an großen Grenzübergängen auf wie dem, den Sie benützt haben. Für die unzähligen kleinen Stationen im Pfälzer Wald fehlt den Grenzschützern sicher das Personal.

Und wie war das überhaupt? War da nicht was in der Diskussion mit Schleierfahndung? Verdachtsunabhängige Kontrollen? Naja, einen Verdacht hat es natürlich gegeben: Daß Schläger nach Frankreich fahren wollen, um den Franzosen mal so richtig zu zeigen, was ein häßlicher Deutscher ist. Aber warum hat sich der Verdacht gegen Sie gerichtet, warum gegen die anderen in der Schlange kurz vor der Grenze? (So schlecht sehen Sie nun auch wieder nicht aus.) Nur, weil sie vor dem Urlaub noch Haareschneiden waren?

Und wie war das eigentlich mit Schengen? Bei allen Vorbehalten waren Sie doch seinerzeit eher dafür, weil Sie den Gedanken sympathisch fanden, bei der Fahrt nach Frankreich nicht mehr von deutschen - und auch nicht von französischen - Bullen kontrolliert zu werden. Letztes Jahr wurden Sie von der französischen Polizei allerdings gleich zweimal kontrolliert, und heuer müssen Sie erfahren, daß das Schengener Abkommen - "wenn die Lage es erfordert" - die Möglichkeiten offenläßt, jederzeit die Kontrollen an den Binnengrenzen wiedereinzuführen. Nach außen wird sowieso schärfer kontrolliert als je zuvor.

Langsam kommt Ihnen der Verdacht, hier werde vielleicht ein ganz anderes Spiel gespielt. War es Kohl, als es neulich um den Präsidenten der Europäischen Zentralbank ging, nicht auch ziemlich egal, was die Franzosen von ihm hielten? Verhindern wird man künftige Randale mit solchen Methoden wohl kaum können. Aber innenpolitisch hat man wieder einen Schritt weiter gemacht. Die Nazi-Hools haben die Vorlage dafür geliefert. Wollen wir hoffen, daß Sie wenigstens an Ihrem Urlaubsort von Ihnen verschont bleiben.