Jeder gegen jeden

Im Prozeß um eine Aktion der spanischen Todesschwadron GAL schieben sich Konservative und Sozialisten gegenseitig die Schuld zu

Jamás, jamás, jamás. Vor dem Obersten Gerichtshof in Madrid ist "niemals" eines der bedeutendsten Worte. Hochrangige Zeugen, die in der vergangenen Woche vor dem Richter José Jiménez Villarejo im seit dem 25. Mai laufenden Prozeß über eine Aktion von vielen der Todesschwadronen GAL aussagten, wollen von nichts gewußt haben.

Der ehemalige Ministerpräsident Felipe González von der Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) hätte beinahe selbst auf der Anklagebank Platz nehmen müssen. Vor rund anderthalb Jahren hatte das Gericht mit einem Votum von sechs zu vier Stimmen beschlossen, den einstigen Regierungschef nur als Zeugen zu hören, während sein früherer Innenminister José Barrionuevo als Angeklagter vor Gericht steht. Er soll die Befehle zur Bildung der Todesschwadronen gegeben haben und damit für die mindestens 28 Mordopfer der GAL zwischen 1983 und 1988 mitverantwortlich sein.

Zur Entlastung seines Ministers und Parteifreundes erschien Gonz‡lez am Dienstag der vergangenen Woche vor der Strafkammer und sah sich selbst unter Rechtfertigungsdruck. "Niemals", erklärte der Sozialdemokrat, der zwischen 1982 und 1996 die spanischen Regierungsgeschäfte führte, habe er die überwiegend in Südfrankreich durchgeführten Aktionen der GAL angeordnet. Barrionuevo habe ihm "niemals" Aktionen dieser Art vorgeschlagen: "Weder er noch irgendjemand anderes." Mit einem dritten "niemals" beantwortete González die Frage, ob er die GAL-Aktionen gegen mutmaßliche Mitglieder der bewaffneten Baskenorganisation Eta gutgeheißen habe. Vielmehr hätten die Aktionen bereits 1983 die ohnehin schwierigen Beziehungen zum Nachbarland Frankreich belastet.

Am 18. Oktober des Jahres waren vier zivil gekleidete spanische Polizisten in Südfrankreich bei dem Versuch, das Eta-Mitglied José Ram-n Larretxea zu entführen, festgenommen worden. In Telefonaten mit Frankreichs Präsidenten Fran ç ois Mitterrand hatte sich Gon-zález nach eigenen Angaben um eine Normalisierung der gespannten Beziehungen bemüht. Zu seiner Entlastung hatte der Zeuge dem Gerichtshof gleich ein Telex und weitere Schriftstücke als Beweismaterialien mitgebracht.

Denn von Belastungszeugen - beispielsweise dem Polizisten José Amedo, der wegen GAL-Zugehörigkeit bereits zu 108 Jahren Gefängnis verurteilt ist - wird behauptet, die spanischen Behörden hätten mit der am 4. Dezember 1983 erfolgten Entführung des französischen Geschäftsmannes Segundo Marey versucht, die Freilassung der vier Spanier und eine Zusammenarbeit der französischen Polizei bei der Auslieferung gesuchter Eta-Aktivisten zu erpressen. In Madrid, so argumentierte González in seiner mehr als drei Stunden dauernden Aussage, lag bereits am 19. November eine Zusage vor, die vier freizulassen.

Mit seiner eigenen Entlastung und der seines Innenministers wollte sich González allerdings nicht begnügen. Er präsentierte dem Richter Jiménez eine eigene Vermutung über die Urheberschaft der GAL-Aktionen: Offenbar hätten sie die Beziehungen zu Frankreich weiter belasten und damit den geplanten Beitritt Spaniens zur Europäischen Gemeinschaft verhindern sollen, den es gegen ein französisches Veto nicht gegeben hätte. Darum sei einer der Morde direkt vor einem Treffen González' mit Mitterrand erfolgt. Deshalb sei eher eine Urheberschaft rechter Kreise zu vermuten - eine Verschwörung gegen die sozialistische Partei etwa.

Eine deutliche Anspielung auf die spanische Regierungspartei, den Partido Popular (PP) des konservativen Ministerpräsidenten José Mar'a Aznar. Die von Traditionalisten der Franco-Diktatur aufgebaute Partei soll sich seit spätestens 1994 besonders stark dafür eingesetzt haben, daß der González-Partei die Verantwortung für die GAL-Aktionen zur Last gelegt wird. Deswegen mußte Francisco Alvarez Cascos, PP-Generalsekretär und stellvertretender spanischer Ministerpräsident, vergangene Woche ebenfalls als Zeuge aussagen.

Auch Cascos glänzte mit einem "niemals": Zu keinem Zeitpunkt habe er dem Polizisten Amedo und dessen - ebenfalls bereits verurteilen - Kollegen Michel Dom'nguez eine Begnadigung zugesagt, so sie eine Verwicklung der PSOE-Regierung öffentlich bestätigen würden. Dom'nguez ist da anderer Meinung. Im Dezember 1994 sei sein Anwalt Jorge Manrique mit Alvarez Cascos zusammengetroffen und habe ein solches Geschäft angeboten bekommen.

Der Politiker bestätigte in seiner Zeugenaussage zwar, daß er sich in den Räumen der konservativen Tageszeitung El Mundo mit Manrique getroffen habe, zum Inhalt der Unterhaltung wollte er sich aber nicht äußern. Statt dessen benannte er González als politisch Verantwortlichen für "Entstehung, Finanzierung, Führung, Organisation und Beendigung der terroristischen Aktivitäten der GAL". Zumindest für eine Finanzierung gibt es Anzeichen. So wurden von Amedo und Dom'nguez Gelder aus staatlichen Reservefonds auf Schweizer Konten angewiesen, und daß im Madrider Kabinett von der Zweckentfremdung der Rücklagen niemand wußte, gilt als unwahrscheinlich.

Gleichzeitig ist der Verdacht nicht ganz unbegründet, daß die Konservativen der Diskreditierung der PSOE nachgeholfen haben. Erst im Februar war bekanntgeworden, daß sich seit 1993 im Umfeld des El Mundo-Herausgebers Pedro J. Ram'rez, der mit dem heutigen Ministerpräsident Aznar gut befreundet ist, ein Kreis formiert, der Möglichkeiten zum Sturz des Ministerpräsidenten González erwog (Jungle World, Nr. 9/98). Ram'rez soll es auch gewesen sein, der PP-Generalsekretär Cascos mit dem Anwalt Manrique zusammenführte. Im Gegensatz zu Dom'nguez scheint sich Amedo auf den Deal eingelassen zu haben; er beschuldigt den Ex-Staatsekretär für Sicherheitsfragen, Rafael Vera, sowie Barrionuevo und González der Mittäterschaft. Als Zeuge gegen die PSOE-Regierung tritt auch Garc'a Damborenea, Ex-Parteichef in der Region Biscaya auf. Er ist PP-Mitglied.

Höchst umstritten ist außerdem die Rolle des Ermittlungsrichters Baltasar Garz-n vom Sondergerichtshof Audiencia Nacional. Seit 1988 im Amt, hatte er sich 1993 beurlauben lassen, weil die PSOE ihn auf einen aussichtsreichen Listenplatz bei den Parlamentswahlen gehievt hatte. Garz-n wurde Sonderbeauftragter für Drogenpolitik. Nach Aussage des PSOE-Ministerpräsidenten der Region Extremadura, Juan Carlos Rodr'guez Ibarra, soll er sich jedoch einen Ministerposten erhofft haben. Offenbar von Gonz‡lez enttäuscht, beendete Garz-n nach acht Monaten, im Mai 1994, seine politische Laufbahn, kehrte auf seinen Richterposten zurück und eröffnete die bereits abgeschlossenen GAL-Verfahren erneut.

In einem Gespräch mit Dom'nguez soll er dem Polizisten nach dessen Aussage ebenfalls Vergünstigungen angeboten haben, so er die PSOE belaste. Mit dem Verfahren gegen Barrionuevo und Gonz‡lez hatte er sich allerdings übernommen. Weil beide Parlamentsabgeordnete sind, ist nicht die Audiencia Nacional, sondern Spaniens Oberster Gerichtshof zuständig. Öffentlich wird nun die Integrität des Richters bezweifelt. Sein ebenfalls mit den GAL-Taten befaßter Kollege Javier G-mez de Lia-o wurde am 19. Juni gar von sämtlichen Aufgaben suspendiert. Ihm wird Rechtsbeugung vorgeworfen, weil er den Vertrieb von Decodern eines PSOE-nahen Digital-TV-Anbieters per Urteilsspruch untersagt hatte.

Für González' Karriere waren die GAL-Verfahren aber ebensowenig karrierefördernd. Nach der Wahlniederlage vom März 1996 hat die PSOE mittlerweile einen neuen Parteivorsitzenden und einen neuen Spitzenkandidaten für die Parlamentswahl im Jahr 2000 bestimmt. In der Parteipressestelle kann man die Nachfragen zu González und GAL schon nicht mehr hören. Deswegen soll der Ex-Premier im Juni 1999 PSOE-Spitzenkandidat für die Wahlen zum Europaparlament in Strasbourg werden. Da gibt es aber noch ein Problem: González will lieber in Madrid bleiben.