Leistung vs. Eugenik, 2:0

"Gattaca" mit Ethan Hawke und Uma Thurman: Nicht empfohlen für Kinogänger, die kein Blut sehen können

Von dem Film habe ich ungefähr die Hälfte der Szenen verpaßt, weil ich kein Blut sehen kann. "Gattacas" Welt ist schon deshalb unausstehlich, weil in ihr an jeder Ecke Blut genommen wird. Beim Betreten des Raketenzentrums müssen die Mitarbeiter den Daumen auf eine Metallplatte pressen. Man sieht, wie ihnen ein winziger Stutzen in die Fingerkuppe fährt. Ein paar Tropfen Blut rinnen in die bioanalytische Apparatur (nehme ich an, ich habe mich mit Schaudern abgewandt. Hier, wenn Sie erlauben, ein idiosynkratischer Exkurs: Es ist doch merkwürdig, daß ich Splatterfilme, die das Abhacken von Gliedmaßen und Köpfen und das unter großem Druck aus dem Körper schießende Blut zeigen, ansehen kann, ohne mit der Wimper zu zucken. Habe ich nicht über Andy Warhols "Frankenstein" (in der 3-D-Version) oder über die "Freitag, der 13."-Filme lauthals gelacht? Aber wenn ein wenig an der Hornhaut geritzt oder eine Spritze in die Armvene eingeführt wird, erbleiche ich sofort). Stimmt das Genprofil, öffnet sich die Schranke.

Hinter der Schranke geht es auch nicht besser weiter: Auf sterilen Böden, in sterilen Innenräumen, vor sterilen Tischen und sterilen Computerschirmen bewegen sich sterile Menschen, die alle mit einer sterilen Kuchenform aus einem sterilen Teig gestanzt zu sein scheinen. Man wundert sich nicht, daß es wirklich so ist. Der Genanalytiker hat den Eltern vor der Geburt ihres Kindes die Chromosomen geputzt, damit es vor Erbfehlern aller Art gefeit ist. Hätte er nicht programmieren können, daß Chloroform statt Blut in des Kindes Adern fließt? Oder daß ihm zwei Nasen und drei Augen wachsen? Man hätte das verbesserte vom nicht-verbesserten Menschenmaterial unterscheiden können. So muß auf Schritt und Tritt der genetische Personalausweis gezückt werden; bei der primitiven Technik in "Gattaca" heißt das: Urinprobe oder Blut aus Daumen oder Armbeuge. Zur Not genügen Haare und Schuppen.Der Blutverlust ist jedenfalls beträchtlich. Daher sehen wohl alle so blaß aus.

Nicht die Person muß identifiziert werden, sondern lediglich, ob sie der Kaste der natürlich oder der künstlich Gezeugten, der Unreinen oder der Reinen angehört. Nur Menschen mit luxuriertem Erbmaterial dürfen Astronauten werden, der Rest muß Dienst tun in der Putzkolonne. Vincent (Ethan Hawke) möchte nicht putzen, sondern im Raumschiff mitfliegen, obwohl sein Genprofil auf einen Herzfehler schließen läßt, der sich tatsächlich ausbildet. Seine Camouflage mit Hilfe von Blut- und Urinattrappen, sein Kampf gegen die Grauen Herren ergeben den Plot. Die Moral ergibt sich von selbst; sie stellt dem Rebellen noch ein, zwei Gerechte zur Seite, unter anderem eine Liebesgeschichte (Uma Thurman).

Interessanter ist, daß Vincent einen Bruder mit erstklassigen Genen hat. Dieser Bruder ist nicht halb so ehrgeizig wie Vincent; vor allem unterliegt er im Wettschwimmen. Das soll nun die Widerlegung des eugenischen Weltbildes sein: Der Makellose wird von dem Mann mit Webfehlern geschlagen, weil der ein Ziel hat, eine - wie sagt man? - Vision. Der technische Totalitarismus bringe Phlegmatiker hervor, während Höchstleistung doch dadurch erzielt werde, daß einer seine Mängel zu überwinden sucht und seine Mitbewerber niederkonkurriert. Aber zu welchem Ende? Daß er sich als heldenhafter Raumfahrer dem Vaterland zum Opfer bringen darf.

Kurz: Die gentechnische Aufzucht und Kontrolle ist auch von Staats oder System wegen gar nicht nötig, wenn einer sich selbst den mächtigen Idealen adaptiert. Hier spricht "Gattaca", ohne es zu wollen, eine Wahrheit aus: Eugenik will dem Subjekt Ideologie implementieren, die es sich ohnehin selbst implementiert. Gentechnologie ist eine strikte und starre Manipulatorin, wie es einst die Kirche war, während doch der Markt die Köpfe viel flexibler regelt.

Daß der Regisseur Andrew Niccol bereits vollständig ästhetisch reguliert ist - "Gattaca" ist sein Debüt -, beweisen die Bilder, die er sich zum Thema ausgedacht hat: Die kahlen, gebohnerten High-Tech-Flure und -Hallen, die gleichförmigen, monochromen Gesichter, die kataplektischen Körper, die nordkoreanische Formationenbildung, die man aus Dutzenden Anklagen gegen den Überwachungsstaat kennt. Wollte Niccol den Ausstattern eine Chance geben? Sie haben sie nicht genutzt; die ungemütliche Zukunft stellen sie sich vor wie eine Peter-Stuyvesant-Werbung, vor der sich der auch in Anzug und Krawatte stets etwas schmuddlig wirkende Hawke immerhin deutlich abhebt. Die konfektionierte negative Utopie nach dem Muster Orwells beweist am besten, daß selbst die Phantasie gemodelt ist. Niemand vermag die Hölle als einen normalen, schmutzigen Ort auszumalen, als einen Ort, den wir bereits bewohnen. Auf ewig achtet ein neurotischer Big Brother darüber, daß kein Dreck unter den Fingernägeln sitzt.

Ein einziger Einfall prägt sich ein: Der - neben dem Bruder - zweite große Verlierer, Jerome (Jude Law), ein an seiner Beinlähmung verzweifelnder Sportler aus der Kaste der Reinen, imaginiert den eigenen Tod; er bläst etwas Rauch in einen Rotweinkelch, die Asche wirbelt über dem Blut. Obwohl die Logik des Films den Hoffnungslosen dazu verurteilt, am Ende den Weg frei zu machen, wird doch die einzige Bild-Erfindung mit ihm assoziiert. - Wenn auch nur, um seine Larmoyanz zu versinnbildlichen. Ansonsten gilt: durch Leistung zu den Sternen.

"Gattaca". USA 1997, R: Andrew Niccol, D: Ethan Hawke, Uma Thurman,
Jude Law, Gore Vidal. Start: 9. Juli