Angst vor Hundefressern

An möglichen neuen Standorten für Flüchtlingslager macht sich schon jetzt der Rassismus breit
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Bisher hatte sich niemand groß über die 300 AsylbewerberInnen aufgeregt, die seit Februar 1993 im brandenburgischen Flüchtlingslager Brand leben. Sie waren ja auch gut versteckt.

Mitten im Wald liegt der ehemalige Militärflugplatz der Roten Armee; bis zu dem winzigen Bahnhof in Brand sind es gut vier Kilometer Waldweg, die die Flüchtlinge zu Fuß bewältigen müssen, wenn sie mal raus wollen aus ihrem Lager. Infrastruktur gibt es in dem 50-EinwohnerInnen-Dorf allerdings nicht. Und die Fahrt mit dem Zug nach Lübben oder Cottbus kostet Geld, das die Flüchtlinge nicht haben. Einkaufen müssen sie in einem extrem schlecht sortierten Magazin auf dem Lagergelände zu völlig überteuerten Preisen. Zwei bis drei Personen teilen sich ein kleines, schäbiges Zimmer. Manche bekommen vom Betreiber des Lagers, dem Arbeiter-Samariter-Bund, einen der wenigen begehrten Jobs - für zwei Mark Stundenlohn.

Als 1982 in Baden-Württemberg das erste Sammellager für Flüchtlinge eingerichtet wurde, erklärte der damalige Ministerpräsident Lothar Späth: "Die Buschtrommeln werden in Afrika signalisieren - kommt nicht nach Baden-Württemberg, dort müßt ihr ins Lager." Eine kostengünstige Unterbringungsform waren die Lager noch nie. Die Einquartierung in Wohnungen wäre billiger. Die Funktion der Sammelunterkünfte war von Anfang an neben der besseren Kontrolle vor allem Abschrekkung von Fluchtwilligen.

Das vom Wachschutz streng abgeriegelte Lager Brand - Besuch ist fast wie im Knast nur nach Anmeldung und Kontrollen möglich - ist dafür ein Paradebeispiel. Eigentlich also müßte es ein Grund zur Freude sein, daß die menschenunwürdige Flüchtlingsunterkunft im Wald von Brand nun nach über fünf Jahren geschlossen werden soll. Die Firma CargoLifter möchte an der Stelle ein neues Zeppelinwerk bauen. Und das verspricht Arbeitsplätze. Da sind die AusländerInnen natürlich im Weg. Doch die Schließung des Lagers stellt den Landkreis Dahme-Spreewald vor ein nicht ganz einfaches Problem, nämlich einen neuen Unterbringungsort für 300 Flüchtlinge zu finden.

Eine öffentliche Ausschreibung ergab sechs verschiedene Angebote, die nun geprüft werden. Der zunächst in die engere Wahl gezogene Ort Peitz im Spree-Neiße-Kreis lehnte sofort ab. Mit der Landesaufnahmestelle für Spätaussiedler sei man, was die Fremden angehe, bereits mehr als bedient, erklärte der Landrat.

Der Bürgermeister der Gemeinde Görlsdorf, Siegfried Petermann, meldete sich, noch bevor er überhaupt angeschrieben worden war, zu Wort. Sollte sich die Kreisverwaltung Dahme-Spreewald für Görlsdorf entscheiden, dann könne sie sich "spätestens am Wahlabend vom Unmut der Görlsdorfer überzeugen", drohte er in einem Brief an den stellvertretenden Landrat. Öffentlich kündigte er bereits "Gegenwehr" in Form von "Unterschriftenlisten, Protestresolutionen und Bürgerinitiativen" an. Petermann erklärte, er befürchte, "daß infolge des Asylbewerberheims solches Potential (gemeint sind Rechtsradikale) auftreten könnte".

Es gebe dafür schon Anzeichen in Görlsdorf, "besonders in Kneipendiskussionen, am Stammtisch und nach Alkoholgenuß". Auch der Chef des örtlichen Milchguts, Hartmut Ilgner, befürchtet Konflikte: Rechte könnten für Randale sorgen.

Ein Reporter des Berliner InfoRadios, der sich in Görlsdorf umgesehen und mit AnwohnerInnen gesprochen hat, vermutet jedoch, daß es weniger die Angst vor Rechtsextremisten als die Angst vor den AsylbewerberInnen selbst sei, die die GörlsdorferInnen umtreibe. Es kursierten Gerüchte, nach denen AusländerInnen in einem Nachbarort Hunde gegessen und die Felle anschließend vergraben hätten. Und auch Bürgermeister Petermann gibt zu: "Man hat Angst um die jungen Mädchen im Dorf und vor Kriminalität".

Noch deutlicher wird der Wirt von "Moni's Bauernstube", an dessen Stammtischen so leidenschaftlich gegen AusländerInnen gehetzt wird. Dieter Fialkowske, der für den Berliner Kurier mit vorgestrecktem Bauch im weißen Ripp-Unterhemd vor seiner Schenke posiert, erklärt unverblümt: "Asylanten bringen nur Gewalt und Kriminalität." Und die Görlsdorferin Marga Dietrich, die laut Kurier "nur einen Steinwurf vom avisierten Asylbewerberheim entfernt" wohnt, kniet für den Fotografen neben zwei Gartenzwergen im Gras und meint, mit den jetzt im Ort untergebrachten Wolgadeutschen keine Probleme zu haben. Das seien "nette, friedfertige Menschen. Doch Asylanten?"

In der Kreisverwaltung ist man wenig erfreut über die Reaktionen aus den Gemeinden. Der Landrat kündigte bereits an, gegebenenfalls auch gegen den Willen einer Gemeinde einen Standort durchzusetzen. Für welchen Ort man sich letztlich entscheiden werde, sei noch nicht klar. Ausschlaggebend sind für die Sozialdezernentin Sylvia Lehmann verschiedene Faktoren: Neben der Infrastruktur, der Beschaffenheit des Objekts und der Finanzierung auch die "Lage vor Ort", also die zu erwartenden Reaktionen der deutschen Bevölkerung.

Im Gespräch sind neben Görlsdorf noch die Gemeinden Massow, Schenkendorf bei Königs-Wusterhausen, Selchow bei Schönefeld und Lübbenau, wobei das frühere Stasi-Kasernengelände bei Massow wohl die besten Chancen hat. Auch hier bietet sich der Arbeiter-Samariter-Bund als Betreiber an. Schließlich hat er an Brand nicht schlecht verdient.

Auf welchen Ort auch immer - vermutlich in der Kreistagssitzung am 9. September - die Entscheidung fallen wird, es muß in jedem Fall mit einer rassistischen Mobilisierung gerechnet werden.