Auf dem falschen Fest

Gefährliche Orte XXXI: Bei der zehnten Love Parade war niemand dort, wo er eigentlich hätte sein sollen

"Nichts befriedigt die Sinne mehr als soziale Privilegien" ("Die 120 Tage von Sodom")

Partys, auf denen man keinen der anderen eingeladenen Gäste kennt, sind schreckliche Veranstaltungen. Meistens enden sie damit, daß man sich mit denen unterhält, mit denen man gekommen ist, was man zu Hause viel gemütlicher haben kann, oder damit, daß man unbedingt kennengelernt werden muß. Das ist sehr nervig, denn über was soll man sich mit so einem wildfremden Menschen schon groß unterhalten - das eigene Leben kennt man schließlich auswendig, ebenso wie der Wildfremde seins.

Da helfen nur die Langeweile übertönende laute Musik oder Geschenke: Kindergeburtstage waren deshalb niemals langweilig, weil die kleinen Gäste immer irgendwelche Spielzeuge bekamen, manchmal sogar ohne vorher irgendwelche blöden Spiele absolvieren zu müssen.

Daran erinnerten sich wohl auch die Organisatoren der Party, die Sat.1 und Flyer anläßlich der Love Parade im Berliner Tiergarten ausrichteten. Das Café am Neuen See ist dazu mit einem Jägerzaun in zwei Areale aufgeteilt worden, in die Partyzone gelangt man nur mit einer speziellen Einladung. Quadratische Security-Männer passen auf, daß sich niemand ohne Zugangsberechtigung - ein weißes Plastikarmband - Zutritt verschafft, denn vor den Eingängen herrschen wildes Gedränge und Geschubse. Man drängelt jedoch weniger, um hineinzukommen - das ist schließlich aussichtslos -, sondern um die Eingeladenen zu betrachten, denn die müssen schließlich schrecklich wichtig sein.

Sind sie aber nicht: Gelangweilt stehen sie bloß da und lassen sich naßregnen, wenn sie sich nicht vor den extra aufgebauten Buden anstellen, an denen es die Geschenke gibt. Das sind im einzelnen zwei verschiedene Sorten Kaffee in Dosen, taurinhaltige Getränke in Dosen, Sekt in zusammenschraubbaren Plastikbechern, Bier in geöffneten Flaschen, Cola in Pappbechern und Feuerzeuge.

Nachdem die vorauschauend mitgebrachten Rucksäcke mit dem Zeug vollgepackt sind, bleibt wieder nichts weiter übrig als herumzustehen und sich von denen, die leider draußen bleiben müsse, anstarren zu lassen. Jetzt sind zwar die für die Super-VIPs direkt am See aufgestellten, zuvor noch reservierten Tische frei, aber Pulle-Entchen hat man schonmal gesehen, und die Stühle sind immer noch naß.

Normalerweise ist dies der Moment, in dem man sich bei langweiligen Partys, wo man die anderen Eingeladenen nicht kennt, in die Küche verzieht, um zu essen. Zu essen gibt es aber bloß Sushi, dessen Zubereitung sehr lange dauert, weshalb vor der Roher-Fisch-Bude eine lange Schlange steht. So kommt es, daß die Partygäste die sie bestaunenden Café-Gäste nun ihrerseits neidisch beobachten, denn viele von denen halten Essen in der Hand. Aber - ginge man nun dort hinüber, dahin, wohin jeder gehen kann, wäre man ja nichts Besonderes mehr, deswegen bleibt man notgedrungen im Feten-Gefängnis und trinkt den Hunger weg.

Denn zu tun gibt es immer noch nichts: Auf den rund um den Tanzpavillon aufgehängten Bildschirmen flimmert ab neun Uhr nicht etwa, wie erhofft, das WM-Spiel um den dritten Platz zwischen Kroatien und den Niederlanden - darauf hat der Privatsender keine Rechte -, sondern bloß der schon seit Stunden dort präsentierte gleichermaßen farbenfrohe wie langweilende Sat.1-Clip. Einige Unentwegte tanzen zum dort aufgelegten Endlosschleifen-Stulle-Techno, der sich dadurch auszeichnet, daß er niemanden stört oder aufregt, und der ganz unbedingt Pulle-Entchen-kompatibel ist - die im See beheimatete Wasservogel-Großfamilie paddelt nach wie vor recht unbeeindruckt herum.

Anderswo ist man mit der Musik dagegen wesentlich unzufriedener. Besonders bei der Fuck Parade, der Gegendemonstration zur offiziellen Love Parade, bei der hauptsächlich Gabba mit mehr als 200 bpm gespielt wird, gibt es ziemlich viele lange Gesichter. Nicht bei den ungefähr 2 500 Teilnehmern, die gegen die Kommerzialisierung des Technos durch die Straßen Ostberlins ziehen und viel Spaß haben, sondern bei den Polizisten: "Ich hab die Arschkarte gezogen", erklärt einer derjenigen, die vor dem Roten Rathaus aufgezogen waren, um den dortigen Brunnen zu beschützen. "Das ist nicht meine Musik. Ich mein, ich steh ja auf Techno, aber sowas?" - "Ich wäre jetzt viel lieber auf der Love Parade, das macht richtig Spaß", sagt ein anderer, "was das hier sein soll, muß sich erst noch rausstellen."

Dabei haben die Kollegen auf der offiziellen Peace-and-Love-and-Scheißdreck-Veranstaltung auch nicht alle den Spaß, den die Fernsehbilder von eifrig Rave-schunkelnden Bullen mit Sonnenblumen an der Uniform suggerieren. In der Nähe der von Albert Speer entworfenen Toiletten an der Siegessäule steht ein Polizist auf einer Leiter und betrachtet angeödet die Love-Parade. "Privat höre ich Hardrock", sagt er, "Techno nervt mich. Auf Dauer macht Techno sogar blöd, da bin ich mir ganz sicher."

Der Polizist tröstet sich damit, daß er am Sonntag frei hat und dann mit ein paar Kumpels das Endspiel im Fernsehen gucken und Brasilien anfeuern kann: "Ich bin so froh, daß die deutsche Mannschaft raus ist, das war ja nicht zum Angucken, was die sich zusammengespielt haben." Immerhin, so der Beamte, sei er zufrieden mit seinem Platz und damit, daß er nicht in der Menge stehen müsse.

Denn dort ist es nicht besonders angenehm, jedenfalls dann nicht, wenn man nicht bloß dastehen und zucken möchte, sondern ein Ziel hat. Dem Erreichen dieses Zieles, das vielleicht nur die gegenüberliegende Straßenseite ist, stehen jedoch Tausende im Weg, weswegen man schnell lernt, warum die Love Parade so viel mit Anfassen zu tun hat. Weniger, weil man alle die anderen so unglaublich lieb hat, sondern deswegen, weil nur Körperkontakt garantiert, daß man sich im Gedränge nicht verliert - die anderen dagegen müssen angefaßt werden, weil sie aus dem Weg geschubst werden müssen.

Dabei kann man im Tiergarten die Musik genausogut hören wie im Gedränge und hat darüber hinaus auch noch den Vorteil, daß einem niemand auf den Füßen herumtrampelt. Denn dort geht es ungleich gemütlicher zu, einige haben dort ihre Zelte aufgebaut, mitten im Wald steht eine Dixie-Klohaus-Siedlung, die nicht nur von denjenigen umlagert wird, die sich nicht trauen, in den Wald zu pissen, denn die Gäste der Sat.1- und Flyer-Party benutzen die Häuschen fast ausschließlich zum ungestörten Drogenkonsum.

Beim Pinkeln in den Tiergarten haben sie jedoch nicht die von Männern traditionell gern genutzte Möglichkeit, sich zugleich neue Flüssigkeit zuzuführen. Denn Bierflaschen, da ist die Security sehr streng, dürfen die Party auf keinen Fall verlassen, denn sonst besteht die Gefahr, daß Nicht-VIPs in den Genuß von Gratis-Getränken kommen. Damit sichert man gleichzeitig die Gewinne derjenigen, die überall herumstehen und Sachen zu verkaufen haben. Äpfel, Lollies, Getränke, belegte Brötchen, Brezeln und Schokoriegel.

Gegen neun Uhr sind die meisten Geschäfte gemacht, die Klientel wird müde. Oder enttäuscht: Ganze Pulks von Sechzehnjährigen, bei denen es ganz offensichtlich nicht damit geklappt hat, irgendein nettes Mädchen zu finden, trotteln nun über die Straßen.

So eine Scheiße!