Neue Kontrollgesetze

Denunziation per Dekret

Es war einmal ein Land, in dem sich Hunderttausende entschlossen, dem Staat ein entschiedenes Nein entgegenzuschleudern, in dem Millionen klammheimlich falsche Zahlen in nicht allzu interessante Fragebögen schrieben, um so der Freiheit ein kleines Biotop zu erhalten.

Als sich schließlich auch noch das Bundesverfassungsgericht der Volkszählung entgegenstemmte und ein informationelles Recht auf Selbstbestimmung formulierte, freute sich alle Welt. Zwar konnte niemand gewiß sagen, daß von deutschem Boden nie wieder eine Statistik ausgehen würde, aber immerhin war der Ungehorsam in Detailfragen so gewaltig, daß der BRD das Etikett Zivilgesellschaft angeheftet wurde.

Früher, das ist bekanntlich lange her, und in den letzten sieben Tagen hat die deutsche Legislative der Zivilgesellschaft wieder ein paar Uniformstücke verordnet. Die SachbearbeiterInnen der Sozial- und Jugendämter, der Rentenversicherungen und Krankenkassen, der Bafög- und Kindergeldstellen sind künftig ganz formeIl als "Mitarbeiter" in die Pflicht genommen - statt des Datenschutzes der von ihnen Betreuten rangieren Verfolgungsinteressen des Staates künftig ganz oben: Name, Geburtsort und den künftigen Aufenthaltsort ihrer Klienten müssen die Mitarbeiter auf einfaches Ersuchen von Polizei und Staatsanwaltschaft melden.

Den Sozial- und Psychotherapeuten, die mit Strafgefangenen arbeiten, ist noch ein zusätzlicher Stern auf ihre Epauletten geheftet worden: Da der Aufenthaltsort ihrer Klienten ja bestens bekannt ist, müssen sie alles aus ihren Therapiesitzungen den Anstaltsleitern offenbaren, was "für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde oder zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib oder Leben" erforderlich ist. Nun hat die Vollzugsbehörde viele und vor allem weitreichende Aufgaben, so daß die Therapeuten gut daran täten, künftig Wortprotokolle ihrer Sitzungen weiterzureichen: Die dadurch bewirkte Arbeitsbelastung dürfte sich in Grenzen halten. Das Interesse an Therapien, die mit der klassischen Eröffnungsformel "Alles, was sie hier sagen, kann gegen sie verwendet werden" beginnen müßten, wird wohl nicht besonders groß sein.

"Für mich ist nicht entscheidend, was die SPD sagt - wobei die SPD ja in ihrer Mehrheit schweigt", hat Josef Fischer dieser Tage wissen lassen und wortreich ein Reformbündnis fürs nächste Jahrtausend beschworen. Tatsächlich hat sich in diesen letzten parlamentarischen Amtshandlungen vor der Sommerpause gezeigt, daß, mit oder ohne Worte, wirklich einig sich vor allem die große rot-schwarze Koalition ist, die geschlossen für den autoritären Sicherheitsstaat gestimmt hat.

Die außerparlamentarische Öffentlichkeit und Opposition hat sich längst aufs routinierte Vermelden immer neuer Grundrechtseinbußen verlegt: Einen Fragebogen, an dem sich die Zivilcourage praktisch hätte austoben können, hat es ja seit langem nicht mehr gegeben.

Was mit der Durchsetzung des Großen Lauschangriffs begonnen wurde, wird jetzt Zug um Zug vervollständigt. Aber wenn 13 Prozent der Deutschen rechtsextrem eingestellt sind, warum sollen nicht auch 13 Prozent der Gesetze extremistischen Rechtsauffassungen entspringen. Das "Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung" hat wohl bestenfalls eine Chance auf einen Ehrenplatz irgendwo in den Fußnoten der deutschen Rechts-Geschichte.