Führerscheine in Gefahr

Das neue Straßenverkehrsrecht will ab dem 1. August Drogenkonsumenten an den Kragen. Freie Fahrt gibt's nur für Alkohol
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Stellen Sie sich vor: Die Polizei besucht Sie zu Hause und findet eine Flasche Havanna-Rum in ihrem Kühlschrank oder einen Kasten Bier auf dem Balkon. Daraufhin wird Ihnen der Führerschein entzogen, weil davon auszugehen sei, daß Sie AlkoholkonsumentIn sind und deshalb "psychisch und charakterlich" nicht in der Lage, ein Auto zu führen.

Der Politiker muß erst noch geboren werden, der ein solches Gesetz erfindet. Während man dem Alkohol in Deutschland leidenschaftlich freie Fahrt gewährt, wird beim Cannabis wie oben beschrieben verfahren. Schon der Besitz von Haschisch oder Marihuana führt in manchen Bundesländern zuweilen zum Führerscheinentzug und zur Anordnung eines "Idiotentests". Das Gutachten des Bonner Beirats für Verkehrsmedizin von 1996, nach dem DrogenkonsumentInnen - gemeint sind natürlich nur die BenutzerInnen illegaler Drogen - grundsätzlich "den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen" nicht gerecht werden, wird von den Verkehrsbehörden und verschiedenen Gerichten völlig unterschiedlich gehandhabt. Es sind schon Beifahrer mit 1,4 Gramm Haschisch in der Hosentasche um ihren Führerschein gebracht worden.

An dieser Ungleichbehandlung, nach der die Gefährlichkeit von Drogen im Straßenverkehr ausschließlich von ihrem gesetzlichen Status abhängt, wird sich auch durch die Novelle des Straßenverkehrsrechts, die am 1. August in Kraft tritt, nichts ändern. Während für AlkoholkonsumentInnen eine seit dem 27. April auf 0,5 gesenkte Promillegrenze Auskunft über die individuelle Fahrtüchtigkeit geben soll, reicht bei Cannabis, Ecstasy, Amphetamin, Morphin oder Heroin der Nachweis des Konsums, auch wenn dieser Wochen oder Monate zurückliegt.

Bei wem ab dem 1. August eine verbotene Droge nachgewiesen wird, der muß mit einem Monat Fahrverbot, vier Punkten in Flensburg und einer Geldbuße von 500 Mark rechnen. Wer zum zweiten Mal auffällt, muß 1 000 Mark zahlen und erhält drei Monate Fahrverbot. Das Gesetz enthält den medizinisch und chemisch völlig falschen Satz: "Eine solche (berauschende; I.B.) Wirkung liegt vor, wenn eine in dieser Anlage genannte Substanz im Blut nachgewiesen wird." Da Ecstasy im Blut etwa zwei Tage, Cannabis sogar eine Woche, manchmal bis zu einem Monat nachgewiesen werden kann, muß im Grunde jede und jeder mit Führerscheinentzug rechnen, bei der oder dem eine Blutkontrolle durchgeführt wird. Auch dann, wenn er oder sie nur ganz gelegentlich mal einen Joint raucht und danach brav das Auto stehen läßt.

Daß es - anders als beim Alkohol - keine Festlegung von Grenzwerten gibt, liegt neben den ungenauen Meßmethoden auch daran, daß über die Wirkungen der verschiedenen Drogen auf eine Autofahrerin bzw. einen Fahrer wenig bekannt ist. Während das Kölner Institut für Rechtsmedizin in den ersten beiden Stunden nach dem Cannabiskonsum eine starke Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit ausgemacht hat und der Drogenexperte des TÜV, Jürgen Müller-Wickop, CannabiskonsumentInnen gar die Funktion eingeschliffenster Handgriffe abspricht, kommt das niederländische Institut für Humane Psychopharmakologie in Maastricht zu ganz anderen Ergebnissen: Ein computerüberwachter Fahrtest bei 56 ProbandInnen ergab, daß eine durchschnittliche Dosis von 300 Mikrogramm des Cannabiswirkstoffs THC "im schlechtesten Fall" die Fahrtüchtigkeit beeinträchtige wie bei 0,7 bis 0,8 Promille Alkohol.

Wenn es darauf ankomme, könne ein Cannabiskonsument sich zusammenreißen und den Rausch durch erhöhte Konzentration und Vorsicht teilweise oder ganz kompensieren. Insgesamt neigten KifferInnen am Steuer eindeutig weniger zu Risikoverhalten. Trotzdem, so Projektleiter Hindrik Robbe, sei es nicht zu empfehlen, bekifft autozufahren. Das veränderte Zeitgefühl und die Ablenkungsbereitschaft blieben ein Risiko.

Das Medizinisch-Psychologische Institut des TÜV Süddeutschland warnt darüber hinaus vor einer Veränderung der Pupillenweite. Eine Verkleinerung der Pupillen, die nach Cannabiskonsum gelegentlich leicht, nach Heroinkonsum jedoch regelmäßig stark auftritt, beeinträchtigten die Sicht besonders in der Dunkelheit. Anregende Drogen wie Kokain, Speed und Ecstasy erweiterten hingegen die Pupillen, was AutofahrerInnen sehr empfindlich gegen Scheinwerferlicht entgegenkommender Fahrzeuge mache.

Über die Wirkung aufputschender Drogen auf die Fahrtüchtigkeit ist jedoch insgesamt wenig bekannt. Sicher führt zum Beispiel Ecstasy vor allem in den ersten zwei bis drei Stunden zu einem starken Euphorie-Gefühl, so daß eine Überschätzung der eigenen Leistungsmöglichkeiten naheliegt. Gerade das dem Ecstasy verwandte Speed ist jedoch in Trucker-Kreisen recht beliebt, weil es - ohne allzu große Rauschwirkungen zu entfalten - vor allem sehr wach macht und die Konzentrationsfähigkeit eher erhöht.

Eine seriöse Betrachtung von Drogen im Straßenverkehr ist wohl nur möglich, wenn die akut leistungsschwächenden mit den akut leistungsfördernden Wirkungen ins Verhältnis gesetzt werden. Das wäre schon deshalb naheliegend, weil Doping im Straßenverkehr gesellschaftlich durchaus anerkannt ist. Legale anregende Drogen wie Kaffee, Traubenzuckerdragees, das in Energy-Drinks enthaltene Taurin oder Schokolade mit extrem hohen Koffein-Dosen werden gerade an Tankstellen offensiv angeboten. Sie signalisieren, daß es durchaus nicht selbstverständlich ist, daß man nüchtern und ohne wirkstoffhaltige Mittel am besten fährt.

Wo mit zweierlei Maß gemessen wird und zudem über die Wirkung wenig bekannt ist, fällt natürlich auch die Aufklärung schwer. Prävention setzt ein Mindestmaß an Kenntnis voraus. Wenn das nicht vorhanden ist, stoßen Warnungen vor Drogen im Straßenverkehr bei UserInnen auf taube Ohren. Etwa wenn die baden-württembergische Polizei mit bunten Faltblättern für nüchternes Autofahren wirbt, in denen es in großen Lettern heißt: "Haschisch ist nicht harmlos!" und als Erklärung für diese Aussage darunter der Satz steht: "Führerschein in Gefahr". Die Gefahr besteht also nicht im Haschisch, sondern in der Polizeikontrolle. Wer so argumentiert, macht sich nur lächerlich.

Auch Statistiken sagen nicht viel über die Gefahren von Drogen im Straßenverkehr aus. Die einzige Ausnahme bildet die Volksdroge Alkohol: Die Hälfte der rund 9 000 tödlichen Verkehrsunfälle jährlich geht auf das Konto von Bier, Wein und Schnaps. Über die Beteiligung anderer Drogen an Verkehrsunfällen gibt es kaum Zahlen. Vor gerade mal zwei Monaten meldete das Land Brandenburg den ersten tödlichen Autounfall, der auf Ecstasy zurückgehe. Bei einer Blutkontrolle der getöteten Fahrerin wurde der Ecstasy-Wirkstoff MDMA festgestellt. Doch wann die Pille konsumiert wurde, ob das MDMA zum Unfallzeitpunkt überhaupt noch Wirkung bei der Verunglückten hatte und, wenn ja, in welchem Maß, läßt sich nicht messen.

Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann begründete 1994 seine Inititaive für die jetzt umgesetzte Gesetzesnovelle unter anderem mit dem Argument, daß es im Jahr zuvor 500 schwere Unfälle mit 32 Toten gegeben habe, bei denen Cannabis im Spiel gewesen sei. Das Institut für Humane Psychopharmakologie wies diese Zahlen jedoch zurück: In 80 Prozent der genannten Fälle sei auch Alkohol konsumiert worden.

So lange die Bundesregierung als Credo ihrer Drogenpolitik Abstinenz - unter heuchlerischer Ausklammerung des Alkohols - beibehält, werden ernstzunehmende Forschungen über die Wirkungen illegalisierter Drogen auf VerkehrsteilnehmerInnen wohl ausbleiben. Die Bundesregierung hat kein Interesse an Grenzwerten für Fahrtüchtigkeit, da die Stoffe ohnehin verboten sind.

Bleiben also die widersprüchlichen Aussagen der WissenschaftlerInnen und die unterschiedlichen individuellen Erfahrungen der UserInnen. So oder so bleibt Autofahren unter Drogen gefährlich - ohne Drogen aber auch. Denn: Die andere Hälfte der tödlichen Autounfälle ist ganz ohne Rausch geschehen. Außer man zählt den Geschwindigkeitsrausch mit. Aber das wäre eine andere Diskussion.