Christian Schmidt

»Fischer hat die Grünen gekapert«

Nena schwärmt für Joseph Fischer, weil er so "erotisch" (Max) ist, Mark Terkessidis wählt ihn zum "vergleichsweise interessantesten deutschen Politiker" (Spex). Christian Schmidt, freier Autor in Berlin, von 1989 bis 1996 Redakteur bei Titanic, hat im Frankfurter Alt-Sponti-Milieu die Karriere des ehemaligen Putzgruppen-Chefs recherchiert. Sein Buch über Fischer und dessen "Frankfurter Gang" ist im Econ-Verlag unter dem Titel "Wir sind die Wahnsinnigen" erschienen. Jutta Ditfurth wird das Buch demnächst für die Jungle World rezensieren. Den Grünen haftet das Image an, für politische Inhalte zu stehen, sie aber schlecht zu verkaufen. In Spex schreibt Mark Terkessidis, es bestehe kein Zweifel daran, daß Joseph Fischer es mit seinen Politikalternativen ernst meine. Sie behaupten genau das Gegenteil, die Geschichte der Grünen sei ein großer Bluff.

Den Grünen haftet das Image an, für politische Inhalte zu stehen, sie aber schlecht zu verkaufen. In Spex schreibt Mark Terkessidis, es bestehe kein Zweifel daran, daß Joseph Fischer es mit seinen Politikalternativen ernst meine. Sie behaupten genau das Gegenteil, die Geschichte der Grünen sei ein großer Bluff.

Nicht die ganze Geschichte der Grünen. Am Anfang war das Projekt ganz interessant: Einfach mal was anders ausprobieren, Basisdemokratie praktizieren, auch wenn's nervig ist, auch wenn es nicht schön aussieht. Nein, ich werfe Fischer und seiner Bande etwas anderes vor: Als die ehemaligen Spontis in Frankfurt Anfang der achtziger Jahre nicht mehr weiter wußten, haben sie sich erstmal über die Grünen lustig gemacht. Genau in dem Moment, als sie dann gemerkt haben, die sind erfolgreich - als die Grünen bei der hessischen Landtagswahl 1982 überraschend acht Prozent bekommen haben -, haben sie sich auf die Grünen gestürzt. Und binnen kürzester Zeit haben Fischer und seine Gang die Partei übernommen, um sie für ihre eigenen machtpolitischen Zwecke zu instrumentalisieren. Hat Fischer die Grünen kaputtgemacht?

Die Grünen haben zumindest was versucht. Es war die Basisbewegung da, es gab den außerparlamentarischen Widerstand, und die grüne Partei sollte eben so eine Art zweites Standbein sein. Es war aber klar, wenn man in die Parteiarbeit einsteigt, kann die ganze Geschichte auch anders laufen. Deshalb wurden bestimmte Mechanismen eingebaut - basisdemokratische Kontrolle, Rotation usw. Diese Strukturen wurden von Fischer und seinen Leuten systematisch abgebaut. Als auf die Rotation verzichtet wurde, war klar, daß es Berufspolitiker geben würde. Dann wurden peu ˆ peu die basisdemokratischen Elemente gekippt. Und für Fischer und Co. stand von Anfang an außer Frage, daß man diese Dinge abschaffen müßte, denn sie hatten von Anfang an die klare Perspektive: Wir gehen mit der SPD zusammen. Und die haben sie nach und nach durchgesetzt. Darum war auch die erste rot-grüne Koalition ausgerechnet in Hessen möglich.

Das klingt nach Verschwörungstheorie. Waren die Spontis so gut im Konspirieren?

Verschwörung ist natürlich Quark. Daß aber Fischer und einige Oberspontis sehr gezielt und mit allen Mitteln daran gearbeitet haben, die Grünen zu kapern, wird in meinem Buch - so glaube ich - ganz gut belegt. Ich selbst habe ihn im Frankfurter Wahlkampf eine Stunde aus dem Stegreif reden hören. Das macht ihm so schnell keiner nach. Das Reden hat er in seiner Spontizeit jahrelang trainieren können, da war ihm später kaum einer der zum Teil doch recht naiven und unerfahrenen Frankfurter "Urgrünen" gewachsen. Aber die Frankfurter Oberspontis hatten auch andere Tricks drauf. Bei meiner Recherche habe ich erfahren, wie Fischer und Cohn-Bendit - die damals zusammen wohnten - vor wichtigen Sponti-Plena, auf denen sie irgendwelche Linienschwenks durchsetzen wollten, am Küchentisch zusammen mit anderen "Spontihäuptlingen" die Rollenverteilung durchgesprochen haben. Nach dem Muster: Ich sag' erstmal das, du sagst das, um mit eingeplanten Widersprüchen zum Konsens zu kommen. Nicht gerade die spontaneistische, antiautoritäre Methode, aber auch nicht überraschend.

Es bilden sich eben auch ohne Vereinssatzung Strukturen heraus. Wolfgang Kraushaar hat eine ganze Menge über die Sponti-Bewegung geschrieben, er hat schon 1978 berichtet, daß das mafiaähnliche Strukturen seien, die sich da in Frankfurt herausgebildet hatten - ziemlich naturwüchsig, demokratisch überhaupt nicht kontrolliert. Und die haben sich dann einfach immer weiter fortgesetzt. Die Gefolgsleute haben immer schon auf die Doppelspitze Daniel Cohn-Bendit / Joschka Fischer gehört.

Einerseits beschreiben Sie, wie die Sponti-Szene zur idealen Plattform für Fischer und Cohn-Bendit wurde, um ihre Macht-Macho-Nummer ungehindert durchzuziehen. Andererseits kommen bei Ihnen die Basis und die Leute, die sich gegen Fischers Strategien gewendet haben - also etwa die Feministinnen - entweder gar nicht vor, oder die Formen ihres Protests werden ridikülisiert.

Die Formen sind teilweise ästhetisch sehr lächerlich gewesen, und ich möchte nicht zurück zu den Strickorgien auf grünen Parteitagen und zu den Putzplänen in Wohngemeinschaften. Aber das ist nicht das, was den Ausschlag gibt. Was ich betone, ist, daß der Widerstand, etwa gegen Atomkraftwerke, in der Phase, als die Leute noch auf die Straße gingen, erfolgreicher gewesen ist. Der damalige Protest war effektiver als die grüne Regierungsbeteiligung. Was verhindert wurde - etwa die Großtalsperre im Taunus oder die Wiederaufarbeitungsanlage in Nordhessen oder Biblis C -, wurde nicht von der Partei, sondern von der Bewegung verhindert, auch wenn es gräßlich ausgesehen hat.

Ich stelle nicht in Abrede, daß es - gerade in Frankfurt - ziemlich machistische Strukturen gegeben hat, die kritisierbar und durchaus anzugreifen waren. Aber dafür muß ich mich ja nicht gleich zu irgendwelchen Frauengruppen bekennen.

Was ist von diesen machistischen Strukturen heute übriggeblieben?

Die haben sich verfestigt. Darauf ist Fischer mittlerweile stolz, wenn er sagt: "Politiker sind eben Machtmenschen." Oder neulich im Spiegel: "Wir waren damals keine Lämmerschwänzchen." Fischer ist mir im Laufe der Recherche als Typ immer unangenehmer geworden. Cohn-Bendit hingegen eigentlich eher angenehmer: So ein Riesen-Quatschkopp, der tatsächlich dreißig Jahre seines Lebens nur mit Labern bestreiten konnte. Das ist schon eine Lebensleistung, so eine Rumpelstilzchen-Rolle aufzubauen. Bevor die Spontis bei den Grünen gelandet sind, waren sie ja, trotz allem, Linksradikale.

Wie sind daraus Realpolitiker wie Tom Koenigs, Daniel Cohn-Bendit oder eben Joseph Fischer geworden?

Irgendwann waren sie tatsächlich mal das Linksradikalste, was die alten Bundesrepublik im Angebot hatte. Anfang der siebziger Jahre waren sie - anders als die maoistischen K-Gruppen - nicht autoritär strukturiert, ihr Programm war so eine Art Basisdemokratie mit anarchistischen und operaistischen Einsprengseln. Aber diese Phase war beendet, als sie merkten, daß weder Betriebskampf noch Häuserkampf in Frankfurt, noch zuletzt die Fahrpreiskämpfe etwas gebracht hatten, daß sie kein Stück weitergekommen waren. Dann kam noch einmal ein großes militantes Aufbäumen und sie liefen Gefahr, tatsächlich kriminalisiert zu werden und in den Knast zu wandern. Fischer selbst landete ja für knapp zwei Tage in Polizeigewahrsam. Deshalb sind sie dann erstmal abgetaucht, politisch lief überhaupt nichts mehr.

Bis sie auf den Ökozug aufspringen konnten.

Die neueste Hoffnung hatte jeweils Konjunktur, und in dieser Phase war es eben die Alternativbewegung. Fischer hat 1978 gesagt: Wen interessiert das eigentlich alles? Wassernotstand im Vogelsberg, Stadtautobahn in Frankfurt oder Atomkraftwerke? Da war Fischer mal ehrlich: Umweltpolitik hat ihn tatsächlich nicht interessiert. Einige Frankfurter Spontis haben sich darüber auch lustig gemacht, daß Joschka jetzt ausgerechnet Ökologie zu seinem Hauptthema erkoren hatte. Das war für ihn der Hebel, mit dem er wieder ins Politgeschäft kommen konnte.

Sie haben mit Leuten gesprochen, die anonym bleiben, aber in irgend einer Phase zur Clique gehört haben wollen. Bei manchen Aussagen hat man den Eindruck, hier werden Phantasien über Macht kolportiert, und natürlich ist einer, der es vom Underground zum Staatsmann schafft, ein dankbares Objekt. Fischer soll z.B. von Hans-Jürgen Krahl so beeindruckt gewesen sein, daß er versuchte, ihn zu imitieren. Nach Darstellung seiner damaligen Mitbewohner hat er sogar Krahls Körpersprache vor dem Spiegel einstudiert.

Ich fand das lustig. Und es steht da ja auch nicht als harter Fakt, es steht da: "wie ehemalige WG-Genossen kolportieren". Um mich abzusichern, bin ich in Frankfurt rumgelaufen und habe bestimmten Leuten diese Passagen zu lesen gegeben. Bei der Stelle zu Krahl hat einer heftig widersprochen: "Das kann nicht sein, der Zeigefinger! Weißt du, wie Krahls Zeigefinger aussah? Der ist total durchgebogen gewesen! Fischer kann seinen Finger gar nicht so verbiegen." Es wird tatsächlich viel erzählt, und das macht das Ganze ein bißchen farbiger.

Aber wenn Wiglaf Droste behauptet, daß ich Fischer ganz ernsthaft seine Vergangenheit als Bücherdieb vorwerfe ...

die natürlich nur kolportiert ist ...

... dann stimmt das einfach nicht. Von Fischers Bücherklau weiß fast jeder in Frankfurt. Ich persönlich habe auch gar nichts gegen Büchermopsen. Und daß Fischer früher Bücher klaute, hätte ich auch gar nicht erwähnt, wenn er sich nicht in der Bild am Sonntag hingestellt und gesagt hätte: "Diebstahl ist nicht akzeptabel und muß geahndet werden" oder in seinem Buch "Regieren geht über Studieren" über die Auflösung seiner Antiquariats-GmbH schwülstig von einer"bibliophilen Leidenschaft" geredet hätte. In Fischers Situation sollte man so was wirklich lieber lassen.

Sie kritisieren Fischer von links. Trotzdem besteht die Gefahr, daß es in einer ganz anderen Richtung wirkt. Schließlich ist es kein Zufall, daß ausgerechnet der Focus und Bild am Sonntag mit als erste Interesse zeigten. Sicher besteht die Gefahr, daß die Rechten mein Buch für ihre Zwecke einsetzen. Aber, wenn man über diese Gefahr redet und meint, davor Angst haben zu müssen, hat man doch immer noch die Hoffnung, daß mit den Grünen, wenn sie mitregieren, irgendwas besser wird. Auf diese große Illusion stoße ich immer wieder, bei Leuten, die sagen: "Kann man das denn machen, als Linker einen Linken ..."

Für mich ist Joschka Fischer kein Linker, genausowenig, wie Gerhard Schröder ein Linker ist. Ich denke, daß sich tatsächlich viele Leute umgucken werden, wenn Rot-Grün unter Schröder drankommt, daß es dann tatsächlich schlimmer wird als unter einer schwachen Regierung Kohl.