Die Wiedergeburt Europas

Ein Hinweis des tschechischen Ministerpräsidenten auf die revanchistische Haltung der Vertriebenenverbände bringt deutsche Politiker von SPD bis CSU in Rage

Am Ende ist Milos Zeman doch noch ein bißchen eingeknickt: "Völlig verdreht", so klagte der tschechische Premierminister am vergangenen Donnerstag, habe man Äußerungen über die Sudetendeutschen. Zwar habe er diese als Gegner der deutsch-tschechischen Erklärung bezeichnet, sie jedoch nicht mit rechtsgerichteten Republikanern oder mit Kommunisten vergleichen wollen.

Nur wenige Tage vorher war für die in München ansässigen Schirmherren der Sudetendeutschen Landsmannschaft die Welt aus den Fugen geraten: "Das ist eine ganz schlimme Sache, was er da gesagt hat, eine unglaubliche, ganz böse Sache", kommentierte CSU-Finanzminister Theo Waigel. Der Dialog zwischen Tschechen und Deutschen sei nachhaltig gestört. Zeman habe sich sofort zu entschuldigen, "sonst sieht es böse für ihn aus". Ursache des Unmuts: Der tschechische Ministerpräsident, eigentlich noch unter Druck gesetzt durch die jüngsten Forderungen Edmund Stoibers auf dem Sudetendeutschen Tag, hatte sich erdreistet, Kritik zu äußern. Wer, so Zeman Ende Juli, die deutsch-tschechische Erklärung ablehne, der solle auch nicht im binationalen Koordinierungsrat sitzen. Mit Blick auf den Vorsitzenden der Sudetendeutschen, Franz Neubauer, meinte er, Prag nominiere ja schließlich auch keine Rechtsradikalen oder ehemalige Kommunisten.

Und das haben sie ihm übelgenommen: Bayerns Ministerpräsident Stoiber zieh den tschechischen Sozialdemokraten der "Unversöhnlichkeit", warf ihm "erschrocken und bestürzt" ein "falsches und einseitiges Geschichtsbild" vor. FDP-Chef Wolfgang Gerhardt riet, die Versöhnung zwischen den beiden Staaten dürfe nicht durch "verantwortungsloses Gerede" in Frage gestellt werden, womit er keinesfalls das Gerede seiner Landsmannschaft aus der Regierungskoalition meinte. Die Geschichte könne nicht revidiert werden, wußte der Liberale, "und das müssen beide Seiten wissen". Und auch die bayerische SPD-Vorsitzende und ewige Oppositionelle, Renate Schmidt, wollte die weiß-blaue Einstimmigkeit nicht stören: "Hier sind wir alle auf einer Linie." Da sollten sie auch bleiben. Weil Zeman gar nicht daran dachte, vor den Herren in München und Bonn einen Kotau hinzulegen und anstelle einer förmlichen Entschuldigung sich den Hinweis gestattete, daß es sich bei den empörten Reaktionen im Nachbarland in erster Linie um wahltaktische Manöver handeln dürfte, blieb der Öffentlichkeit ein erneutes Aufbrausen der wackeren Wahlkämpfer jenseits des Weißwurst-Äquators nicht erspart. Edmund Stoiber beeilte sich zu betonen, es sei mit dem "europäischen Rechtsstandard" nicht zusammenzubringen, daß Prag weiter auf die Gültigkeit der Benes-Dekrete poche, mit denen nach 1945 die zwangsweise Umsiedlung der deutschen Bevölkerung eingeleitet worden war. Eine Rechtfertigung von Enteignung und Vertreibung habe in der Europäischen Union schließlich nichts zu suchen. "Solch unversöhnliche Positionen sind mit einem EU-Beitritt Tschechiens nicht vereinbar." Noch aufdringlicher meldete sich der Riedl Erich, CSU-Bundestagsabgeordneter, zu Wort: Er schrieb einen Brief an Klaus Kinkel und sein Auswärtiges Amt. Dieses, so Riedl, solle sich gefälligst in Brüssel um einen Stopp der Beitrittsverhandlungen mit Tschechien bemühen. Es sei denn, Milos Zeman nehme "seine diffamierenden Äußerungen", ja seine "Verleugnung der historischen Tatsachen" über die Sudetendeutschen mit einem formellen Beschluß der tschechischen Regierung zurück. Außenminister Klaus Kinkel zeigte sich eher unangenehm berührt und verwies darauf, daß die deutsch-tschechischen Beziehungen zu wertvoll seien, "um sie im deutschen Wahlkampf zu instrumentalisieren". Ein deutsch-tschechisches Sommertheater sei "das Letzte, was wir jetzt brauchen".

Die tschechische Seite reagierte zunächst auch auf den zweiten Ansturm der Empörung gelassen: Außenminister Kavan verbat sich zwar Stoibers Äußerungen, betonte aber im gleichen Atemzug, diese seien für ihn ohnehin unwichtig, für ihn zähle nur die Meinung Bonns - woraufhin Kanzler Kohl aus St. Gilgen verlautbaren ließ, sobald er aus dem Urlaub komme, werde er sich den Kollegen aus Prag einmal "vornehmen". Der Vorsitzende des Parlamentsausschusses für europäische Integration, Vladimir Lastuvka, bezeichnete Stoibers Haltung als "ganz und gar unannehmbar". Die Prager Sozialdemokraten gaben in ihrer Regierungserklärung bekannt, zwar werde den Beziehungen zu Deutschland "prinzipielle Bedeutung" beigemessen. Die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges allerdings dürften nicht in Zweifel gezogen werden. Auch aus Bratislava meldete man sich schließlich noch zu Wort, um den Nachbarn gegen die Deutschen beizustehen: "Unannehmbar" nannte auch der Sprecher des slowakischen Außenministeriums, Milan Tokar, das deutsche Verlangen nach einer Aufhebung der Benes-Dekrete.

Verwundern mag die Gelassenheit der tschechischen Seite nicht - Zeman wird auch von der dortigen Opposition der Rücken freigehalten. Die Sudetendeutschen selber nämlich waren so aufmerksam, die Behauptung des tschechischen Premierministers umgehend zu verifizieren. Die Vorsitzende des von der Bundesregierung mit Beträgen in Millionenhöhe finanzierten Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, beeilte sich mit der Feststellung, die Tschechen hätten ja unter der deutschen Besatzung kaum gelitten. Im Bund der Vertriebenen ist auch die Sudetendeutsche Landsmannschaft organisiert. Um ein Eigentor handelt es sich auch bei der Aussage Stoibers, nach allem, was die Sudetendeutschen nach dem Krieg geleistet hätten, sei ihre demokratische Gesinnung über jeden Verdacht erhaben. Denn an der revanchistischen Zielsetzung der Sudetendeutschen Landsmannschaft ist trotz oder wegen der Schirmherrschaft der Bayerischen Landesregierung nicht zu zweifeln.

Auch mit der von Stoiber beschworenen "demokratischen Überzeugung" scheint es nicht weit her zu sein. So kandidiert der frühere wissenschaftliche Mitarbeiter beim Sudetendeutschen Rat e.V. (Sudetendeutsche Landsmannschaft) in München, Rolf-Josef Eibicht, nach Angaben der Zeitschrift Der rechte Rand bei den Bundestagswahlen in Bayern für die DVU. Und in der programmatischen Erklärung von 1949, die bis heute Gültigkeit besitzt, lassen die Sudetendeutschen durchblicken, daß ihnen an nichts weniger gelegen ist als an einer Revision der Resultate des Zweiten Weltkriegs: "Unsere unabdingbare Forderung ist die Rückgabe der Heimat in den Sprach- und Siedlungsverhältnissen von 1937. (...) Keine Neugestaltung Europas kann an dem zentralen Problem einer neuen staatsrechtlichen Ordnung des Donauraumes und der übrigen von der Sowjetunion seit 1945 besetzten und beherrschten Gebiete vorübergehen. (...) Die Voraussetzung auch dafür wäre die Bereitschaft der Tschechen und Polen, den vertriebenen Deutschen ihre Heimat zurückzugeben. (...) Von dieser Überzeugung geleitet, wollen wir innerhalb unserer Volksgruppe und bei allen Vertriebenen dafür wirken, daß sie den Kampf um die Wiedergewinnung ihrer Heimat einordnen in das große Ringen um die christlich-humanistische Wiedergeburt Europas." Daß die christlich-humanistische Wiedergeburt Europas und die Rückgabe der Heimat in den Sprach- und Siedlungsverhältnissen von 1937 irgendwie zusammengehören, das hat jetzt auch Erich Riedl irgendwie verstanden.