Im Ufo mit Le Pen

"X-Files" im Kulturkampf der französischen Rechtsextremen.

Verschwörungsideen haben Konjunktur in Zeiten, da der einzelne sich gegenüber dem Lauf der Dinge machtlos glaubt und keine Möglichkeiten sieht, die eigene oder die gesellschaftliche Zukunft zu bestimmen. Hinter den als übermächtig empfundenen Zwängen wird nach einem verborgenen Motiv gesucht, das jenseits sozialer, historischer und politischer und damit veränderbarer Zusammenhänge die eigentliche Ursache für den Zustand der Gesellschaft ist. Auf diese Weise findet die empfundene Aussichtslosigkeit des eigenen Handelns eine plausible und einfache Erklärung. Kulturprodukte mobilisieren mitunter diese Suche nach dem großen Komplott als die "wahre" Ursache aller beobachteten Probleme und Mißstände. Offenkundig gilt dies für die antisemitische Literatur, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich ein Publikumsschlager war, als Beispiel seien nur die äußerst populären Schriften von Edouard Drumont, des Autors von "La France juive" ("Das jüdische Frankreich") genannt. Die politische und ideologische Funktion dieser Trivialliteratur ist im historischen Rückblick offensichtlich. Doch auch in weniger explizit agitatorisch-hetzerischer Form, mitunter sogar sehr subtil, propagieren Kino, Literatur oder Pop die Theorie eines weltumspannenden Komplotts und bedienen so das Bedürfnis nach simpler Erklärung für das vermeintlich Schicksalhafte, die immer auch die Lust am Schauderhaften und Unheimlichen verspricht.

Ein Beispiel dafür ist die US-amerikanische TV-Serie "X-Files" ("Akte X"). In den USA korrespondiert die Beliebtheit der Serie mit der Popularität von Komplottvorstellungen, die die Bundesregierung in Washington beschuldigen, als verlängerter Arm einer ominösen "Weltregierung" die Unterjochung der Amerikaner unter eine globale "Neue Weltordnung" zu betreiben. Der Diskurs der US-Eliten, die möglichst häufig die Globalisierung und die "Neue Weltordnung" beschwören, weil sie den Vereinigten Staaten die Dominanzrolle über konkurrierende Staaten sichern wollen, wird so systematisch mißverstanden als ein Projekt, das gegen die US-Interessen gerichtet sei und dem Land von außen diktiert werde. Insbesondere die Hunderttausende Anhänger zählenden antiföderalistischen "Milizen", deren kriminelle Gefährlichkeit 1995 durch das Attentat des Aktivisten Timothy McVeigh auf ein Regierungsgebäude in Oklahoma City erkennbar wurde, setzen auf den Verschwörungswahn.

Die beiden Helden der Serie, die FBI-Agenten Dana Scully und Fox Mulder, decken mit jeder neuen Folge ein weiteres Detail einer gigantischen Verschwörung auf, die von "Lobbys", die die Welt beherrschen wollen, betrieben wird. Demnach gibt es eine (geheime) Weltregierung, in deren dunklen Machenschaften "Außerirdische" eine zentrale Rolle spielen. Ihre Existenz aber wird von den Regierungen durch "Staatslügen" verschleiert.

Die Ermittlungen der beiden tapferen Agenten Scully und Mulder werden dabei immer wieder durch die Mächtigen behindert. Das zentrale Motto der Handlung lautet: "Trust no one" - "Vertraue keinem" oder in der französischen Version: "La vérité est ailleurs." ("Die Wahrheit liegt anderswo") Nicht zuletzt symbolisiert die Beziehung zwischen den beiden Protagonisten das Ringen zwischen rationaler Analyse und irrationalen Erklärungsmustern. Wie oftmals bei der Vorstellung einer großen und finsteren Verschwörung mischen sich auch hier Elemente gesellschaftlicher Wirklichkeit ("Recycling" von Nazi-Wissenschaftlern in US-Diensten nach 1945; die radioaktive Bestrahlung der Zivilbevölkerung zu Versuchszwecken, die tatsächlich in den fünfziger Jahren vom US-Militär durchgeführt wurde) mit Fiktionen (so im Falle des behaupteten Massakers durch Sondereinheiten des Pentagon an Geisteskranken). Erst der Konspirations-Zusammenhang, der aus diesen Elementen konstruiert wird, macht aus der Beobachtung oder der Behauptung unglaublicher Tatsachen eine wahnhafte Idee - nimmt man sie für bare Münze, worauf das Drehbuch der Serie nicht von vornherein angelegt sein mag.

Interessant und von besonderer Brisanz ist die politische Instrumentalisierung, die die Serie seit geraumer Zeit in Frankreich erfährt, wo "X-Files" seit 1996 unter Titel "Aux frontières du réel" ("An den Grenzen des Wirklichen") vom französischen Kabelsender M6 ausgestrahlt wird. Die Sendezeit, Sonnabend um 20.30 Uhr, scheint in manchen Haushalten dafür zu sorgen, daß die Kids plötzlich den Samstagabend zu Hause verbringen; jedenfalls schlägt die Einschaltquote beim Publikum zwischen 15 und 34 Jahren alle Rekorde, und ein französischer Fanclub hatte bereits zur Jahreswende 1996/97 rund 10 000 Mitglieder. Rund um die Kultserie hat sich mittlerweile eine ganze Industrie gebildet. So stößt man in Supermärkten oder Bahnhofsbuchhandlungen auf eine breite Palette von Taschenbüchern zur Serie, es gibt Kappen und T-Shirts mit der "X"-Aufschrift zu kaufen, und fast zeitgleich mit Deutschland läuft seit kurzem auch "X-Files - Der Film" in den Kinos.

Frankreichs Neofaschisten, auf der Suche nach ideologischer Hegemoniefähigkeit, die auch kulturelle Identifikations- und Anknüpfungspunkte verlangt, haben seit einiger Zeit die Kompatibilität der "X"-Ideen mit denen des Front National entdeckt und sich zunutze gemacht. Die Ideologen der extremen Rechten erkennen in der US-Serie eine Entsprechung ihrer eigenen fixen Vorstellungen einer Weltverschwörung. Das belegen die ausgewählten Zitate aus "X-Files", welche Alain Sanders, einer der Spitzenjournalisten der extremen Rechten und Redakteur der von Jean-Marie Le Pen unterstützten katholisch-rechtsextremen Tageszeitung Présent, in seinem Blatt vorstellte: "Die Regierung weiß, warum sie kommen, aber die Wahrheit darf nicht ans Licht kommen." In "X-Files" bezieht sich diese Aussage auf die Außerirdischen, in der Vorstellungswelt des Présent-Publikums freilich auf die internationalen Migrationsbewegungen. Dient doch die Einwanderung, nach dem Diskurs ihres Milieus, einem "Komplott internationaler Lobbys" (jüdischer und/oder freimaurerischer und/oder marxistischer Provenienz), die so die biologische Substanz der Nation aufweichen und den Weg zu ihrer globalen Herrschaft ebnen wollen. "Es steht euch frei", zitiert Sanders aus "X-Files", "all die Dinge zu leugnen, die ich gesehen und entdeckt habe. Aber das kann nicht von Dauer sein, weil zu viele Leute wissen, was vorgeht, und kein Gesetz und keine Regierung wird jemals das Recht haben, die Wahrheit zu manipulieren." In den rechtsextremen, geschichtsrevisionistischen Diskurs fügen sich solche Prophezeiungen paßgenau ein.

Samuel Maréchal, Schwiegersohn Le Pens und Chef der Parteijugend Front National Jeunesse, ergänzt an dieser Stelle: "'X-Files' schärft uns ein, daß man nicht auf die Tabus hereinfallen darf, die uns das System auferlegt. Das ist eine rebellische, quasi revolutionäre Serie, welche die Ablehnung des Establishments predigt." In der Sondernummer der parteieigenen Wochenzeitung National Hebdo zum Jahreswechsel 1996/97 führt Maréchal die Serie ebenfalls als Beispiel einer künftigen Gegenkultur an.

Verschiedene regionale Gliederungen des Front National Jeunesse (FNJ) sowie die Zeitung Présent haben ihre Mitglieder bzw. Leser dazu aufgefordert, dem Fanclub der Serie beizutreten. In verschiedenen Gymnasien ließ der FNJ ein Flugblatt verteilen, das keinerlei Organisationsbezeichnung trägt, dafür aber die große Aufschrift "X-Files" und diesen Text enthält: "Korruption, Arbeitslosigkeit, Drogen, Immigration. (Ö) Es gibt Leute, die wissen, aber schweigen. Manche haben gesehen, aber vergessen. Jene, die reden, werden als Aussätzige behandelt, als Extremisten." Am Schluß des Aufrufs findet sich eine Kontakt-Telefonnummer, die direkt ins Hauptquartier der Partei in Saint-Cloud bei Paris führt. Das Flugblatt ist mit einer Zeichnung versehen. Sie zeigt nur undeutlich zu erkennende Gestalten, die aus einem UFO steigen und nur bei näherem Hinsehen als Karikaturen verschleierter muslimischer Frauen zu erkennen sind.