Keine Tagesordnung, kein Frieden

Die Verhandlungen über einen Waffenstillstand im Sudan sind gescheitert

Nicht einmal über die Tagesordnung konnten sich die Kontrahenten einigen: Die Verhandlungen zwischen der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) und der sudanesischen Regierung sind vergangenes Wochenende gescheitert. Es gilt als sicher, daß die Kämpfe weitergehen, sobald die Regenzeit in dem ostafrikanischen Staat vorüber ist. Somit bleiben internationalen Hilfsorganisationen noch knapp drei Monate, um 2,6 Millionen vom Hungertod bedrohte Menschen zu versorgen.

Die Konstellation bei den Verhandlungen war ungewöhnlich. Die Rebellenbewegung sprach sich für die Einheit des Landes aus, während die islamistische Regierung ein Referendum über dessen Teilung vorschlug. An diesen gegensätzlichen Konzepten und dem Streit um den Geltungsbereich des Referendums scheiterten die Verhandlungen. Die SPLA fordert die Einbeziehung der Ölfördergebiete und der von ihr beherrschten Nuba-Berge, die Zentralregierung will nur über jene Gebiete verhandeln, die einst von der britischen Kolonialmacht zum Südsudan erklärt wurden.

Der Südsudan wurde von der früheren Mandatsmacht Großbritannien vom Norden des Landes isoliert. Nur diesem wurde ökonomische und politische Bedeutung zugesprochen. Diese indirekte Herrschaft formte aus der Stammesaristokratie eine koloniale Elite, die nach der Unabhängigkeit 1956 die Macht übernahm.

Gegen den "inneren Kolonialismus" erhob sich 1955 die Anyanya-Bewegung. Der Krieg endete 1972 mit einer Autonomieregelung, die Anyanya-Guerilla wurde in die Armee integriert. Die ökonomische Macht teilten die Herrschenden des Nordens jedoch nicht. Als das Militärregime unter Gaafar Nimeiri 1983 die Regierungen der Autonomie-Provinzen entmachtete, rebellierten Militäreinheiten im Süden. Nimeiri entsandte Oberst John Garang, um die Rebellion niederzuschlagen, doch Garang setzte sich an deren Spitze - und wurde Chef der entstehenden SPLA.

Die Einführung der Sharia im Herbst des gleichen Jahres gab dem Konflikt weiteren Zündstoff. Doch handelt es sich nicht um einen allgemeinen Konflikt zwischen arabisch-islamischem Norden und schwarzafrikanischem Süden: Die herrschende Elite des "politischen Nordens" rekrutiert sich keineswegs aus allen arabischen oder islamischen Bevölkerungsgruppen. Zudem hat der Aufstand auch überwiegend islamische Regionen erfaßt. Gekämpft wird um die Teilhabe der benachteiligten Regionen an der Staatsmacht und um die Verteilung der Ressourcen, auch von der SPLA.

Diese versteht sich als gesamtsudanesische Opposition und fordert ein föderalistisches, säkulares und demokratisches System. In der von Offizieren dominierten Führung setzten sich jedoch schnell autoritäre Strukturen durch. Es kam zu einer Reihe von Spaltungen, bei Kämpfen wurden "feindliche" Gruppen massakriert oder ausgehungert. Wie die Zentralregierung besteuert die SPLA Hilfslieferungen, verkauft Nahrungsmittel, um ihre Kriegsmaschinerie in Gang zu halten und setzt den Hunger als Waffe ein.

Seit dem Putsch General Omar al-Beshirs 1989 steht der SPLA eine islamistische Militärdiktatur gegenüber. Hinter den Offizieren steht die Nationale Islamische Front (NIF), eine aus der Muslimbruderschaft hervorgegangene Ka-derorganisation. Ihr Führer Hassan al-Tourabi, der eigentliche Staatschef, erklärte den Krieg gegen den Süden zum Jihad. Der sudanesische Islamismus wird hauptsächlich von den gebildeten Mittelschichten unterstützt, die in Armut leben und die Rolle der abgewirtschafteten Oligarchie übernehmen wollen.

Diese kontrolliert weiterhin die mächtigen islamischen Bruderschaften. Sie hat sich jedoch als unfähig erwiesen, politische Opposition oder einen Guerillakrieg zu organisieren. Sadiq al-Mahdi, ihr wichtigster Führer, hat sich 1995 mit der SPLA verbündet. Doch von der zweiten Front, die er von seinem eritreischen Exil aus organisieren wollte, ist bisher wenig zu sehen. Da auch die in den Städten einst starke säkuläre Linke kaum noch Einfluß hat und es nach "Säuberungen" gelungen zu sein scheint, die Armee effektiv unter Kontrolle zu bringen, sitzt das Regime relativ fest im Sattel. Zumal es eine Reihe seiner Feinde kooptiert hat - Warlords des Südens ebenso wie Politiker der alten Garde des Nordens.

Der Sudan steht auf der US-Liste der "Schurkenstaaten", unterhält aber gute Beziehungen zu Frankreich. Obwohl immer wieder nach einer "humanitären Intervention" gerufen wird, muß das Regime dergleichen kaum befürchten. Die Kontrolle der Ölquellen ist zentral für das Kräfteverhältnis im Sudan, angesichts des Überangebots auf dem Ölmarkt hat ihre Erschließung für den Westen jedoch kaum Priorität.

Die Lage ist nicht so verzweifelt, daß Tourabi ernsthaft eine Teilung des Landes erwägen würde. Das Angebot eines Referendums - das sich, wie das Beispiel der Westsahara zeigt, mit dem Streit über Abstimmungsmodi unbegrenzt herauszögern läßt - soll die SPLA von ihren Verbündeten im Norden trennen und das Image des Regimes aufbessern.

Auch eine Offensive in den Nuba-Bergen im Westen wäre somit nicht ausgeschlossen. Deren Rückeroberung ist von zentraler Bedeutung, denn ein dauerhafter Verlust dieser überwiegend islamischen Region könnte von anderen benachteiligten Gruppen im Norden als Signal verstanden werden, sich ebenfalls gegen das Regime zu stellen.