Die Zukunft der Erinnerung

Das geplante Holocaust-Museum stößt auf Widerstand. Unser Reproter sprach mit Initiatoren und Kritikern des Projekts

Zeitgleich zur Eröffnung des Holocaust Memorial Museums in Washington, D.C., vor fünf Jahren, gründete sich die Initiative für ein deutsches Holocaust-Museum. Das Pogrom von Rostock und der Brandanschlag von Solingen sowie der Geschichtsrevisionismus waren nach Angaben der Initiatoren der eigentliche Anlaß, über eine umfassende Dokumentationsstätte im Land der Täter nachzudenken. Doch im Unterschied zu vielen anderen Initiativen "gegen das Vergessen" gab die Initiative für ein Holocaust-Museum auch dann nicht auf, als die Lichterketten-Saison vorüber war, sondern verfolgte in den folgenden fünf Jahren die Idee hartnäckig weiter.

Zahlreiche Unterstützerinnen und Unterstützer aus den unterschiedlichsten Lagern unterzeichneten den Aufruf - neben Grass, Rosh, Giordano befürworteten das Projekt auch Rita Süssmuth, Heide Simonis, Oskar Lafontaine und Kurt Biedenkopf sowie eine Reihe von Gewerkschaftsvorsitzenden, Oberbürgermeistern, Bischöfen, Universitätspräsidenten und Fernsehschauspielerinnen.

Das "Zentrum für Dokumentation und Information über Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Lern- und Forschungsstätte für Frieden und Humanität", so der an die friedensbewegten Achtziger erinnernde Untertitel, soll eine "umfassende Aufklärungs- und Informationsstätte für die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschland" sein. Auf drei Konferenzen und in zahlreichen Diskussionen wurde ein Konzept erarbeitet. Im Juni 1998 gründeten die Initiatoren die Stiftung Deutsches Holocaust-Museum, die sie Anfang August auf einer Pressekonferenz in Bonn der Öffentlichkeit vorstellten, und prompt formierten sich die Gegner des Vorhabens.

Mit den zum Teil sehr harschen Reaktionen hat Hans-Jürgen Häßler, Archäologe am Niedersächsischen Landesmuseum von Hannover, nicht gerechnet. Der Gründer der Initiative und jetzige Vorsitzende der Stiftung fühlt sich mißverstanden und von der Presse schlecht behandelt. Nicht nur von Stellen, von denen Häßler es kaum anders erwartet hatte, gab es Kritik: Es sei "sinnvoller (...), die bestehenden Einrichtungen der Erinnerungskultur zu sichern, auszubauen und zu koordinieren, als proklamatorisch neue Projekte zu starten", heißt es in einer Erklärung der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten (AG) in der Bundesrepublik, in der u.a. die Leiterinnen und Leiter der Gedenkstätten Buchenwald, Sachsenhausen, Dachau, Neuengamme und Bergen-Belsen vertreten sind. Auch sei "ein inhaltliches Konzept für das Museum, das mehr wäre als die Ansammlung guten Willens, seit 1993 nicht vorgelegt worden".

Diese Kritik weist Häßler als zu oberflächlich zurück: "Anstatt sich inhaltlich mit der Konzeption auseinanderzusetzen, wird so getan, als gäbe es sie gar nicht." Das Holocaust-Museum sei als eine "zentrale Dokumentationsstelle" zum Nationalsozialismus geplant, in der an das Verfolgungsschicksal aller Opfergruppen erinnert werden soll. Der Begriff "Holocaust" bezieht sich im Verständnis von Häßler nicht ausschließlich auf den Massenmord an den Juden.

"Schwerpunkt der Dokumentation sollen Bereiche bilden, die in den KZ-Gedenkstätten und anderen authentischen Orten der NS-Verbrechen nicht dargestellt werden können: politische und wirtschaftliche Hintergründe, die Rolle von Militär, Justiz und Polizei", umreißt die Stiftung die zukünftigen Aufgaben des Museums, das nach dem Willen der Initiatoren nach Berlin gehört. Vor allem, so Häßler, sollen die zahlreichen wissenschaftlichen Vorhaben zum Nationalsozialismus zusammengefaßt werden. "Es wird viel geforscht, aber es gibt in Deutschland keine zentrale Stelle, die diese Arbeiten gesammelt zur Verfügung stellen kann."

Thomas Lutz, Gedenkstätten-Referent der Berliner "Topographie des Terrors" und Mitglied der AG, widerspricht: "Es gibt keine Aufgabe, die das Holocaust-Museum erfüllen möchte, die nicht bereits von anderen Einrichtungen erfüllt wird." Einig sei man sich mit Häßler in der Sorge um "die Zukunft der Erinnerung". Aber die "authentischen Orte" könnten das Geschehene eindrücklicher vermitteln als ein Museum. Auch sei das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus dezentral angelegt und habe seine Wurzel im "bürgerschaftlichen Engagement", so Lutz. Die Vertreter der KZ-Gedenkstätten forderten daher eine Intensivierung der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, keine Extensivierung.

Häßler hält dem Plädoyer für die "authentischen Orte" entgegen, daß die KZ-Gedenkstätten an die jeweilige Geschichte des Lagers erinnert: "Ein Museum aber kann umfassend darstellen und aufklären." Da das Holocaust-Museum sich nicht in Konkurrenz zu den Gedenkstätten setzen möchte, heißt es in der Konzeption: "Gedenkstätten sind keine Museen, insofern sollten sie auch nicht durch zuviel allgemeines museales Angebot von dem ablenken, was sie authentisch vermitteln können."

Die Berufung auf die "authentischen Orte" hält der zum Kuratorium des Museums gehörende Historiker Wolfgang Wippermann ohnehin für fragwürdig: "Was ist denn authentisch an Buchenwald und Sachsenhausen - doch vor allem die bauliche Gestaltung der DDR."

Schon deshalb sei man auf eine dokumentarische und museale Darstellung der Verbrechen angewiesen, weil im Hinblick auf die überwältigende Mehrheit der Opfer in Deutschland kein "authentischer Ort" des Verbrechens existiere. "Die Massenmorde in der besetzten Sowjetunion, die Vernichtung der Juden und der Roma, die größten Verbrechen haben sich im Osten abgespielt."

Das betont zwar auch Thomas Lutz, verweist aber auf "das Deutsch-Russische Museum in Karlshorst, das den Krieg in der Sowjetunion dokumentiert und an die Orte der Vernichtung erinnert".

Die Museumskonzeption sieht neun Themenkreise vor, von "Ursprünge, Etablierung und Strukturen des Nationalsozialismus" bis zu "Neo-Nationalsozialismus und Neo-Rassismus" und dem "Forum: Geschichte und Strukturen der Gewalt - Entwicklung der Menschenrechte". Ausdrücklich soll "auf Kontinuitäten nach 1945" hingewiesen werden.

Häßler verteidigt die Vielfalt der Themen gegen den Vorwurf der Planlosigkeit: "Die Konzeption ist mit Blick auf das nächste Jahrtausend geschrieben. Wir gehen die Sache sehr langfristig an." Inzwischen soll die Stiftung ihre Arbeit bereits aufgenommen haben, u.a. fördert man die Gedenkstätte für das Zwangsarbeitslager Neustadt-Glewe, in dem viele Jüdinnen vor ihrer Ermordung in Auschwitz ausgebeutet wurden.

Wippermann ist überzeugt, daß die Debatte um Mahnmal und Museum gerade erst begonnen hat. "Das Museum ist natürlich eine Alternative zum Holocaust-Mahnmal. Das könnte der Weg aus der Krise sein."

Daß es in dieser Auseinandersetzung auch um Verteilungskämpfe geht, bestreiten die Parteien. Angesichts der Situation der KZ-Gedenkstätten, die von geringer und unsicherer Finanzierung, kaum ausreichender Ausstattung und drohendem Zerfall bestimmt ist, wäre die Befürchtung, das Museum könne auf Kosten der Gedenkstätten finanziert werden, keineswegs unbegründet.

Anlaß für die Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten, sich mit einer entschiedenen Erklärung an die Öffentlichkeit zu wenden, waren nicht die Pläne zum Museum, sondern eine Äußerung des CDU-Politikers Heiner Geißler, der sein Plädoyer für das Holocaust-Denkmal gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung damit begründete, die ehemaligen Konzentrationslager seien zwar auch Gedenkstätten, "aber wer besucht schon Konzentrationslager?"

Die Gedenkstättenleiterinnen und

-leiter reagierten verletzt, was auch die Schärfe im Ton erklären könnte, die sie in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Museumsprojekt anschlugen. "Die Feststellung Geißlers schlägt all denen ins Gesicht, die in zäher, oft ehrenamtlicher Arbeit gegen zahllose Widerstände und nicht selten als Nestbeschmutzer verschrien, das Netzwerk dezentraler Gedenkstätten an den authentischen Orten in der Bundesrepublik Deutschland aufgebaut haben", erklärt die AG.

Noch immer sei die Existenz insbesondere der westdeutschen Gedenkstätten nur auf niedrigstem Niveau gesichert. Lutz, Häßler und Wippermann sind sich einig, daß in der Bundesrepublik in jedem Fall genug Geld zur Verfügung gestellt werden könnte, um sich ein Museum und finanziell besser ausgestattete KZ-Gedenkstätten zu leisten. Es gehe, so Lutz, vor allem um die politische Frage, ob man so ein Museum will oder nicht: "Solche gewaltigen Einrichtungen haben die Tendenz zur Monopolisierung der Erinnerung." Gerade die große Vielfalt von Denkmälern und Gedenkstätten garantiere auch unterschiedliche inhaltliche Zugänge zur Geschichte des Nationalsozialismus.

Wippermann hingegen bewertet die Monopolisierung keineswegs negativ: "Wir wollen ernst machen mit der 'Holocaustfixierung'. Wir sagen, das ist das zentrale Ereignis in diesem Jahrhundert, der Zivilisationsbruch, und von da aus ziehen wir Kreise."