Rolf Bloch, Präsident des Schweizerisch-Israelitischen Gemeindebundes (SIG) und Leiter des Holocaust-Fonds der Schweiz

»Ohne Druck wäre nichts geschehen«

Schweizer Großbanken wurde von Opfern und Hinterbliebenen des Holocaust vorgeworfen, sich in der NS-Zeit an ihrem Vermögen bereichert zu haben. Jetzt haben sie sich mit den Klägeranwälten auf eine Ausgleichszahlung von 1,25 Milliarden US-Dollar geeinigt. Ein Boykott der Schweizerischen Finanzinstitute, den große US-Bundesstaaten mit dem 1. September beginnen wollten, ist damit vom Tisch.

Ich bin überglücklich, daß die Vernunft gesiegt hat. Die Banken sind von ihrem 600 Millionen Dollar-Angebot abgegangen, das für sie das letzte Wort sein sollte, und unsere jüdisch-amerikanischen Freunde von höheren Forderungen. Der angekündigte Boykott wäre kontraproduktiv gewesen, darin war sich die jüdische Gemeinschaft in der Schweiz einig.

Der World Jewish Congreß (WJC) hatte die Sammelklagen unterstützt, die jüdische Gemeinschaft in der Schweiz nicht.

Unserer Losung war: "Gerechtigkeit für das jüdische Volk - Fairneß gegenüber der Schweiz". Soweit sich der WJC für die Restitution von jüdischem Eigentum und für die Hilfe an Opfer der Shoah einsetzte, fand er bei uns Unterstützung. Vorbehalte hatten wir hingegen, wo auch Anliegen mittels Sammelklagen durchgesetzt werden sollten. Im jetzt gefundenen Kompromiß sehen wir unsere Position nachträglich bestätigt.

Aber trug nicht erst die harte Gangart des WJC dazu bei, daß sich in der Entschädigungsfrage überhaupt etwas bewegt hat?

Im großen und ganzen stimmt das, ohne äußeren Druck wäre kaum etwas geschehen. Zwar war einiges auch in der Schweiz im Reifen, aber die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit war doch sehr förderlich.

Was hatte die Verhandlungen so schwierig gemacht?

Es ist längst nicht klar, wieviel jüdisches Vermögen "nachrichtenlos" auf Schweizer Konten ist und wieviel den Juden geraubtes Gold in Schweizer Banktresoren gelandet ist. Gerne wurde im Eifer der Debatte verwechselt, daß das von den Nazis in die Schweiz transferierte Raubgold aus zwei Quellen stammt: Zum einen wurde es von den Nationalbanken der von den Deutschen besetzten Ländern konfisziert, zum anderen den vertriebenen oder ermordeten Juden gestohlen. Bei den Sammelklagen konnte es nur um letzteres gehen.

Könnte man also sagen: Ende gut, alles gut?

Fürs erste: ja. Doch die historische Aufarbeitung der Schweizer Politik in der Nazi-Zeit muß weitergehen, das ist für uns das wichtigste Thema. Ich hoffe nicht, daß meine Schweizer Landsleute jetzt sagen: Was wollt ihr noch, wir haben doch bezahlt?

Vor der Einigung hörte man schlimme antisemitische Äußerungen in der Schweiz.

Seit zwei Jahren erhalten ich und andere bekannte Juden eine Flut von antisemitischen Briefen - so etwas war früher unvorstellbar. Vermutlich gab es diese Antisemiten schon die ganze Zeit, sie haben sich nur nicht aus der Deckung getraut. Im Rahmen der Debatte um das Nazi-Raubgold und die Rolle der Schweizer Banken dachten sie, daß ihr Judenhaß salonfähig geworden ist. Die Zunahme dieser Äußerungen fällt nicht zufällig mit einer Rede des damaligen Bundespräsidenten Pascal Delamuraz von Ende 1996 zusammen, in der er von einer "Erpressung" der Schweiz durch den WJC sprach.

Da hat der gewöhnliche Antisemit sich gedacht: Wenn der sich so gegen Juden artikuliert, darf ich das auch. Dabei ist Delamuraz eigentlich kein Antisemit, er hat uns schon oft unterstützt. Allerdings ist er ein Populist, er weiß, was bei den Leuten ankommt, und hat wohl die fatale Wirkung seiner Worte zu wenig bedacht.

Andererseits: Die Judenhasser sind eine kleine Minderheit. Die Mehrheit der Schweizer ist nicht antisemitisch, sondern war nur empört, daß man die Schweiz der dreißiger und vierziger Jahre als deutschfreundlich und pronazistisch hinstellt. Ich bin 1930 in der Schweiz geboren und weiß aus eigener Erfahrung, daß sich meine Landsleute in ihrer großen Mehrheit zu Recht gegen diese Unterstellungen wehren.

Auch der Schweizerische Israelitische Gemeindebund hat in einer Erklärung des Centralcomités vom Februar harsche Worte gegen die jüdisch-amerikanischen Institutionen gefunden, unter anderem war dort vom "gelegentlich auftauchenden merkantilen, geldgierigen Tenor gewisser Leute" die Rede. Hatten Sie nicht ein ungutes Gefühl, mit dieser Kritik Beifall von der falschen Seite bekommen zu könnten?

Jene Erklärung war situationsbedingt und ist in unseren Gremien sehr lebhaft diskutiert worden. Wir haben dann unsere Position präzisiert und im Mai eine grundsätzliche Plattform veröffentlicht. Darin führen wir genauer aus, was ich eingangs unter der Losung "Gerechtigkeit für das jüdische Volk - Fairneß gegenüber der Schweiz" skizziert habe.

Die Schweizer Parteien haben sich unterschiedlich zu der Lösung geäußert.

Christ- und Sozialdemokraten haben sie ganz klar unterstützt. Aber mich schmerzt, daß nicht nur die rechtspopulistische Schweizer Volkspartei, sondern auch die FDP den gefundenen Kompromiß in Zusammenhang mit Erpressung bringt. Solche Töne sind nicht hilfreich.

Seit einem Jahr gibt es in der Schweiz einen Holocaust-Fonds.

Seit 1997 wurden auf diesen Fonds von Schweizer Privatleuten, Industrie, Versicherung und Großbanken 273 Millionen Franken gespendet. Die Ausschüttung an Nazi-Opfer in Osteuropa, dort sind es vor allem Juden, aber auch in Deutschland, dort sind es vor allem Roma und Sinti, hat begonnen.