Popkommapop

Modellversuch NRW: Leben nach der Machtergreifung des Pop

Was, wenn das ganze Leben wie die Popkomm wäre? Wenn nicht die Popkomm die größte Musikmesse der Welt, sondern die Welt eine einzige Musikmesse wäre? Wir würden den ganzen Tag rumhängen in bequemen Wasserbetten und glamourösen Couchgarnituren. Es gäbe Bier und Zigaretten umsonst, bis man nicht mehr "papp" sagen könnte. Die einzige Herausforderung bestünde darin, den eigenen Körper möglichst lässig zur Musik ins Interieur einzupassen. Die Menschen sähen gut aus, wären trendy angezogen, in charmante Plaudereien (sog. "Kommunikationsplattformen") verstrickt, und das wäre auch schon alles, was von ihnen verlangt wird.

Einzige anerkannte Autorität wäre die Sound-Polizei, die mit elektronischen Meßfühlern kontrollierte, ob die Musik nicht gesundheitsschädlich laut wird. Eine sexy Unverbindlichkeit wäre unser Lebensgefühl. Hinter den Kulissen würden irgendwelche Fäden gezogen, Kontrakte gezeichnet und Major Deals abgewickelt, aber das bräuchte uns primär nicht zu interessieren; wir würden es eh früher oder später mitbekommen, wenn ein neuer Sound durch die Boxen pluckert oder eine neue PR-Sau durch die breiten Gänge zwischen den aufwendig dekorierten Ständen getrieben wird.

Abends würden wir dann mit dem Taxi von Konzert zu Konzert fahren und, wenn gar nichts mehr läuft, ins Hotel und da den Fernseher aus dem Fenster schmeißen oder noch zum "Mexikaner": die perfekte Utopie vom Leben nach der Machtergreifung von Pop. Willkommen im Reich der Freundlichkeit!

Soweit, so charming. Wahrscheinlich sähen wir nach einer Weile wie die Weather Girls aus, aber das wäre noch zu verkraften. Eine der wenigen Konstanten im sonst so flatterhaften Metier ist die Schnellebigkeit. Während die Komparserie aber mit jenem unverbrüchlichen Willen zum schnellen, exzessiven Leben auffährt, beginnt die Branche zu schwächeln. Nach einem Boom Anfang der Neunziger, der nicht unwesentlich mit der Umstellung von Vinyl zur CD zu tun hatte, sind die Umsätze neuerdings national wie international rückläufig - für Deutschland: minus 5,6 Prozent im letzten Jahr. Daß es "nicht rosig" aussehe, lassen sich Business-Checker in ihren Fachblättern zitieren und sprechen euphemistisch von "Stagnation auf hohem Niveau".

Wenn Märkte schrumpfen und Umsätze bedroht sind, wenn es für die Beteiligten also ein bißchen eng und ungemütlich zu werden droht, bröckelt oft auch die ideologische Tünche ab, mit der sich in den guten Jahren öffentliche Sympathie und Kulturfördergelder einheimsen lassen. Dieter Gorny, Geschäftsführer von Viva und der Popkomm, SPD-Mitglied und größter Zampano aller Zeiten, machte in diesem Jahr keinen Hehl daraus, daß sich die Veranstaltung in Köln mittlerweile hauptsächlich als Instrument der nordrhein-westfälischen Strukturpolitik versteht.

Mit wünschenswert offenherzigen Statements warb der Geschäftsmann um Wirtschaftsfördergelder und deren Akzeptanz durch den Steuerzahler: Popmusik sei logischerweise ein Geschäft, die lifestylemäßigen Extravaganzen und Dresscodes der Popszene seien mithin der Konvention von Schlips und Anzug im Bankeralltag vergleichbar. Das alles hätten zielstrebigere junge Leute heute schon von selbst begriffen, freute sich Gorny auf seinem eigenen Sender, um der Kommerz-Kritik präventiv den Wind aus den Segeln zu nehmen. Der Handvoll aufrechter Loser, die auf einem Tapeziertisch vor der Messe ihre Homerecording-Tapes verkauften und auf selbstgemalten Transparenten verkündeten: "Gegen Popkomm! Gefühle kann man nicht kaufen!" sei's also hinter die Ohren geschrieben: "Aber klar kann man!"

Was im Modellversuch NRW bereits so prächtig funktioniert, die Allianz der Mächtigen des Pop mit denen der Politik, ist auch auf Bundesebene anvisiert. Nicht von ungefähr schreibt Gorny in dem von ihm und Jürgen Stark zur Messe erstmals herausgegebenen "Jahrbuch Pop & Kommunikation" über Bill Clinton und Tony Blair, sie stellten einen "neuen Typus" von Politiker dar, der mit einer demonstrativen Nähe zur Popkultur die Jungwähler bei der Stange hält. Und nicht von ungefähr schreibt Gerhard Schröder ein Grußwort für dieses Jahrbuch, obwohl er bekennen muß: "Leider läßt mir mein Job für eigene Erlebnisse mit Popmusik nur wenig Zeit. Das letzte Erlebnis war voriges Jahr ein Konzert mit Udo Lindenberg in Hannover. Ich mag den Udo, und kenne ihn schon länger."

Pop goes Politik goes Stamokap - anders allerdings, als sich das die Befürworter von Pop als Instrument der Politik wohl je ausgemalt hätten: Schröder & Co. spekulieren auf den positiven Imagetransfer, Gorny & Co. auf politische Protegierung in konjunkturschwachen Zeiten. Trotz des notorischen Primats der politischen Ökonomie darf aber, so Gorny, eines nicht vergessen werden:, "daß" nämlich "zum wirtschaftlichen Aspekt der Branche der kreative hinzukommt". Und der bringt es mit sich, daß - siehe oben - eine Handvoll Leute, deren einziges Kapital das kulturelle Kapital der Musikbegeisterung ist, mit durchgezogen wird. Auf den Verdacht hin, daß der Bodensatz sich irgendwann als Nährboden für einen neuen musikalischen Großtrend irgendwo zwischen "Rien ne va plus" und "Anything goes" entpuppt.

Das musikalische Rahmenprogramm der Messe zeigte den zeitgenössischen Pop in drei dominante Strömungen zergliedert. Der stagnierende Alternativrock findet sein bescheidenes Auskommen, indem er weiterhin auf Haare, Schweiß und Gitarren setzt. Die elektronisch fundierte Tanzmusik zieht am meisten Publikum, indem sie das, was der Musikmarkt in unendlich viele Stile differenziert hat, im Akt des Sampling wieder zusammenfügt. Und der deutschsprachige Diskurspop konnte, dank der glücklichen Fügung, daß alle seine Protagonisten beim Plattenlabel L'Age D'Or unter Vertrag sind, auf einer einzigen Bühne das zehnjährige Jubelfest seiner Firmenexistenz feiern.

Wie es aber nun weitergehen soll, welcher neue Trend das lahme Geschäft mit neuen Kaufimpulsen anreizen könnte, war auf der Kongreßveranstaltung "Trendpanel Soundspitzen: Was setzt sich durch in Europa" nicht zu erfahren. Im informellen Kreise, abends, an den Tresen der Clubs, konnte man Experten jedoch munkeln hören, daß es für ein Anfang-90er Revival, für Neo-Grunge also, noch ein wenig zu früh sei. Nun, aufgeschoben ist nicht aufgehoben, und in der Zwischenzeit basteln die A&R-Manager der Industrie an einem Stil, der direkt mit seinem eigenen Revival einsetzt.

Daß Pop, wie oft behauptet, sich im Angesicht der heraufdämmernden Krise selbst essen würde, davon ist zwar nichts festzustellen. Wohl aber beißt sich Pop immer häufiger in den Schwanz. Während sich Geschichte als Farce wiederholt, wiederholt sich Popgeschichte offensiv als Mega-Loop vergangener Epochen. Je abgeschmackter und populistischer das Zitat, desto populärer: Man konnte das etwa daran sehen, wie Fatboy Slim den völlig ausverkauften Alten Wartesaal mit dem "Satisfaction"-Riff der Rolling Stones zum Toben brachte, daß einem Wiederhören und Wiedersehen verging.

Das Dilemma dabei: Alle wollen sampeln, aber niemand will ohne sein Einvernehmen gesampelt werden. Beinahe die Hälfte der Vorträge und Diskussionen auf der Popkomm setzte sich dementsprechend mit Urheberrechtsfragen auseinander, ein Terrain, das durch die neuen Kanäle des Internet nicht eben überschaubarer geworden ist. Keine Frage, daß, bei den guten Kontakten, die man mittlerweile zur Politik hat, auch das temporär anarchische Feld der Appropriation von Sounds demnächst juristisch kodifiziert und unter die gewohnten Verwertungsmechanismen gezwungen werden wird. Damit es in Zukunft erst recht heißen kann: Pop ist ein ständiges Kommen und Gähnen.