Krieg und Machtkampf im Kosovo

Tisch ohne Stühle

Autonomie innerhalb Serbiens: ja, Unabhängigkeit für die Provinz Kosovo: nein, heißt schon seit Monaten die Losung der europäischen Balkan-Diplomaten. Vom amtierenden EU-Ratspräsidenten, dem österreichischen Außenminister Wolfgang Schüssel in der vergangenen Woche begeistert "als erster Schritt in die richtige Richtung" präsentiert, fehlen dem "Optionenpapier" von Anfang vergangener Woche vor allem die Verhandlungspartner.

Seitdem der Konflikt zwischen Sezessionisten und jugoslawischen Einheiten in der südserbischen Provinz Anfang März in bewaffnete Auseinandersetzungen umschlug, stehen die Vertreter der aus USA, Rußland und den vier wichtigsten EU-Staaten (BRD, Großbritannien, Frankreich, Italien) bestehenden Balkan-Kontaktgruppe mit ihren Vorschlägen an einem Verhandlungstisch ohne Vertreter der zerstrittenen Parteien. Auf der einen Seite weigerte sich der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic bislang, Gespräche mit Angehörigen der separatistischen "Befreiungsarmee" UCK zu führen. Auf der anderen Seite lehnen es die maßgeblichen politischen Kräfte der Provinz ab, lediglich über ein Autonomiestatut innerhalb Serbiens zu verhandeln. Die Unabhängigkeit ist das Ziel - zumindest darin sind sich der selbsternannte Präsident der Kosovo-Albaner, Ibrahim Rugova, und sein schärfster Rivale, der am Wochenende zum politischen Sprecher der UCK ernannte Adem Demaci, einig.

Mit der Berufung Demacis in die Führungsriege der "Befreiungsarmee" ist der Versuch des Westens gescheitert, die um den Führungsanspruch streitenden Parteien im Kosovo zur Bildung einer gemeinsamen Verhandlungsdelegation zu bewegen. Die von Rugova vor zwei Wochen auf Druck des US-amerikanischen Botschafters in Mazedonien, Christopher Hill, verkündete "Regierung", in der auch zwei UCK-Mitglieder als Minister vorgesehen waren, ist inzwischen geplatzt. Das oberste diplomatische Ziel der Kontaktgruppe - ein Waffenstillstand - dürfte damit in weite Ferne gerückt sein. Selbst wenn auf Grundlage des neuesten Vorschlags Gespräche zwischen Belgrad und Pristina in Gang kämen, eine Kosovo-Delegation ohne UCK-Vertreter wird die Rebellen schwerlich zum Aufgeben bewegen können.

Rugova versucht daher, vom Vertrauensverlust für die bewaffneten Sezessionisten zu profitieren. War der Vorsitzende der Demokratischen Liga des Kosovo (LDK) in den vergangenen Monaten wegen seiner auf Gewaltfreiheit ausgerichteten Politik innenpolitisch in die Kritik geraten, stellte er am Wochenende ein neues Verhandlungsteam vor, dem weder Vertreter seiner politischen Gegner noch der UCK angehören. In dem Maße, wie die UCK in den vergangenen Wochen militärisch an Boden verloren hat, geht auch die Unterstützung der Kosovo-Bevölkerung für die "Befreiungsarmee" zurück.

Während EU und USA die Dialogbereitschaft Rugovas einhellig begrüßten, wollte allein die Bundesregierung den militärischen Schlag: Nachdem Mitte vergangener Woche bereits Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) einen Nato-Einsatz ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrates nicht mehr ausschließen wollte, nahm auch Außenminister Klaus Kinkel (FDP) von der Forderung eines UN-Auftrags für einen solchen Einsatz Abstand. Damit hat sich in Bonn die Forderung von Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) nach einem "aktiven Eingreifen" in Serbien durchgesetzt.